Abgeschoben: Ein Mädchen aus Berlin – Verzweifelte Anrufe aus der Türkei

Kritiker nennen Abschiebung einer jungen Libanesin nach Iskenderun inhuman – Senator will Aufklärung über Zwangsheirat. Nasima El-Zeins Geschwister Meryem und Ibrahim sollen auch in die Türkei.

Frank Nordhausen und Thorkit Treichel
Sie weint. Wenn sie am Telefon ist, dann weint sie nur, und wenn sie etwas sagt, dann immer das Gleiche: „Bitte holt mich hier raus. Ich gehöre hier nicht hin. Warum muss ich in diesem Gefängnis sein und einen Mann heiraten, den ich nicht heiraten will?“ So redet Nasima El-Zein, wenn sie aus der Türkei in Kreuzberg anruft. So schildert ihre Mutter die Anrufe, die immer verzweifelter klingen.

Am Mittwoch hat die Berliner Zeitung über das Schicksal von Nasima El-Zein berichtet, einer jungen Frau mit kurdisch-arabischen Eltern, die Anfang März aus Berlin zu ihrem Vater nach Iskenderun in der Südtürkei abgeschoben wurde. Zu einem Vater, der sie jetzt wie eine Gefangene hält und sie mit einem doppelt so alten Mann verheiraten will. Die Härtefallkommission des Senats hatte zuvor einstimmig dafür plädiert, der Familie ein Bleiberecht zu geben.

Viele Leser äußerten in Briefen, E-Mails und Telefonanrufen ihr Befremden über die Entscheidung des Innensenators Ehrhart Körting (SPD). „Ich bin schockiert über die Unmenschlichkeit der Berliner Innenverwaltung“, schrieb ein Leser. Der Grünen-Politiker Cem ßzdemir nannte es „unanständig, Kinder für etwas zu bestrafen, das ihre Eltern getan haben“. Oft wurde gefragt, wie Nasima nun wieder zurückkommen könne.

Nasima El-Zein wurde in Beirut geboren und kam mit ihren Eltern Anfang der neunziger Jahre nach Berlin. Die Familie war vor dem libanesischen Bürgerkrieg geflüchtet, bewarb sich um Asyl, wurde abgelehnt, aber trotzdem als „Staatenlose“ in Berlin geduldet – bis eine Ermittlergruppe des Landeskriminalamts herausfand, dass die Familie in einem Register der Osttürkei als türkische Staatsbürger geführt wurde. Ein Großvater hatte sie dort eintragen lassen, obwohl die arabischsprachigen Kurden vor Jahrzehnten in den Libanon gegangen waren. Die Ehe der Eltern ist zerrüttet: Nasimas Vater zog vor drei Jahren in die Türkei.

Wegen falscher Angaben der Eltern über ihre Herkunft leitete die Ausländerbehörde ein Ausweisungsverfahren ein – gegen die 23-jährige Nasima, die seit 14 Jahren in Berlin lebt, perfekt Deutsch, aber kein Türkisch spricht, die in einem Neuköllner Jugendklub Migrantenkindern ehrenamtlich Schulnachhilfe gegeben hat.

Als ein Redakteur dieser Zeitung Nasima in Iskenderun aufsuchte, ließ der Vater sie mit ihm in ein Restaurant gehen, weil einer ihrer Cousins aus Berlin dabei war. Nasima klagte über wenig Essen und Prügel von ihrem Vater, der sie in einen kalten, feuchten Raum zu ihrer Großmutter gesperrt habe. Sie sagte: „Ehe ich den alten Mann heirate, wie es mein Vater will, bringe ich mich um.“

Doch nicht nur die Lage der jungen Frau in der Türkei ist dramatisch, auch die restliche Familie in Berlin ist von der Abschiebung bedroht, die Mutter und sechs weitere Geschwister. Nasimas 22-jährige Schwester Meryem rechnet jeden Tag mit der Polizei. „Ich schlafe nicht mehr richtig, ich habe furchtbare Angst, dass ich auch zu meinem Vater in die Türkei muss“, sagt sie in gutem Deutsch. Der 19-jährige Bruder Ibrahim macht gerade seinen Realschulabschluss. Ihm hat das Verwaltungsgericht Berlin genau wie Nasima bescheinigt, dass die Ausweisungsverfügung unrechtmäßig war.

„Das Gericht hat aber nur die Begründung aufgehoben, nicht die Abschiebung als solche“, sagt der Anwalt der Familie, Jan Bornkessel. „Wir brauchen hier eine humanitäre Lösung, denn die Familie ist gut integriert.“ Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei.PDS) und Berlins Ausländerbeauftragter Günter Piening hatten sich für ein Bleiberecht der Familie aus humanitären Gründen ausgesprochen. „Aber der Innensenator ist dem Votum der Härtefallkommission leider nicht gefolgt“, sagt Knake-Werner. Piening hält „bei jungen Leuten, die hier in die Schule gegangen und gut integriert sind, die kaum Kontakt zur alten Heimat der Eltern haben“, eine „großzügige Entscheidung für angemessen“. Er sieht aber keine Chance mehr, dass Nasima El-Zein zurückkehren kann, alle rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft.

Hinsichtlich einer drohenden Zwangsheirat hat Innensenator Körting inzwischen an den türkischen Generalkonsul geschrieben und um Hilfe bei der Aufklärung gebeten. „Eine Zwangsverheiratung wird sowohl von der Türkei als auch von der Bundesrepublik abgelehnt“, sagt er. Wenn sich die Erkenntnisse verdichteten, dass dies bevorstehe, könne es „eine neue Situation“ für Nasima El-Zein geben.

Berliner Zeitung, 13.04.2007

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