Erstmals hat die Polizei in Osnabrück gegen den Widerstand vieler Bürgerinnen und Bürger die Abschiebung zweier Flüchtlinge gewaltsam durchgesetzt. Dies markiert einen deutlichen Wechsel der politischen Orientierung der Landesregierung. Bislang hatte Innenminister Pistorius Verständnis, ja Sympathie, für Menschen geäußert, die sich aus Protest gegen Abschiebungen vor die Häuser und Eingänge von Flüchtlingsunterkünften setzten. Ein friedlicher Einsatz für Flüchtlinge sei „grundsätzlich gut“.
Nachfolgend dokumentieren wir einen Bericht des Bündnis gegen Abschiebungen und von nolager Osnabrück. Der brutale Polizeieinsatz unter Verwendung von Pfefferspray und Gewalt gegen Unterstützer:innen ist schockierend. Offenkundig wurde die Verhältnismäßigkeit der Mittel hier nicht gewahrt.Wir fragen:
- Warum wurde eine Abschiebung erneut zur Nachtzeit durchgeführt?
- Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte ein Eindringen in die Zimmer der Flüchtlinge?
- Warum und auf welcher Rechtsgrundlage wurden sämtliche Bewohner:innen geweckt?
- Mit welcher Begründung wurden die Personalien der Heimbewohner:innen zur Nachtzeit kontrolliert?
- Warum wurde Pfefferspray gegen friedliche Demonstranten eingesetzt?
- Warum richtete sich die Gewalt offenbar gezielt gegen Flüchtlinge?
Es ging in diesem Einsatz „nur“ um eine Abschiebung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in ein anderes europäisches Land. Bekanntlich werden nur etwa 5% der Dublin-Bescheide tatsächlich vollzogen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint der Polizeieinsatz völlig überzogen. Der Flüchtlingsrat kritisiert das unverhältnismäßige, vermutlich rechtswidrige Vorgehen und den gewaltsamen Einsatz der Polizei und verlangt weitere Aufklärung.
Bericht des Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebungen und von nolager Osnabrück:
Abschiebung zweier Geflüchteter aus Osnabrück trotz Protest aus der Zivilbevölkerung gewaltsam durchgesetzt
Um kurz sämtliche katastrophalen Missstände zusammenzutragen: Die Polizei stürmt unangekündigt nachts in die Unterkunft, weckt sämtliche Bewohner*innen des Heims und verlangt ihre Personalien, setzt die Abschiebung gewaltsam mit Pfeffersprayeinsatz durch und verlangt im Anschluss die Personalien der Verletzen, ohne die Namen der gewalttätigen Beamt*innen zu nennen.
Wir verurteilen das Eingreifen aufs Schärfste.
04.01.2017, 04:20 Uhr, Osnabrück.
Heute früh um 4:20 Uhr wird das Notfalltelefon des Bündnisses gegen Abschiebung angerufen, weil gerade in diesem Moment aus dem Osnabrücker Flüchtlingsheim in der Hansastraße eine Abschiebung stattfindet. Die anrufende Person berichtet, dass die Polizei in alle Zimmer eingedrungen ist und die Personalien der Bewohner*innen verlangte.
Zwanzig Minuten später hat sich vor ebendiesem Wohnheim Protest formiert – alamierte Verbündete und die anderen Bewohner*innen versammeln sich vor dem Haus und vor dem Wagen des BAMFs, suchen Gesprächskontakt zu den zuständigen Beamt*innen, protestieren friedlich und dennoch lautstark immer wieder, dass die Abschiebung nicht mit Zustimmung des Betroffenen stattfindet. Auf sämtliche Bemühungen wird von Seiten der Polizei nicht reagiert, die Menschen, die sich in der Zwischenzeit auch vor das Auto stellen, um das Losfahren zu verhindern, werden gewaltsam ferngehalten, weggezogen und -geschubst, der Blickkontakt zu der betroffenen Person ist unmöglich.
Schnell erscheinen zusätzliche Streifenpolizist*innen, auch auf Seiten der Protestierenden kommen immer mehr Leute hinzu. Der Abschiebewagen versucht, mit aufheulendem Motor trotz der Menschen direkt vor dem Wagen, loszufahren. Schließlich setzt die Polizei Pfefferspray gegen 2 protestierende Geflüchtete ein, aus nächster Distanz und ohne dies vorher anzukündigen. Die Getroffenen verlieren die Orientierung, können nichts mehr sehen, schreien vor Schmerz und werden von Verbündeten auf den Gehweg gebracht.
