Positionspapier des Landesbeirats für Jugendarbeit zu jungen Flüchtlingen

Gleichberechtigte Teilhabe für junge Geflüchtete an den Angeboten der Jugendarbeit ermöglichen

Geschäftsstelle des Landesbeirats für Jugendarbeit
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Jugendarbeit muss und kann einen wesentlichen Beitrag zur gleichberechtigten und gelingenden Teilhabe junger Geflüchteter leisten. Neben der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung benötigen alle jungen Menschen eine soziale und individuelle Perspektive – der Jugendhilfe in ihrer Gesamtheit und der Jugendarbeit im Besonderen kommt hier die Aufgabe zu, ein gelingendes Aufwachsen bzw. Hineinwachsen in unsere Gesellschaft sowie die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit (§1 SGB VIII) partizipativ zu unterstützen und entsprechend §§11 und 12 SGB VIII die dazu erforderlichen Angebote vorzuhalten.
„Insbesondere die Jugendarbeit, die Jugendsozialarbeit und die Jugendverbände sind herausragende Orte zur Bildung von Identitäten, (sinnstiftender) Aktivitäten und Engagement. Sie können junge Flüchtlinge dabei unterstützen, in den zwingend notwendigen Kontakt mit anderen gleichaltrigen Jugendlichen zu kommen und ihnen helfen, sich am Zuwanderungsort zu integrieren und zu engagieren. Zugewanderte junge Flüchtlinge brauchen Foren für die Teilhabe an den demokratischen Prozessen. Dafür ist die Unterstützung durch die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit sowie die Jugendverbände unerlässlich.” ( Arbeitsgemeinschaft für Kinder-undJugendhilfe– AGJ(2015): Stellungnahme und Positionen. „Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind Kinder und Jugendliche!”, Berlin, Dezember2015. Zitat aus dem Abschnitt¸Die Rolle derKinder- und Jugendhilfe bei der gesellschaftlichen Integration von jungen Flüchtlingen muss stärker anerkannt werden! auf Seite 6.)

Jugendarbeit bietet zudem in besonderer Art und Weise die Möglichkeit der interkulturellen Öffnung der Aufnahmegesellschaft, indem sie u.a. Räume schafft, in denen sich Jugendliche begegnen und so Ängste abbauen und sich kennenlernen können. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass junge Geflüchtete sich schneller an die neue Lebenssituation gewöhnen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kennenlernen und sich selber in einer für sie neuen Gesellschaft und Umgebung zurecht finden und einbringen können.
Jugendarbeit ist ein wichtiger Treffpunkt für junge Menschen und lebt zugleich demokratische Werte. Die Jugendarbeit in Niedersachsen hat seit vielen Jahrzehnten Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationsgeschichte und mit jungen Geflüchteten – neu ist jedoch die hohe Anzahl der gleichzeitig zu integrierenden jungen Menschen, die komplexe politische und kulturelle Situation in den Herkunftsländern und die Vielzahl der Herkunftsländer. Auf diese Herausforderungen muss mit neuen Konzepten reagiert werden, die den bisherigen Erfahrungen Rechnung tragen. Fundament hierfür können die langjährigen Erfahrungen in der internationalen Begegnungsarbeit sowie die Konzept- und Wertvielfalt der Jugendarbeit sein. Im Nachfolgenden positioniert sich der Landesbeirat für Jugendarbeit speziell zu fünf Punkten, die aus seiner Sicht für die Jugendarbeit in Niedersachsen besondere Berücksichtigung finden müssen.

