Mit Beschluss vom 07.02.2017 hat das Verwaltungsgericht Hannover entschieden, dass die in der Nacht vom 02. auf den 03. Februar 2017 in Lehrte erfolgte Abschiebung einer syrischen Familie nach Bulgarien rechtswidrig war. Die komplizierte, für Laien kaum verständliche Entscheidung (siehe Erläuterung unten) läuft darauf hinaus, dass „systemische Mängel“ für Bulgarien nicht festgestellt werden, eine Abschiebung aber dennoch nicht vollzogen werden durfte, weil zum Zeitpunkt der Abschiebung keine wirksame Abschiebungsandrohung gem. § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG vorlag. Darauf hatte der zuständige Verwaltungsrichter bereits mit Schreiben vom 25.01.2017 hingewiesen. Trotzdem hat die Ausländerbehörde der Region Hannover die Abschiebung durchgeführt.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat gestern an die Landesregierung appelliert, eine Rückkehr der gestern rechtswidrig abgeschobenen Ehefrau mit ihren drei Kindern zu ihrem Ehemann nach Lehrte zu veranlassen und der Familie für die Dauer des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg den Aufenthalt im Bundesgebiet zu gestatten. Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte (die Verwaltungsgerichte Oldenburg, Göttingen, Braunschweig, 6. Kammer des VG Hannover haben wegen schwerwiegender Mängel des bulgarischen Asylsystems auch in Bulgarien anerkannten Flüchtlingen Schutz in Deutschland zugesprochen) und angesichts vorliegender obergerichtlicher Entscheidungen, mit denen Abschiebungen nach Bulgarien ausgesetzt wurden (siehe z.B. Hessische Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. November 2016, AZ 3A 1322/16.A) liegt es auch im öffentlichen Interesse, vor dem Vollzug von Abschiebungen nach Bulgarien zunächst eine obergerichtliche Klärung herbeizuführen.
Nachfolgend eine Erläuterung zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover vom 07.02.2017:
Streitgegenstand sind die Bescheide vom 27. Oktober 2016.
1) Rücknahme der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der mit Bescheid vom 21.07.2016 festgestellten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist § 73 c Abs. 1 AsylG. Nach § 73 c Abs. 1 AsylG *ist* die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 des AufenthG zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist. Von der Fehlerhaftigkeit geht der Bescheid des BAMF vom 27.10.2016 aus. Das VG Hannover teilt diese Auffassung des BAMF in seinem Urteil vom 07.02.2016, soweit die Rücknahme der festgestellten Abschiebungsverbote die Zukunft, d.h. die Zeit ab dem 27.10.2016 betrifft. Zur Begründung seiner Entscheidung verweist das VG auf den in dieser Sache im Eilverfahren ergangenen Beschluss. MaW: Das VG Hannover urteilt, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Bulgarien nicht festzustellen sind. Gegen diesen Teil der Entscheidung wird Rechtsmittel eingelegt werden.
2) Rücknahme der Abschiebungsverbote für die Vergangenheit
Das VG Hannover erklärt jedoch die Bescheide vom 27.10.2016 insoweit für rechtswidrig, als darin die Abschiebungsverbote auch für die Vergangenheit, d.h. für die Zeit vor dem 27.10.2016 nach § 73 c Abs. 1 AsylG zurück genommen worden sind, denn die Rücknahme nach § 73 c Abs. 1 AsylG wirkt ausschließlich ex nunc, also „von nun an“ für die Zukunft. MaW gilt die Rücknahme der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG erst mit Rechtskraft der Bescheide bzw. hier, da die sofortige Vollziehung der Bescheide angeordnet wurde, mit deren Zustellung.
3) Fehlen der Abschiebungsandrohung
Zudem erklärt das VG Hannover die Bescheide vom 27.10.2016 insoweit für rechtswidrig, als darin die mit Bescheid vom 21.07.2016 angeordnete Aufhebung der Abschiebungsandrohung zurückgenommen worden ist, denn § 73 c Abs. 1 AsylG, auf den sich der Bescheid des BAMF vom 27.10.2016 bezieht, regelt – wie unter 1) – beschrieben lediglich die Zurücknahme der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nicht jedoch die Rücknahme der Aufhebung einer Abschiebungsandrohung. Wollte das BAMF die mit Bescheid vom 21.07.2016 erfolgte Aufhebung der Abschiebungsandrohung rückgänging machen, so hätte sie die Aufhebung der Abschiebungsandrohung nach § 48 VwVfG widerrufen müssen. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG kann ein Verwaltungsakt unter den dort genannten Voraussetzungen widerrufen werden. Folglich handelt es sich hierbei – anders als bei § 73 c Abs. 1 AslyG – um eine Ermessensentscheidung. Das BAMF hat sich im Bescheid vom 27.10.2016 allerdings weder auf § 48 VwVfG bezogen noch Ermessenerwägungen angestellt. Folglich wurden mit Bescheid vom 27.10.2016 zwar die mit Bescheid vom 21.07.2016 festgestellten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG gem. § 73 c Abs. 1 AsylG wirksam zurückgenommen, jedoch wurde die mit Bescheid vom 21.07.2016 zugleich erfolgte Aufhebung der Abschiebungsandrohung nicht widerrufen, d.h. zum Zeitpunkt der Abschiebung lag keine wirksame Abschiebungsandrohung gem. § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG vor. Der Erlass einer solchen Abschiebungsandrohung wäre jedoch nach § 34 Abs. 1 AsylG erforderlich gewesen. Da eine solche zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht gegeben war, war die Abschiebung rechtswidrig.
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