Abschiebung aus Bodenburg

Anliegend übersenden wir einen Artikel der HAZ vom 13.1.2009 über die Abschiebung eines Armeniers, die trotz eines Selbstmordversuches Stunden vor der Abschiebung durchgeführt wurde. Der Fall wirft viele Fragen auf:

  • Ein nervenärztlicher Gutachter aus Lüneburg hat offenbar lange vor dem Abschiebetermin im Auftrag des Landkreises Hildesheim die Reisefähigkeit bestätigt. Handelt es sich dabei um den berüchtigten Dr. Vogel, der im Verdacht steht, mit fachlich ungenügenden Gefälligkeitsgutachten im Auftrag der Ausländerbehörden grundsätzlich jeden vorgestellten Flüchtling für reisefähig zu erklären?
  • Spätestens mit dem Suizidversuch des Arkadin H. hat sich das Gutachten des Arztes aus Lüneburg als falsch erwiesen. Warum hat der Landkreis Hildesheim als zuständiger Abschiebungsbehörde trotz der offenkundigen Suizidalität des Flüchtlings die Abschiebung nicht ausgesetzt?
  • Nach Aussagen der Behörden wurde ein Suizid durch polizeiliche ßberwachung und ärztliche Begleitung während der Abschiebung verhindert. Wie aber wird gewährleistet, dass sich Arkadin H. nicht unmittelbar nach der Abschiebung in Armenien das Leben nimmt?

gez. Karim Alwasiti

HAZ 13.1.2009 – Abschiebe-Drama: Armenier will sich umbringen

(cwo) Dramatische Szenen bei einer Abschiebung im Bad Salzdetfurther Ortsteil Bodenburg: Als am Montag die Polizei bei ihm auftauchte, ließ sich ein Armenier (27) aus einem Fenster im dritten Stock gleiten. Die Polizisten ergriffen im letzten Augenblick sein Bein und zogen den kopfüber am Giebel hängenden Mann zurück. Am Nachmittag wurde er abgeschoben.

Es wusste, dass ihm die Abschiebung drohte. Doch als die beiden Bad Salzdetfurther Polizisten am Morgen um 7.15 Uhr an seiner Zimmertür im ehemaligen „Schlichthaus“ Am Bruderstieg klopften, kam das für Arkadin H. (27) unerwartet. Er öffnete den Beamten, hielt sich dann jedoch ein Messer mit einer zehn Zentimeter langen Klinge gegen die Halsschlagader. Rückwärts ging der Mann auf sein geöffnetes Zimmerfenster zu. Dann ließ er sich plötzlich über die Fensterbank nach draußen fallen. Beide Polizisten sprangen nach vorn. Schnell genug.

Einer schaffte es, das Fenster zuzudrücken und den Mann einzuklemmen, der andere bekam H. am Gürtel und am Hosenbein zu fassen. Rücklings und kopfüber baumelte der Armenier an der Giebelwand, hielt sich weiter das Messer gegen den Hals. Das gute Zureden der Beamten zeigte jedoch Wirkung. Unverletzt ließ sich der 27-Jährige zurück ins Zimmer ziehen.

Das Drama aber ging weiter. Während die Feuerwehr vor dem Fenster ein Sprungkissen aufbaute und die Polizei die Umgebung abriegelte, hielt sich Arkadin H. noch immer das Messer gegen den Hals. Die Polizisten, eine Notärztin, ein Mitarbeiter der Zentralen Abschiebestelle Langenhagen (ZASt), schließlich auch H.s Zimmernachbar Michael Oguama (26), – sie alle versuchten, den Mann zu beschwichtigen. „Junge, nimm erstmal das Messer runter“, will etwa Oguama gesagt haben. Ohne Erfolg.

Das Blatt wendete sich erst nach etwa einer Stunde. Als der Armenier kurz unkonzentriert war, sprangen die Polizisten und der Mitarbeiter der Abschiebestelle auf den 27-Jährigen und überwältigten ihn. Bei dem Gerangel erlitt der ZASt-Mann eine stark blutende Schnittwunde am Handgelenk, die später ambulant in einem Hildesheimer Krankenhaus behandelt wurde. Arkadin H. wurde laut Polizei im Streifenwagen zum Frankfurter Flughafen gebracht. Bereits um 15 Uhr wurde er über Moskau nach Eriwan abgeschoben.

„Fragwürdig“ nannte das Karim Al Wasiti vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. H. sei hochgradig suizidgefährdet. Man habe ihn deshalb nicht ausweisen dürfen. Die Bemühungen des Flüchtlingsrats, über die Abschiebebeobachterin am Frankfurter Flughafen einen Aufschub zu erwirken, zeigten jedoch keine Wirkung.

Laut Landkreis war Arkadin H. sehr wohl reisefähig. Ein nervenärztlicher Gutachter aus Lüneburg habe dies bestätigt. H. sei unter medizinischer Begleitung in sein Heimatland abgeschoben worden, weil er trotz mehrfacher Aufforderung nicht freiwillig ausgereist war. Der Armenier ist im Jahr 2004 mit seinem Bruder nach Deutschland gekommen. Unter falschem Namen soll er Asyl beantragt haben. Laut Landkreis gab er an, keine Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er habe 16 Jahre bei Moskau gelebt, seine armenische Mutter sei gestorben, sein aserbaidschanischer Vater verschollen.

Wie der Landkreis Hildesheim mitteilte, hat sich diese Geschichte als falsch herausgestellt. Mit Hilfe der Deutschen Botschaft in Armenien seien die Brüder identifiziert worden. Die Mutter sei keinesfalls tot, sie lebe gemeinsam mit ihrem Mann, dem Vater der Brüder, in Armenien. Die armenischen Behörden haben inzwischen auch so genannte Passersatzpapiere für Arkadin H. ausgestellt.

DIE LINKE übt scharfe Kritik „Zynisch und menschenverachtend“

DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag hat die Abschiebungspolitik des Landes Niedersachsen erneut als zynisch und menschenverachtend kritisiert. Anlass ist der Selbstmordversuch eines armenischen Asylbewerbers heute (Montag) in Bad Salzdetfurth (Landkreis Hildesheim). „Dieser Fall belegt exemplarisch, wie inhuman die Flüchtlingspolitik des Landes ausgerichtet ist“, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann. Dass der Mann trotz des Selbstmordversuchs heute noch abgeschoben wurde, sei skandalös und absolut nicht nachzuvollziehen. Zimmermann betonte, dass Niedersachsen einen grundsätzlichen Wechsel in der Flüchtlingspolitik benötige.

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