Nachhaltige Netzwerkstrukturen und Zugänge zu Angeboten schaffen

Gerade für junge Geflüchtete, die mit ihren Familien in einer Unterkunft für Asylbewerber-innen leben, ist Begegnung zu Gleichaltrigen, die schon länger in Deutschland wohnen bzw. hier geboren worden sind, keine Selbstverständlichkeit – insbesondere solange sie keine Schule besuchen. Ihnen fehlen i.d.R. auch die Informationen über Angebote in der Jugendarbeit, an denen sie teilnehmen können. Bei den jungen Menschen in den Unterkünften gibt es i.d.R. keine biographischen Schnittstellen und Kenntnisse über die Strukturen und Möglichkeiten der Jugendhilfe in Deutschland. Wichtig ist es, dass allen jungen Geflüchteten Zugangsmöglichkeiten zu den Angeboten der Jugendarbeit geboten werden – unabhängig davon, ob sie in Gemeinschaftsunterkünften, Einrichtungen der Jugendhilfe (insb. UMAs) oder in Wohnungen leben.
Dieses kann direkt durch Angebote der Jugendarbeit in den Einrichtungen oder durch entsprechende Informationen über diese Angebote erfolgen. Hierfür ist es notwendig, dass vorhandene Netzwerke der Jugendarbeit nachhaltig gestärkt werden: Nur im Zusammenspiel der verschiedenen Träger kann und wird es gelingen, junge Geflüchtete an den Angeboten der Jugendarbeit teilhaben zu lassen und die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden der Träger bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Wichtig für diese Netzwerkstruktur ist, dass alle Akteure der Jugendarbeit, die Angebote nach §11 Abs. 3 SGB VIII anbieten, und Akteure der Flüchtlingshilfe mit einbezogen sind. Dabei ist darauf zu achten, dass auch die landesweiten Strukturen genutzt und einbezogen werden. Die nachhaltigen kommunalen Netzwerke bieten die Möglichkeit einheitlicher Steuerungs- und Koordinierungsstrukturen und können die notwendige Klarheit der Zuständigkeiten schaffen. Die Jugendhilfeplanung muss auf die veränderte Situation schnell reagieren und auch die Planungen für den Bereich der Jugendarbeit auf Grundlage der neuen Bedarfe und unter Beteiligung der freien Träger fortschreiben.
Sowohl die öffentlichen als auch die freien Träger der Jugendarbeit müssen in die Lage versetzt werden, diese zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen zu können, ohne dass es zu Einschnitten in anderen Bereichen der Jugendarbeit oder der Jugendhilfe kommt. In vielen anderen Bereichen der Jugendhilfe und der Sozialarbeit wurde in den vergangenen Monaten dem neuen Bedarf mit zusätzlichen Ressourcen Rechnung getragen – dies muss auch für die Jugendarbeit gelten.

