Als Ergebnis der Flüchtlingskonferenz vom Februar 2015 wurde das niedersächsische Kultusministerium beauftragt, einen Arbeitskreis Sprachförderung einzurichten, welcher daraufhin an drei Terminen im April, Mai und Juni 2015 tagte. Teilnehmende des Arbeitskreises waren Vertreter:innen von Kommunen und Verbänden. Im Rahmen des Arbeitskreises sollten best practice Beispiele und deren Übertragbarkeit auf andere Städte und Landkreise diskutiert werden. Zentral war die Frage, wie mit Hilfe vorhandener Ressourcen und Modelle die Sprachförderung in Niedersachsen kurzfristig verbessert und vernetzt werden kann, ohne dass die Politik zusätzliche Gelder bereitstellt. Der Arbeitskreis sollte einen Wissenstransfer fördern.
Der Flüchtlingsrat begrüßt beispielhafte Praxismodelle der Kommunen, fordert jedoch weiterhin eine basale Sprachförderung durch den Bund (Integrationskurse) und das Land (insbesondere für 18-25jährige Flüchtlinge). Die Umsetzung unserer Forderungen hierzu steht immer noch aus.
Im Arbeitskreis Sprachförderung wurden drei unterschiedliche kommunale Aufnahmekonzepte thematisiert. Im Rahmen der lebenslaufbezogenen Präventionskette Salzgitter werden Flüchtlinge vom ersten Tag an von haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuern unterstützt und in städtische Regelstrukturen integriert (niedrigschwellige Deutschkurse, Arbeitsmarktberatung, etc.). Im Garbsener Modell wird Sprachförderung im Rahmen des Regelunterrichts oder nach dem Regelunterricht als Kleingruppenunterricht für Schüler:innen mit Fluchthintergrund angeboten. Das Netzwerk Integration Emden unterstützt erwachsene Flüchtlinge bei der Teilnahme an Deutschkursen, die von der Kommune bezuschusst werden.
Ergänzend zu den im Arbeitskreis diskutierten Konzepten sei darauf hingewiesen, dass Flüchtlinge im südlichen Niedersachsen (Stadt und Landkreis Göttingen, LK Osterode und LK Northeim) über kommunal geförderte Deutschkurse auf A1-Niveau gebracht werden. Das Konzept für Stadt und Landkreis Göttingen sieht darüber hinaus vor, dass sich durch die Arbeitsagentur geförderte Maßnahme nach § 45 SGB III (Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) anschließen, die einen hohen Sprachanteil aufweisen an. So ergibt sich eine sinnvolle Förderkette, die bereits frühzeitig nach der Ankunft in Deutschland ansetzt. Dabei ist hervorzuheben, dass dieses Konzept bereits erprobte Praxis ist und durch das ESF-geförderte Arbeitsmarktprojekt FairBleib Südniedersachsen-Harz begleitet wird.
Zusätzlich sollten besondere Problemlagen und thematische Schwerpunkte identifiziert werden (z.B. fehlendes Lehrpersonal, Seiteneinsteiger:innen zwischen 14 und 16 Jahren, etc.). Der Arbeitskreis formulierte Gelingensfaktoren, die zur verbesserten Sprachförderung beitragen sollen (z.B. Qualifizierung von Personal, Bereitstellung von Ressourcen, Öffnung der Integrationskurse, etc.). Der Arbeitskreis kam zu dem Schluss, dass die best practice Beispiele gut auf andere Kommunen übertragbar sind, aber nicht auf Landkreise, insbesondere nicht auf große Flächenlandkreise.
Der Flüchtlingsrat betrachtet das Fazit des Arbeitskreises als positives Zwischenergebnis. Es ist sinnvoll, die vorhandenen Ressourcen und Aufnahmekonzepte kommune- und landkreisübergreifend zu optimieren, auch vor dem Hintergrund, dass nicht jede Kommune und nicht jeder Landkreis in Niedersachsen ein Aufnahmekonzept entwickelt hat. Wo die best practise Beispiele nicht ausreichen und/oder nicht übertragbar sind, gibt es Handlungsbedarf, dem durch Veränderung der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden muss.
Ein zentrales Problem im Kontext der Sprachförderung besteht im beschränkten Zugang zu Integrationskursen. Asylsuchende und Geduldete haben bisher keinen Rechtsanspruch auf einen Integrationskurs. Auf Bundesebene steht zwar die Öffnung der Integrationskurse kurz bevor, aber dabei soll eine Selektion stattfinden. Nur Asylsuchende und Geduldete „mit guter Bleibeperspektive“ sollen einen Anspruch auf einen Integrationskurs erhalten. Wie eine „gute“ Bleibeperspektive definiert ist (die Rede war von einer Anerkennungsquote von mehr als 50%), ist bislang noch offen. Eine solche Selektion ist jedenfalls rundweg abzulehnen. Der Staat ist gehalten, Ordnungspolitik und Sozial- bzw. Arbeitsmarktpolitik zu trennen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Aufsehen erregenden Entscheidung zum AsylbLG im Juli 2012 den Gesetzgeber aufgefordert, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen nicht unter den Primat migrationspolitischer Erwägungen zu stellen. Alle Flüchtlinge müssen einen Anspruch auf den Besuch eines Sprachkurses haben.
Eine uneingeschränkte Öffnung der Integrationskurse, wie er auch vom Arbeitskreis Sprachförderung gefordert wird, ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Asylsuchende überhaupt Perspektiven für Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe entwickeln können. „Flickenteppich-Lösungen“, wie z.B. kommunal geförderte Deutschkurse bei Volkshochschulen und die erheblich unterfinanzierten Deutschkurse der berufsbezogenen Sprachförderung (ESF-BAMF-Kurse) können das Problem nicht lösen, allenfalls mindern.
Ein der Sprachförderung nachgelagertes Problem besteht für 18 bis 25jährige, die nicht mehr schulpflichtig sind. Hier ist v.a. das Land gefordert: Für diesen Personenkreis muss ein Schulbesuch bis zum Alter von 21 Jahren, im Ausnahmefall auch bis zu 25 Jahren, ermöglicht werden. Erforderlich ist auch ein Ausbau der Sprachförderklassen in Berufsschulen, eine flexible Bereitstellung von Lehrer:innenstunden zur Förderung von Flüchtlingskindern, ein verstärkter Einsatz von Schulsozialarbeiter:innen sowie die Sicherstellung der Fahrtkosten zu Schule und Ausbildung.
Olaf Strübing
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