Sterben, wo andere Urlaub machen. Wasserleichen werden zwischen die Sonnenbadenden an kanarische und andalusische Strände gespült. In natodrahtbewehrten Zäunen spanischer Enklaven auf marokkanischem Territorium flattern blutige Kleidungsfetzen erfolgloser Grenzgänger im Wind. Griechische Küstenwächter prügeln Asylsuchende zurück in die See. Nordafrikanische Türsteherstaaten verhaften im europäischen Auftrag durchreisende Flüchtlinge, internieren sie in Lagern oder deportieren sie in die Wüste. Europaweit organisierte Abschiebungsflüge liefern die Geflüchteten an ihre Herkunfstländer aus. Die europäische Flüchtlingsabwehr fordert zu Lande, zu Wasser und in der Luft jährlich viele Tausend Opfer.
Multilaterale Abschottungspolitik hat nationale Entsprechungen. Im Grenzland zu Dänemark sind 600 Bundespolizisten allein mit dem Aufspüren durchreisender Flüchtlinge beauftragt. Länderinnenbehörden isolieren Flüchtlinge in zentralen Lagern. Abgesehen von irakischen Anträgen sind die Asylquoten weiterhin im Keller. Bei zahlreichen Anerkannten wird der Flüchtlingsstatus widerrufen. Die Integration von Flüchtlingen ist nicht gewünscht. Härtefallkommissionen beweisen Härte. Krankheit erfährt keine Rücksicht und Kinderflüchtlinge erleben keine echte Obhut. Westdeutscher Verwaltungsrassismus steht dem im Osten nicht nach. Initiativen gegen Abschiebung drohen Ermittlungsverfahren. Von Abschiebung Bedrohte fliehen in den Suizid. Rückkehrberatung mündet in eine Zukunft ohne Perspektive.
Doch es gibt auch Hoffnung: Nach anhaltenden Protesten hat das BAMF die Widerrufspraxis zumindest für Flüchtlinge aus dem Irak nahezu eingestellt und erkennt die aus dem Bürgerkrieg fliehenden Menschen inzwischen überwiegend als Flüchtlinge an. Inzwischen würdigt das BAMF in mehr Fällen geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund “ UNHCR spricht von einem „Paradigmenwechsel“. Die Europäische Qualifikationsrichtlinie wurde zwar nur unzureichend in die nationale Gesetzgebung implementiert, sie ist aber unmittelbar geltendes Recht und bietet neue Möglichkeiten der Durchsetzung von Schutzansprüchen. Die gesetzliche Altfallregelung weckt bei Geduldeten in Deutschland neue Bleiberechtshoffnungen. Jugendliche Flüchtlinge organisieren sich bundesweit und debattieren selbstbewusst und öffentlich den innenpolitischen Mainstream. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung fordert die ßffnung des Arbeitsmarktes für Flüchtlinge. Flüchtlingsinitiativen setzen erfolgreich die Rückholung zuvor abgeschobener afrikanischer Kinder durch. Die Hoffnung überlebt im Kirchenasyl. Mit den hier gebündelten Beträgen wurde den Leserinnen und Lesern ein flüchtlingspolitisches Wechselbad eingelassen. Das Heft ist ein Gemeinschaftsprodukt der in den Bundesländern engagierten Flüchtlingsräte und gibt Einblicke in die gemeinsamen wie auch in die vor Ort unterschiedlichen Themen. Die Reportagen schlagen einen Bogen von den alltäglichen Dramen an den EU-Außengrenzen über den Fatalismus einheimischer Verwaltungsroutine bis in die Praxis engagierter Solidaritätsarbeit. Die Flüchtlingsräte skandalisieren mit dieser Broschüre einmal mehr die mancherorts üblichen Diskriminierungstatbestände und appellieren an eine großzügige und human ausgestaltete Flüchtlingspolitik.
Zur Durchsetzung einer Politik, die die Zukunftschancen der Flüchtlinge nicht nur nach ökonomischen Nützlichkeitserwägungen sortiert, ist Unterstützung gefragt. Die Flüchtlingsräte laden ein, dabei mit zu tun.
Martin Link – Angelika von Loeper – Kai Weber