Anforderungen an die außerschulischen Bildungs- und Beteiligungsangebote

Neben Angeboten, die vor allem in den Unterkünften direkt angeboten werden und die geflüchtete Kinder und Jugendliche zumindest für einen kurzen Augenblick ihren Alltag vergessen lassen und ihnen gestatten, altersgerecht Kind oder Jugendlicher sein zu dürfen, braucht es auch Angebote, bei denen die jungen Menschen Verantwortung übernehmen, mitbestimmen und teilhaben. Wichtig ist hierbei, dass sich die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen (in der Jugendarbeit) hier ihrer vorhandenen Ressourcen bewusst sind und Unterstützung erhalten, um neuen Anforderungen an ihr Wirken gerecht werden zu können (z.B. Verarbeitung geschilderter Gewalterfahrungen bzw. traumatischer Erlebnisse, interkulturelle Sensibilität oder kultursensibler Gewaltschutz). Die Palette von Angeboten reicht von Maßnahmen in den Unterkünften bis hin zu Aktivitäten, wie z.B. Ferienfreizeiten oder Wochenendfahrten und Seminaren, die genauer Kenntnisse über die Möglichkeiten bei einer Teilnahme von jungen Geflüchteten (z.B. Aufenthaltsstatus) sowie zusätzlicher Mittel bedürfen, um jungen Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, an diesen Angeboten teilzunehmen. Die bestehenden Fördermöglichkeiten reichen dafür i.d.R. nicht aus.
Bei den klassischen Angeboten der Jugendarbeit ist durch die anbietenden Träger zu berücksichtigen, dass die jungen geflüchteten Menschen aus anderen Kulturen kommen und ihnen deutsche Selbstverständlichkeiten z.B. im Umgang der Geschlechter untereinander teilweise nicht bekannt sind oder ihr Rollenverständnis kulturellbedingt anders geprägt sein kann. Hier gilt es, durch spezielle Angebote einen Raum zu bieten, in dem diese kulturellen Unterschiede für junge Menschen – sowohl für Mädchen/junge Frauen, als auch für Jungen/junge Männer – aufgegriffen und die genannten Selbstverständnisse erfahrbar gemacht werden. Bei den Angeboten sollte speziell das Rollenverständnis der Frau in Deutschland aufgegriffen werden. Spezielle gender- und geschlechtsspezifische Angebote bieten zudem nicht-heterosexuell orientierten Jugendlichen einen Schutzraum.
Eine Herausforderung bei den Angeboten für junge Geflüchtete ist, dass die Angebote und Veranstaltungen mit Geflüchteten auf jeden Fall gut vorbereitet und geplant werden und nach Möglichkeit in geschlechterparitätisch besetzten Teams durchgeführt werden. Junge Geflüchtete sind zwar eine besondere Zielgruppe, allerdings gelten gleiche Herausforderungen wie bei anderen Zielgruppen auch. Zu den Herausforderungen in der Planung gehört es, dass auf sprachliche Fähigkeiten und kulturelle Unterschiede Rücksicht genommen wird und diese Unterschiede möglichst positiv genutzt werden. Die erweiterte Vielfalt in den Angeboten der Jugendarbeit ist eine Lernchance für alle Teilnehmenden und Teamenden.

Neue Rahmenbedingungen sichern und schaffen

Die außerschulischen Bildungs- und Beteiligungsangebote der Jugendarbeit bieten eine gute Brücke, um jungen Geflüchteten auf einfache Art und Weise Alltagskomptenzen zu vermitteln und ihnen die Gelegenheit zu geben, die deutsche Sprache zu lernen. Erfahrungen bei Angeboten mit jungen Geflüchteten haben gezeigt, dass es gerade in dieser Zielgruppe wichtig ist, dass Angebote vorgehalten werden, die neben einem Begegnungs- und Integrationscharakter die Möglichkeit der Mitbestimmung am Programm bieten und vor allem, bei denen die Bezugspersonen, sei es ein ehren- oder hauptamtliches Team, in ihrem Handeln transparent sind.
Der Landesbeirat bestärkt an dieser Stelle den entsprechenden Punkt aus der im Januar 2016 erschienene Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums, dass die Akteure der Kinder- und Jugendarbeit gefordert sind, Begegnungsangebote und Integrationsmöglichkeiten vorzuhalten und zu entwickeln und dass es dazu einer Stärkung und eines Ausbaus der bestehenden Angebote nach §11 SGB VIII bedarf. (Bundesjugendkuratorium(2016): Kinder und Jugendliche auf der Flucht: Junge Menschen mit Ziel. Stellungnahme Januar 2016. Bezugnahme auf Seite 11, Abschnitt Politische Herausforderungen: Zuwanderung als nationale Aufgabe.)

Die Konzepte der Jugendarbeit, insbesondere die der offenen Jugendarbeit, bieten eine schnelle Möglichkeit, sich der neue Zielgruppe zu öffnen. Hierbei gilt es, die räumlichen, finanziellen und personellen Ressourcen zu überprüfen und anzupassen, um den neuen Ansprüchen gerecht zu werden, damit sowohl die Arbeit mit den jungen Geflüchteten als auch mit den bisherigen Zielgruppen stattfinden kann.

