Der Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt die Kritik des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius an der Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung sowie die kritische Stellungnahme des Bundesrats zu dem vorliegenden Entwurf.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist geeignet, die Strategie einer menschenfreundlichen Integrationspolitik der niedersächsischen Landesregierung zu konterkarieren und würde zu erheblichen rechtlichen Beeinträchtigungen des Flüchtlingslebens in Niedersachsen führen. Insofern fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen eine grundlegende Überarbeitung des vorliegenden Entwurfs.
Der Bundesrat möchte die Pläne der Bundesregierung zum ausländerrechtlichen Bleiberecht weiter verbessern. In seiner umfangreichen Stellungnahme vom 6. Februar 2015 fordert er, in dem Gesetzentwurf beim Ehegattennachzug das Erfordernis des vorherigen Sprachnachweises zu streichen. Zudem möchte er erreichen, dass Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für Jugendliche auch bei zuvor abgelehnten Asylanträgen erteilt werden können, wenn anerkennenswerte Integrationsleistungen vorliegen.
Die Länder wollen Asylbewerbern und Geduldeten auch die Teilnahme an Integrationskursen ermöglichen, um so eine Verbesserung der Zugangschancen zum Arbeitsmarkt zu erreichen. Für jugendliche Geduldete, die sich in einer Berufsausbildung befinden, wollen sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einführen.
Die Länder plädieren zudem dafür, das Abschiebungshaftrecht um Instrumente der Haftvermeidung – wie zum Beispiel Kautionen – zu ergänzen und die Höchstdauer der Haft von 18 auf 6 Monate zu reduzieren. Der Bundesrat vermisst Regelungen im Aufenthaltsrecht, die eine schnelle Arbeitsmarktintegration und die Sicherung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft gewährleisten. Er bittet daher, den Gesetzentwurf im weiteren Verfahren entsprechend zu ergänzen.
Leider ist der Einfluss des Landes Niedersachsen im laufenden Gesetzgebungsverfahren beschränkt, dal es sich um ein zustimmungsfreies Gesetzgebungsverfahren handelt, bei dem der Bundesrat zwar gehört wird, aber keinen Einfluss hat. Nachfolgend die wichtigsten Kritikpunkte:
Bleiberecht für Heranwachsende
Nach dem Gesetzestext wird in § 25a AufenthG die Bleiberechtsregelung für geduldete Jugendliche verbessert. Allerdings erfolgt in Absatz 1 Satz 1 eine Befristung der Antragstellung auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 21. Lebensjahres. Im Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums war noch eine Antragstellung bis zum 27. Lebensjahr vorgesehen. Die Altersgrenze von 27 Jahren entspricht der Definition von „jungen Menschen“ i.S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII. Schon aus systematischen Gründen würde eine Orientierung auf das Kinder- und Jugendhilferecht Sinn machen. Es ist aber darüber hinaus nicht nur im Interesse der jungen Menschen, sondern auch unserer Gesellschaft, dass sie die Chance auf ein Bleiberecht erhalten. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert, die ursprünglich vorgesehene Fristsetzung von 27 Jahren beizubehalten. Es ist nicht nachvollziehbar, die hier lebenden jungen Menschen von einem Aufenthaltsrecht auszuschließen.
Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete: Künftige Bleiberechtsfälle
Aus vielfältigen guten Gründen hat sich die Regierungskoalition für eine sogenannte rollierende Bleiberechtsregelung entschieden. Allerdings enthält der Gesetzestext nun im Einzelfall oft unüberwindbare Hürden, die geeignet sind, eine Bleiberechtsregelung für künftig Einreisende leerlaufen zu lassen. Nach §11 Absatz 6 wird Ausländerbehörden die Möglichkeit eingeräumt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen, wenn die Überschreitung der Ausreisefrist nicht unerheblich ist. Dies trifft auf den Großteil der Geduldeten zu. Ausländerbehörden können also künftig Geduldeten ein solches Aufenthaltsverbot erteilen. Das führt aber dazu, dass für die Dauer der Geltung des Aufenthaltsverbotes keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf. Die in §11 Absatz 6 vorgesehene Befristung auf zunächst ein Jahr wird in der Praxis unerheblich sein, da die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Ausländer tatsächlich ausgereist ist. Man schafft hier also ein scharfes Schwert, das restriktive Ausländerbehörden in die Lage versetzt, Kettenduldungen auf Dauer zu erteilen.