Der Wagen fährt los, die Abschiebung wird gewaltsam durchgeführt, trotz Protest, ohne Einwilligung des Betroffenen.
Das alles passiert auf einer der Hauptverkehrsstraßen Osnabrücks.
Im Folgenden werden die vom Pfefferspray Verletzen von hinzugerufenen Sanitäter*innen behandelt. Die Polizei versucht die Namen der Verletzten herauszufinden und sie zu fotografieren und verweigert gleichzeitig die Herausgabe der Daten von den Beamt*innen, die den Pfeffersprayübergriff verübt haben.
Noch während die Verletzten versorgt werden fährt der Bully zu einer zweiten Unterkunft in der Dodesheide, um eine weitere Person abzuschieben.
Zwei Jahre sind vergangen, seit Osnabrück und das Bündnis gegen Abschiebungen mit 37verhinderten Abschiebungen deutschlandweit bekannt wurden. Der Innenminister Boris Pistorius lobte den zivilen Ungehorsam in der breiten Bevölkerung und „sehe ‚keinen Anlass‘ die Polizeistrategie bei den Protestaktionen zu ändern.“¹ und sogar Osnabrücks Polizeipräsident Bernhard Witthaut zählte sich zu den Sympathisant*innen der Blockaden, wie er in einem NDR1-Interview im Sommer 2014 bekanntgab².
Seitdem haben sich die Asylpolitik und das Asylrecht in Deutschland drastisch verschärft. Unter anderem werden Abschiebungen nicht mehr angekündigt, die Überstellungsfrist, die Geflüchteten nach einer Aufenthaltsdauer von 6 Monaten einen Asylprozess in Deutschland ermöglichen würde, soll durch die neue Dublin IV-Verordnung abgeschafft werden.
Obwohl sich unter anderem Boris Pistorius im Februar 2013 noch gegen nächtliche Abschiebungen äußerte³, beweist die heutige Nacht als eines von vielen Beispielen in den letzten Jahren das Gegenteil.
Die Blockaden der Abschiebungen sind durch diese Verschärfungen zwar deutlich schwieriger geworden, aber prinzipiell noch möglich und werden durch viele Bürger*innen unterstützt. Der heutige Vorfall zeigt jedoch was sich geändert hat: Die Eskalationsbereitschaft, durch das Einsetzen von Pfefferspray und physischer Gewalt, ausgehend von der Polizei.
Wir fragen uns, warum die Polizei bei einem friedlichen Protest Pfefferspray angewandt hat ohne dies auch nur ein einziges Mal anzukündigen und insbesondere nur gegen Geflüchtete, obwohl auch Verbündete anwesend waren.
Eine solche Brutalität von Seiten der Beamt*innen wäre vor der Asylrechtsverschärfung und mit angekündigten Abschiebungen unter den Augen zahlreicher protestierender Bürger*innen nicht denkbar gewesen.
Was wir heute Nacht erleben mussten, widerspricht alldem, was vor kurzem noch zum Aushängeschild der Osnabrücker Flüchtlingspolitik zählte: Diese Abschiebung wurde weder gewaltfrei, noch „human“ durchgeführt.
An unserem Standpunkt hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert – Abschiebungen sind und bleiben eine menschenfeindliche Praxis, sie berauben Menschen um das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dass Abschiebungen unangekündigt durchgeführt werden, versetzt Menschen in andauernde Angst um ihre Existenz.
Wir verlangen, dass Abschiebungen wieder angekündigt werden. Dass die Polizei keine Gewalt bei Abschiebungen anwenden darf und die Privatsphäre der in den Unterkünften lebenden Menschen gewahrt wird.
Wir fordern Bleiberecht für alle Geflüchteten! Keine Abschiebungen mehr; nicht nach Dublin-Verordnung, nirgendwohin.
No Lager Osnabrück und Bündnis gegen Abschiebung
¹Neue Osnabrücker Zeitung, 21.11.2014;
http://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/524594/abschiebe-demos-in-osnabruck-polizei-greift-nicht-ein#galleryHYPERLINK
²Analyse & Kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, 19.08.2014;
https://www.akweb.de/ak_s/ak596/16.htm
³Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, 23.09.2014;
http://www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/pistorius-rueckfuehrungserlass-ist-wichtiger-schritt-fuer-mehr-menschlichkeit-in-der-niedersaechsischen-auslaender–und-fluechtlingspolitik-127958.html
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