Derzeit werden Menschen, die im Rahmen des – Mitte 2015 eingestellten – niedersächsischen Aufnahmeprogramms für syrische Flüchtlinge Verpflichtungserklärungen zugunsten von Angehörigen hier lebender Geflüchteter unterschrieben haben, mit Forderungen des Jobcenters konfrontiert, das Erstattungsleistungen auch für solche Familienangehörige beansprucht, die hier einen Asylantrag gestellt haben und mittlerweile als Schutzbedürftige anerkannt wurden. Pressemeldungen zufolge geht es um Kostenforderungen für Leistungen an 370 Bedarfsgemeinschaften von 19 Jobcentern in Höhe von insgesamt 3 Millionen Euro.
Diese Forderung erscheint in vielen Fällen unbillig und fragwürdig, da die Verpflichtungsgeber oft falsch beraten wurden. Die Landesregierung hat lange Zeit die Rechtsauffassung vertreten, dass die Verpflichtung mit der Flüchtlingsanerkennung / Schutzgewährung im Bundesgebiet erlischt (siehe Erlass vom 15.05.2017) und erst viel später darauf hingewiesen, dass Leistungsbehörden des Bundes dies womöglich anders sehen könnten (siehe Erlass vom 09.Dezember 2014). Mit Schreiben vom 29.11.2017 wandte sich Innenminister Boris Pistorius daher an Bundesarbeitsministerin Katharina Barley, schilderte die besonderen Umstände und bat darum, „eine für die betroffenen Verpflichtungsgeber tragbare Lösung zu finden“. Auch Ministerpräsident Stefan Weil hat dies im Interview mit den Wolfsburger Nachrichten vom 02.12.2017 ausdrücklich eingeräumt.
In der Regel verschicken die Jobcenter zunächst einen so genannten Anhörungsbogen. Verpflichtungsgeber:innen, die vom Jobcenter aufgefordert werden, Leistungen an syrische Flüchtlinge mit Schutzstatus im Bundesgebiet zu erstatten, und die diese Leistungen nicht erbringen können, sollten sich wie folgt dagegen wehren:
- Setzen Sie zunächst ein Schreiben an die zuständige Ausländerbehörde auf, mit dem Sie jede Verpflichtungserklärung einzeln anfechten und widerrufen (s. Anlage I):
– wg. Irrtums/Täuschung der Beratung durch die Ausländerbehörde
– wg. finanzieller Überforderung des Einzelnen
– wg. Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Nehmen Sie ausführlich zu dem Umständen der Abgabe einer Verpflichtungserklärung und zu Ihren finanziellen Verhältnissen Stellung. - Nehmen Sie in Ihrer Stellungnahme zum Anhörungsschreiben an das Jobcenter auf Ihren Widerruf der Verpflichtungserklärung Bezug (s. Anlage II).
- Sofern das Jobcenter sich von Ihrer Begründung nicht überzeugen lässt, folgt darauf – mehr oder weniger bald – ein Leistungsbescheid des Jobcenters. Dagegen ist nur die Klage möglich. Diese muss fristgemäß erfolgen, sonst wird der Bescheid rechtskräftig.
Wenn viele Klagen eingehen – wovon auszugehen ist -, wird vermutlich erst mal eine lange Wartepause eintreten, und es wird eine Klage als Musterklage durchgezogen, bevor die restlichen Klagen dann analog entschieden werden. Mit Anrufung der 2. Instanz kann das Jahre dauern.
Eine juristische Bewertung der Sachlage von Klaus Dienelt findet sich bei migrationsrecht.net. Zu fordern ist zunächst, dass der Bund unter Bezugnahme auf die bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ungeklärte Rechtslage auf Erstattungsforderungen generell verzichtet. Denkbar ist darüber hinaus, dass ähnlich wie in Hessen vom Land Niedersachsen eine Möglichkeit zur Übernahme der Forderungen eingerichtet wird. Das hessische Innenministerium hat mittlerweile angekündigt, in begründeten Einzelfällen Lösungen zu finden. Man werde prüfen, ob im Zuge der Amtshaftung eine Erstattung möglich sei. Bis Ende August haben sich laut der Antwort des Innenministers auf eine Kleine Anfrage der FDP 25 Verpflichtungsgeber:innen gemeldet. Die Überprüfungen sind nach unserem Kenntnisstand noch nicht abgeschlossen.
Presseberichte:
ndr.de vom 23.11.2017: Flüchtlingshelfer entsetzt über Kostenbescheide
Wolfsburger Nachrichten online vom 24.11.2017: Flüchtlingshelfer sollen 2,3 Millionen Euro nachzahlen
Hannoversche Allgemeine Zeitung online vom 27.11.2017: Flüchtlingshelfer sollen zahlen
taz online vom 28.11.2017: Fette Rechnung für Flüchtlingshelfer
Kieler Nachrichten online vom 28.11.2017: Flüchtlingshelfer sollen zahlen
Oberhessische Presse vom 28.11.2017: Flüchtlingshelfer sollen zahlen
Neue Presse vom 28.11.2017: Flüchtlingshelfer sollen zahlen
Deutschlandradio vom 30.11.2017: Behörden fordern Flüchtlingsbürgschaften von Helfern
Schaumburger Nachrichten vom 22.12.2017: Jobcenter klagt gegen Helfer
Nur was, wenn man von den Behörden protokolliert über die Bedeutung des Aufenthaltszweckes, bzw. wann dort ein Wechsel zu verzeichnen ist, und wann nicht (bspw. vom Nds. Aufnahmeprogramm zur Flüchtlingsanerkennung = beides humanitäre Zwecke) beraten wurde?
Bei selbstschuldnerischen Verpflichtungen durch Dritte geht es penibel zu.
Sollte der Flüchtlingsrat die Unterstützer nicht eher dahin beraten, wie ein Wechsel des Aufenthaltszwecks (durch Arbeit / Studium / Ausbildung der Aufgenommenen; §§ 16 bis 18 AufenthG) herbei geführt werden kann ???
Dann kann die Behörde auch die Verpflichtung als nichtig anerkennen.
So wird hier nur eine weitere Mandantenschaufel für die Anwälte ins Regal gestellt…
die meisten Betroffenen (Bürgen und Bürginnen) haben in den Jahren 2014/2015 gebürgt und die 3 Jahre der Verpflichtung sind quasi voll. Ein Wechsel des Aufenthaltszweckes ist ja nicht mehr rückwirkend möglich :-(
Weitere Infos zu der gesamten Problematik gibt es auch unter http://www.welthaus-minden.de/index.php/kampagnen