Protest gegen Gutschein-System in Celle

Nach wie vor weigert sich der landkreis Celle, die diskriminierenden Gutscheine für Flüchtlinge abzuschaffen, weshalb jetzt die Celler Gutschein-Initiative eine öffentliche Tauschveranstaltung organisiert hat, siehe Cellesche Zeitung 01.06.2013. Nachfolgend zwei Presseberichte aus der Celler Presse und aus dem Weser-Kurier zu den gelungenen Gutscheinumtausch-Aktionen im Landkreis Celle:

Celler Presse 01.06.2013: Bargeld statt Gutscheine für Flüchtlinge

CELLE. Was schon seit einigen Jahren weniger spektakulär praktiziert wird, fand nun vor dem Celler Sozialamt öffentlich statt: Asylbewerber waren aufgerufen, ihre Einkaufsgutscheine zu Geld zu machen. Mit dieser Aktion will die „Gutschein-Tauschinitiative“, politischen Druck auf Landrat Klaus Wiswe (CDU) ausüben. Ein Sprecher der Initiative erklärt: „Wir sind eine Initiative, die gegen die diskriminierende Praxis der Gutscheinausgabe an Flüchtlinge protestiert und den Landkreis dazu auffordert, von dieser Praxis abzuweichen, weil es mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist.“

Wie der Sprecher weiter verlauten lässt, handelt es sich nicht um eine Mitgliederorganisation sondern um eine Kampagne, „die wir anlässlich der katastrophalen und diskriminierenden Aktion des Landkreises führen wollen.“ Im Fokus der Initiatoren ist einerseits die umständliche Handhabung der Gutscheine, vor allem aber, dass beim alltäglichen Einkauf mit Wertgutscheinen eine Stigmatisierung stattfinde. Dies stelle eine permanente Verletzung der Menschenwürde dar. Die ablehnende und abwehrende Stimmung gegenüber Flüchtlingen werde dadurch gefördert.

Kritisiert wird vor allem. dass es mit den Wertgutscheinen unmöglich sei, z.B. Medikamente in Apotheken, Busfahrscheine in Bussen, Briefmarken oder ein Eis in der Eisdiele zu kaufen. Auch sei es nicht möglich, in „normalen“ Einzelhandelsgeschäften einzukaufen – in der  Regel nehmen nur die großen Discounter Gutscheine entgegen. Mit der Tauschaktion kommen nun die Asylsuchenden in den Besitz des Bargeldes und die Förderer der Aktion in den Besitz der Gutscheine, mit denen sie dann selbst einkaufen gehen, um das System in der Praxis testen zu können. Von der Gutschein-Tauschinitiative wird bedauert, dass für die Aktion nicht alle Betroffenen erreicht werden konnte, da ihnen der Zugang zu den Medien in vielen Fällen nicht möglich sei.

Die SPD im Stadtrat hatte kürzlich einen Vorstoß mit einem Antrag initiiert, um eine Bargeldausgabe zu ermöglichen. „Das  Gutscheinsystem diskriminiert nicht nur die Asylsuchenden, es ist auch teuer durch einen hohen Verwaltungsaufwand“, begründet Dr.   Jörg Rodenwaldt, Mitglied des Sozialausschusses der Stadt Celle, den neuesten Antrag der SPD-Stadtratsfraktion. „Zudem ist der Einkauf   nur in bestimmten Geschäften möglich.“ Allerdings musste die SPD einräumen, dass das Verfahren in den Händen des Landkreises liege.

Landrat Klaus Wiswe ist von seiner kategorischen Abwehrhaltung zwischenzeitlich abgerückt und räumt ein, er wolle in den nächsten Wochen systematisch und gezielt, vor allem ergebnisoffen ermitteln lassen, ob derartige Umstände zu verzeichnen sind und ob sie den Umstieg auf Bargeld tragen. Bislang wurde von Betreibern der Tauschaktion die vorherige Position des Landkreises nicht als rechtliche sondern als politische Fragestellung eingestuft.

Zu den Unterstützern der Tauschaktion gehören u. a. Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende (SPD), die SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann und der SPD-Landtagsabgeordnete Maximilian Schmidt, der dazu erläuterte, dass mittlerweile 43 von 48 Landkreisen in Niedersachsen auf Bargeldleistungen „umgestiegen“ seien. Es sei auch nicht eine Frage des Zeitgeistes sondern eine Frage der Würde des Menschen. In dieser Frage hinke der Landkreis Celle noch nach. Schmidt begrüßte es, dass Landrat Klaus Wiswe signalisiert habe, alle rechtlichen Spielräume noch einmal neu bewerten zu wollen. Das solle zügig geschehen, damit der Landkreis Celle nicht der letzte in  Niedersachsen ist, der das diskriminierende Verfahren mit den Gutscheinen praktiziere.

Kirsten Lühmann äußerte ihr Unverständnis, dass bei Einschränkung von freiwilligen Leistungen die Stadt verpflichtet werde, eine Regelung aufrecht zu erhalten, die erhebliche Verwaltungskosten verursache. Lühmann: „Es stellt sich eine ganz einfache Rechnung: Soll die Stadt Celle Verwaltungsgeld ausgeben, um eine unsinnige Gutscheinregelung für Asylsuchende aufrecht zu erhalten, oder sollte man das Geld nicht besser dafür ausgeben, um die Kinderbetreuung zu verbessern?“ Lühmann hofft, dass es nach dem 22. September 2013 die Mehrheit im Bund dafür geben werde, um grundsätzlich die Regelungen eindeutig zu ändern. Wie Maximilian Schmidt ergänzte, werde schon jetzt in den ro/grün-regierten Ländern Bargeldauszahlung vorgenommen; diese wollen sich auch dafür einsetzen, dass das Verfahren auf Bundesebene durchgesetzt werde.

Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende beruft sich bei der Thematik auf einen Erlass des Innenministers, nach dem schon jetzt Barauszahlungen an die Asylbewerber geleistet werden können. Mende: „Das ist die kostengünstigere Art und Weise für die Stadtverwaltung dafür zu sorgen, dass sich die Asylbewerber die notwendigen Lebensmittel organisieren können.“ Die Gutscheine, so Mende, seien eine Barleistung für ein Sachleistungssurrogat, und diese Leistungen kenne man nur als Bargeld und nicht in Form von Gutscheinen. Dass die Gutscheine hier zu Geld gemacht werden, unterstütze er inhaltlich, rein juristisch sei es zweifelhaft. Mende: „Ich sehe mich nicht in der Situation, dass ich dagegen intervenieren muss.“

Redaktion Celler Presse

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Weser-Kurier 01.06.2013

Protest gegen Gutschein-System in Celle
Initiative will Bargeld für Flüchtlinge

Von Joachim Göres

Celle. Flüchtlinge erhalten ihre monatliche Beihilfe in Niedersachsen meistens in Bargeld. Im Landkreis Celle gilt jedoch noch ein Gutschein-System, das nach Ansicht des Flüchtlingsrats diskriminierend ist. Eine Initiative hat einen Weg gefunden, mit dem die Flüchtlinge an Bargeld kommen.

Ein erwachsener Flüchtling erhält im Monat 354 Euro. Fast überall in Niedersachsen bekommt er diese Summe in bar ausgezahlt – nur in den Landkreisen Celle, Vechta und Harburg wird nach Angaben des Niedersächsischen Flüchtlingsrates an der Politik des ehemaligen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) festgehalten. Die sieht vor, dass die Kommunen Leistungen für Asylbewerber überwiegend in Wertgutscheinen erbringen. Dagegen protestierte gestern vor dem Sozialamt Celle die Gutschein-Tausch-Initiative Celle. Sie bietet den Flüchtlingen an, ihre Gutscheine gegen Bargeld zu tauschen: Wer helfen will, kauft den Flüchtlingen Gutscheine ab – die können gegen Lebensmittel und Kleidung eingetauscht werden. Auf diese Art und Weise haben die Flüchtlinge Geld zur Verfügung, das sie für Dienstleistungen brauchen, die nicht mit Gutscheinen zu bekommen sind.

„Nur durch den Umtausch unserer Gutscheine gegen Geld kann ich zu meinem Anwalt nach Bremen fahren oder Medikamente kaufen“, sagt der Iraner Ali Arab Ameri, der vor einem Jahr zusammen mit seiner Frau nach Deutschland kam. Er sei darauf angewiesen, denn die Bahn, Rechtsanwälte und auch Apotheken würde Gutscheine nicht akzeptieren.

Laut Kai Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, nehmen gerade kleinere Läden auf dem Dorf keine  Wertgutscheine an. Asylbewerber müssten lange Wege zurücklegen, um damit einkaufen zu können. Zudem sei es diskriminierend, nicht mit Bargeld bezahlen zu können, so Weber. „An der Kasse gucken einen die Leute oft komisch an, wenn man statt eines Geldscheins mit einem weißen Zettel bezahlt“, sagt Arab Ameri. „Einige Kassiererinnen reagieren auch unfreundlich.“ Er betont, dass es für Flüchtlinge wichtig sei, für möglichst wenig Geld einzukaufen. „Günstige Second-Hand-Sachen gibt es zum Beispiel bei E-Bay, aber dort kann man mit Gutscheinen nichts anfangen“, so Arab Ameri. Er habe bislang auch vergeblich versucht, Bücher, Busfahrkarten oder Rasierklingen mit Wertgutscheinen zu bezahlen.

Dirk Ulrich-Mende (SPD), Oberbürgermeister von Celle, begrüßt die Aktion der Celler Gutschein-Tausch-Initiative. „Bei der Stadt Celle haben wir eine Vollzeitstelle nur für die Abrechnung der Wertgutscheine“, sagt er. „Die Personalkosten in Höhe von jährlich 40000 Euro könnte ich wesentlich sinnvoller einsetzen.“ Der CDU-regierte Landkreis Celle vertritt einen anderen Standpunkt: Das Asylbewerberleistungsgesetz sehe vor, dass Wertgutscheine Vorrang vor einer generellen Bargeldauszahlung hätten und es somit rechtlich nicht möglich sei, dass Asylbewerber ihre Beihilfe in bar erhalten. Das sieht das SPD-geführte Innenministerium in Hannover anders. Es betont, dass es den Landkreisen und kreisfreien Städten seit einer Verordnung des Innenministeriums vom Februar freigestellt sei, in welcher Form sie die Leistungen für Asylsuchende erbringen. Dieser Meinung ist auch Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD): „Die Landesregierung begrüßt es ausdrücklich, dass die Leistungsbehörden ihren Entscheidungsspielraum genutzt und die Zahlung von Bargeld realisiert beziehungsweise veranlasst haben“, heißt es in einer Stellungnahme im Landtag zu einer Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat (Grüne).

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