In der Bundesrepublik Deutschland sind Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus von der regulären Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Nur in Bezug auf bestimmte übertragbare Krankheiten wird ihnen von staatlicher bzw. kommunaler Seite ein sehr begrenzter Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeräumt.
Zur Anzahl der Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland gibt es nur Schätzungen und diese schwanken von 100.000 bis über eine Million Menschen. Die Angaben sind abhängig davon, ob ausschließlich Personen, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten oder auch Pendler einbezogen werden. Cyrus geht von 500.000 bis über eine Million Betroffenen aus (Cyrus 2004: 32). Im Bericht der unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ („Süssmuth-Kommission“) wird die geschätzte Anzahl von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus mit 100.000 bis eine Million Menschen angegeben. Es wird jedoch eingeräumt, dass es sich dabei eher um eine Spekulation handelt.
„Unbestritten ist jedoch, dass Deutschland einem enormen illegalen Migrationsdruck ausgesetzt ist.“ (Bericht der unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ 2001: 196)
Auf absehbare Zeit werden viele Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Seit Mitte der neunziger Jahre ist diese heterogene Bevölkerungsgruppe auch in den Blickpunkt der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland gerückt. In den europäischen Nachbarländern wie Großbritannien und den Niederlanden und in den USA kann die Forschung auf einen längeren Zeitraum zurückschauen. In Deutschland sind es örtlich beschränkte Studien (Leipzig und München), die einen detaillierten, aber lokalen Einblick in die Lebens- und Arbeitssituation von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus geben. Auch die Migrationsforschung befasst sich mit diesem Themenbereich. Unterschiedliche Flüchtlingshilfe- und Menschenrechtsorganisationen aus dem kirchlichen und nicht-kirchlichen Bereich weisen in ihrer ßffentlichkeitsarbeit auf die Problemlagen hin, mit denen diese Menschen konfrontiert sind: Lebens-, Arbeits- und Wohnbedingungen, fehlender Zugang zu Schulbildung für Kinder ohne Aufenthaltsstatus und die Gesundheitsversorgung dieser Menschen.
Zu Migranten, die legal in Deutschland leben, gibt es Untersuchungen. Es besteht aber weiterhin ein enormer Forschungsbedarf in Bezug auf Morbidität, Mortalität, Gesundheitsrisiken, Gesundheitsversorgung und Primärprävention. Im Hinblick auf Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus tappen wir noch im Dunkeln. Bis dato gibt es keine sozialepidemiologischen Erkenntnisse über Prävalenz verschiedener Erkrankungen, Gesundheitsrisiken und Primärprävention, die als repräsentativ angesehen werden können. Teilweise werden Daten von Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung erfasst. Aber auch diese sind nicht repräsentativ.
Die vorliegende Abschlussarbeit (Master Thesis) im Rahmen des Aufbaustudiengangs „Master of Public Health“ rückt diese Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in den Mittelpunkt. Ziel ist es, Erkenntnisse über die Gesundheitsversorgung zu gewinnen und den Versorgungsbedarf von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu ermitteln. Es soll den Fragen nachgegangen werden, unter welchen Bedingungen die Gesundheitsversorgung statt findet, welche gesundheitlichen Versorgungsmaßnahmen unter den gegebenen Bedingungen realisierbar sind und wo sich unüberwindbare Grenzen auf tun. Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung wurden Experten und Schlüsselpersonen, die in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus tätig sind, interviewt. Dies waren ßrzte, haupt- und ehrenamtliche Berater von Beratungs- und Anlaufstellen und eine Privatperson. Dabei handelte es sich um Deutsche und Personen mit Migrationshintergrund. Die Ergebnisse dieser qualitativen Untersuchung können aufgrund der begrenzten Anzahl von neun Interviews nur eine Tendenz aufzeigen.
Zu Beginn dieser Arbeit bestand die ßberlegung, sowohl Experteninterviews als auch Interviews mit Menschen zu führen, die ohne Papiere in Deutschland leben. Bald stellte sich jedoch heraus, das letzteres in der für die Arbeit eingeräumten Zeit nicht zu realisieren war, da zunächst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden müsste, um schließlich auch den Tatsachen entsprechende Aussagen zu erhalten. Der erschwerte Zugang zu diesen Menschen, aufgrund ihres Misstrauens und ihrer ßngste vor Abschiebehaft und Abschiebung wurde bereits von verschiedenen Autoren genannt.
Aufgrund der begrenzten zeitlichen Ressourcen musste auch auf die Betrachtung der spezifischen Situation der gesundheitlichen Versorgung und des Versorgungsbedarfs von Kindern ohne legalen Aufenthaltsstatus sowie von psychisch kranken und traumatisierten Menschen verzichtet werden.
Beides sind jedoch wichtige Aspekte. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der fehlende Zugang zur Gesundheitsversorgung und Primärprävention negative Konsequenzen für die Betroffenen und ihr Umfeld mit sich bringt. Demzufolge können Menschen ohne Aufenthaltsstatus als äußerst vulnerable Bevölkerungsgruppe angesehen werden. Die Aufgabe von Public Health ist es, gesundheitliche Ungleichheit und damit zusammenhängend den eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Prävention und Gesundheitsförderung, bezogen auf unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen, deutlich zu machen und sich für deren Abhilfe einzusetzen.
Die fehlende gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus wirft auch ethische und humanitäre Fragen auf. In diesem Zusammenhang müssen folgende im Grundgesetz verankerte Grundrechte genannt werden: Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Artikel 1 Absatz 1), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2) sowie das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Herkunft, Religionszugehörigkeit etc. (Art. 3 Abs. 3).
In der vorliegenden Arbeit werden zunächst verschiedene Aspekte behandelt, die zum Verständnis der Hintergründe der Gesundheitsversorgung und des Versorgungsbedarfs von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus relevant sind. Hierunter fallen Begriffsbestimmungen, Gründe der Migration und rechtliche Rahmenbedingungen. Bisher gibt es nur wenige Daten zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Um Rückschlüsse ziehen zu können, wird deshalb die spezifische Lage von Migranten mit Aufenthaltsrecht und deren gesundheitliche Versorgung dargestellt.
Daran schließt sich die qualitative Untersuchung der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus anhand von Interviews an. Nach einem ßberblick über die Methode und die Durchführung der Interviews folgt deren Auswertung. Abschließend werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus reflektiert und es werden in diesem Zusammenhang einige gesundheitspolitische Aspekte betrachtet.
Auf die Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Form wurde wegen der besseren Lesbarkeit verzichtet und nur die männliche Form verwendet.