Qualifizierung für Ehrenamtliche und Hauptberufliche in der Jugendarbeit

Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass die Umsetzung der Verantwortung, die §1 SGB VIII mit sich bringt, alle Beteiligten aus der Jugendarbeit, egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich, ob im Jugendverband oder im Jugendamt tätig, immer wieder vor Herausforderungen stellt. Beispiele dafür sind in der Arbeit mit jungen Geflüchteten die Konfrontation mit Traumata und Fluchterfahrungen, die viele Teamende ohne Unterstützung und Beratung qualifizierter Fachkräfte überfordert, die Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeiten im Aufenthaltsstatus
der jungen Geflüchteten, mit bürokratischen Hürden und das Bewältigen der Anforderungen, die Angebote auf eine heterogene Gruppe mit pluralen individuellen Anforderungen einzustellen.
Gleichzeitig lässt sich in der alltäglichen Arbeit feststellen, dass die Anzahl der Haupt- und Ehrenamtlichen der Jugendarbeit, die sowohl Erfahrungen in der kultursensiblen Jugendarbeit als auch in der Arbeit mit jungen Geflüchteten haben, nicht ausreichend ist.
Hier gilt es, neue Qualifizierungsangebote sowohl für die Ehrenamtlichen wie auch für die Hauptamtlichen zu entwickeln und vorzuhalten. Dabei sollte zwischen Fortbildungen für Fachkräfte mit und ohne Vorerfahrungen unterschieden und den unterschiedlichen Bedarfen von Ehren- und Hauptamtlichen Rechnung getragen werden.
Neben Bestandteilen der interkulturellen bzw. kultursensiblen Jugendarbeit muss hierbei ein breites Themenspektrum Beachtung finden. Hier sind u.a. folgende Themen zu nennen: Sensibilität für Diversität, Lebenslagen junger Geflüchteter, rechtliche Situation,Auseinandersetzungen mit den Fluchtursachen aus den Heimatländern, pädagogische Ansätze, Herausforderungen und Zugänge für eine Partizipation und Teilhabe von jungen Menschen sowie Umgang mit Fluchterfahrung und Traumata.

Gesamtverantwortung des Landes

Im Rahmen der Gesamtverantwortung für die Jugendarbeit in Niedersachsen ist es Aufgabe des Landes, dafür zu sorgen, dass für die Jugendarbeit mit jungen Geflüchteten eine Weiterentwicklung und ein gleichmäßiger Ausbau stattfindet. Die entsprechenden ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Akteurinnen und Akteure müssen in die Lage versetzt werden, sowohl den neuen Ansprüchen als auch den bisherigen Zielgruppen gerecht werden zu können! Daher sollte ein Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen kommunalen Akteuren ermöglicht und der Transfer von Beispielen guter Praxis in andere Kommunen erleichtert werden.
Rechtliche Unsicherheiten, die das Engagement der Träger der Jugendarbeit erschweren – wie z.B. die Frage nach Führungszeugnissen für ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagierte junge Geflüchtete – sollten durch entsprechende Empfehlungen bzw. Klarstellungen beseitigt werden. Ferner muss das Land dafür sorgen, dass in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften die UN-Kinderrechtskonvention beachtet wird, die für alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen gilt und damit auch für junge Geflüchtete. Dieses kann z.B. dadurch erfolgen, dass sich dafür eingesetzt wird, die Mindeststandards, die vom unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs des Bundes zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften herausgegeben worden sind, umzusetzen. Ferner müssen junge Menschen in Flüchtlingsunterkünften Beteiligungsmöglichkeiten im Sinne z.B. einer Beteiligung an speziellen Angeboten für dort lebende Kinder und Jugendliche haben.
Migrant-inn-enjugendselbstorganisationen kommt bei der Integration junger Geflüchteter oftmals eine besondere Bedeutung zu. Diese müssen durch entsprechende Ressourcen auf allen Ebenen in die Lage versetzt werden, zur Teilhabe junger Geflüchteter beizutragen.

Hannover im April 2016
LANDESBEIRAT FÜR JUGENDARBEIT
Positionspapier

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