Ausweitung der Inhaftnahme von Personen, die unter die Dublin-Regelungen fallen
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist in großer Sorge, dass die Neuformulierung der Haftgründe so gestaltet ist, dass in sehr vielen Fällen eine Inhaftierung möglich sein wird. Neben den sechs Haftgründen in §2 Absatz 14 möchten wir besonders auf den neu formulierten Haftgrund in §2 Absatz 15 hinweisen. Demnach soll die Dublin-Haft möglich sein, „wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsprüfung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat….“. Dies würde dazu führen, dass eine Vielzahl der Asylsuchenden, die vermeintlich unter die Dublin-Verordnung fallen, in Haft genommen werden kann. Eine solche Praxis würde unserer Auffassung nach gegen die geltende Dublin-III-Verordnung verstoßen. Nach Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO dürfen Personen nicht allein deswegen in Haft genommen werden, weil sie dem durch die VO festgelegten Verfahren unterliegen.
Ebenfalls besonders kritikwürdig ist der Haftgrund gem. § 2 Abs. 14 Nr. 4. Danach kann ein Ausländer inhaftiert werden, der zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt hat. Wie sollen Schutzsuchende ohne professionelle FluchthelferInnen einreisen, wenn ihnen legale Möglichkeiten und Wege weitgehend verwehrt bleiben? Seit 1980 hat Deutschland systematisch die Visa-Pflicht für alle Herkunftsländer von Asylsuchenden eingeführt. Flankiert wurde dies mit der Schaffung von Sanktionsregelungen für Transportunternehmen. Flüchtlinge können in der Regel nicht auf legalem Weg nach Deutschland reisen. Ein Visum wird ihnen nicht ausgestellt. Sie sind deshalb auf Fluchthelfer angewiesen, um Schutz in Europa suchen zu können. Dies spiegelt aus unserer Sicht einen systemischen Widerspruch.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert grundsätzlich die Absicht des Gesetzgebers, eine Inhaftierung von Asylsuchenden in Dublin-Verfahren zu ermöglichen. Haft ist eine absolut unangemessene Maßnahme gegenüber Schutzsuchenden und steht in keinem Verhältnis zu den vermeintlichen Gründen einer Inhaftnahme. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Asylsuchenden traumatisiert oder aus anderen Gründen besonders schutzbedürftig ist, was aktuell im deutschen Verfahren schwerlich in einem geordneten Verfahren erkannt und beurteilt werden kann.
Wiedereinreisesperren sind unverhältnismäßig
Nach dem Gesetzentwurf ist unter anderem geplant, Personen mit negativem Asylbescheid aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ mit einer Wiedereinreisesperre zu versehen. Nachdem man bereits in Verkennung massiver menschenrechtlicher Defizite in den Staaten des Westbalkans eine diskriminierende Sonderbehandlung im Asylverfahren durch den sog. zweiten Asylkompromiss durchgesetzt hat, drohen nun weitere Diskriminierungen. Wenn Asylsuchende aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien EU-weit mit einer Einreisesperre versehen werden, flankiert dies auf fatale Weise die Politik mindestens zweier dieser Staaten, insbesondere Roma schon an der Ausreise zu hindern, sie nach einer Wiedereinreise/Abschiebung wegen ihres angeblich „illegalen“ Auslandsaufenthaltes bzw. der angeblichen Angabe falscher Tatsachen zu befragen und teilweise zu sanktionieren.
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