Vor einigen Tagen hatte ich über die Liste um Erfahrungsberichte zur Praxis der Ausländerbehörden betreffend die Ausstellung von Reiseausweisen an Personen gebeten, die von den Heimatbehörden von Deutschland aus keine Passunterlagen beschaffen können. Die bisherigen Ergebnisse sind ambivalent:
- In den Landkreisen Harburg, Schaumburg, Rotenburg und der Region Hannover haben die Ausländerbehörden Flüchtlingen einen Reiseausweis für Ausländer für den Zweck erteilt, ins Herkunftsland fahren, um sich dort die notwendigen Dokumente und Unterlagen für die Ausstellung nationaler Reisepässe zu beschaffen. Wenn die Betroffenen bis zum Ablauf des Reisedokuments nicht ins Herkunftsland gefahren sind, etwa weil sie eine solche Reise aufgrund persönlicher Umstände oder der damit verbundenen Kosten für nicht zumutbar hielten, bekamen sie i.d.R. wieder eine ausländerbehördliche Bescheinigung (Fiktionsbescheinigung, Duldung). In einem Fall konnte eine Familie aus Syrien unter erheblichen Schwierigkeiten mit Hilfe eines deutschen Reiseausweises Passpapiere in Syrien besorgen (anonymisierter Vermerk von RA Heinrich Freckmann). In einem anderen Fall erhielt eine Familie aus Aserbaidschan, nachdem sich der Familienvater in Baku vergeblich um die Ausstellung von Pässen bemüht hatte, auf der Grundlage einer eidesstattlichen Erklärung über den Verlauf der Reise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
- Kosten der Reise werden i.d.R. nicht übernommen. Die Job-Center lehnen Anträge auf Darlehen ab, nach inoffiziellen Angaben hält die Ausländerbehörde Hannover Reisekosten bis zu 2.000,- € für die Betroffenen für zumutbar. Z.T. werden die Reisekosten über Kirchen und Spendentöpfe aquiriert. Gerichtliche Entscheidungen zur Übernahme der Reisekosten nach dem AsylbLG (zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten) liegen für derartige Fälle bislang offenbar noch nicht vor, eine Übernahme der Kosten erscheint aber auch nicht unbedingt ausgeschlossen (Auszug aus der Rechtsprechungsübersicht von Georg Classen zum Thema „Passkosten“).
- Im Kreis Warendorf (NRW) wurde die Ausstellung eines Reiseausweise zum Zweck der Passbeschaffung für einen Flüchtling aus dem Kosovo mit der Begründung abgelehnt, mit einer solchen Praxis würde die Ausländerbehörde in die Passhoheit anderer Staaten eingreifen. Auch die Berliner Behörden verweigern die Ausstellung deutscher Reiseausweise mit Aufenthaltserlaubnis und Rückkehrberechtigung an geduldete Flüchtlinge.
Vorläufiges Fazit:
Es ist sinnvoll, einen Reisepass für Ausländer zwecks Passbeschaffung im Herkunftsland zu beantragen, wenn die Betroffenen davon ausgehen können, dass ihnen dort nichts passiert und ferner die begründete Hoffnung besteht, dass sie auch Dokumente bei persönlicher Vorsprache erhalten – dies sollte zuvor abgeklärt werden. Natürlich muss eine Aufenthaltserlaubnis im Pass enthalten sein, und es muss sichergestellt sein, dass der Aufenthaltstitel nicht mit Rückkehr in das Heimatland oder mit Vorlage eines Passes erlischt. Die in der Vergangenheit auch schon versuchte Abschiebung von Flüchtlingen mit deutschen Reiseausweisen ist natürlich grundsätzlich abzulehnen.
Wenn eine Passerteilung im Herkunftsland eher unwahrscheinlich ist, erscheint eine Reise ins Herkunftsland zum Nachweis der Unmöglichkeit einer Passerteilung fragwürdig. Hier sollte vor einer Reise zumindest sichergestellt werden, dass die Ausländerbehörde bei Glaubhaftmachung der Passverweigerung im Herkunftsland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt. Es gibt auch Fälle, wo die Aufforderung der Ausländerbehörde, mit Hilfe eines deutschen Reiseausweises ins Herkunftsland zu fahren und dort Heimatpässe zu besorgen, dem augenscheinlichen Zweck dient, Flüchtlingen unter Hinweis auf ihre „mangelnde Mitwirkung“ eine Aufenthaltserlaubnis oder höhere Sozialleistungen zu verweigern. Hier gilt es im Einzelfall zu prüfen, ob eine Reise ins Herkunftsland sinnvoll und individuell zumutbar ist. Wer eine solche Reise nicht finanzieren kann, darf deshalb keine aufenthaltsrechtlichen oder leistungsrechtlichen Nachteile erfahren, solange die Behörden zu einer Kostenübernahme nicht bereit sind. Auch kleine Kinder, persönliche Gebrechen oder sonstige besondere Umständen können eine Reise ins Herkunftsland unzumutbar machen.
gez. Kai Weber
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