Ein lesenswerter Artikel aus dem Stader Tageblatt über die Abschiebung der Familie Fazlijaj in den Kosovo.
Familie mit zwei kleinen Kindern in den Kosovo abgeschoben – Nach neun Stunden waren sie weg – Flüchtlingsrat protestiert
FREDENBECK.. Sie kommen um Mitternacht, klingeln an der Tür in Schwinge und geben ihnen 20 Minuten Zeit, um ein paar Sachen zusammenzupacken.
Sechs Beamte in Uniform und Zivil haben in der Nacht von Montag auf Dienstag einen 29 Jahre alten Mann, seine 24 Jahre alte Frau sowie ihre ein und drei Jahre alten Kinder in einer nächtlichen Abschiebe-Aktion in den Kosovo gebracht.
Vor 23 Jahren waren Gani Fazlijaj und Sultane Bajrami aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen.
Keine halbe Stunde nach dem Beginn der nächtlichen Aktion in Fredenbeck sitzt die betroffene Familie in einem Fahrzeug und wird weggebracht. „Überfallartig“ nennt der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Abschiebung in Schwinge. „Der Fall der Familie illustriert, dass in Niedersachsen – zumal im Landkreis Stade, der nicht zum ersten Mal durch besondere Rücksichtslosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen Schlagzeilen macht – Abschiebungen mit aller Härte durchgesetzt werden, wenn die Betroffenen als nicht nützlich genug klassifiziert sind“, sagt der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, Kai Weber.
Kaum vorstellbar, dass sich so ein Fall in einem anderen Bundesland ereignet hätte, so Weber: „Die Familie steht verzweifelt vor den Trümmern ihrer Existenz und weiß nicht, wohin.“
Zuständige Ausländerbehörde ist der Landkreis Stade, und der steht für seinen Umgang mit den Betroffenen seit Monaten in der Kritik. Das TAGEBLATT hat mehrfach darüber berichtet.
Die Vorwürfe des Flüchtlingsrates im Fall der Familie Fazlijaj/Bajrami weist Dr. Eckart Lantz, Erster Kreisrat, entschieden zurück. „Die Vorwürfe des Flüchtlingsrates sind in keinster Weise korrekt“, sagt Lantz: „Wir entscheiden immer nach Recht und Gesetz.“ Zum konkreten Einzelfall dürfe er aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts weiter sagen.
Die TAGEBLATT-Recherchen ergeben aber schnell ein vollständiges Bild des Dramas. Die ganze Verwandschaft des abgeschobenen Gani Fazlijaj wohnt in Fredenbeck, sechs Geschwister und die Eltern, alle mit gesichertem Aufenthaltstitel. „Wir hätten das nicht für möglich gehalten“, sagt Bruder Muzli Fazlijaj, zumal seine Frau und seine beiden Kinder am Mittwoch nächster Woche in der Kreisverwaltung die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen – von der Behörde, die die Abschiebung seines Bruders mit Familie verfügt hat. Er selbst gilt als gut integriert. Für ein neues Fahrzeug des Deutschen Rotes Kreuzes hat er zum Beispiel 2 500 Euro gespendet.
Die gesammelten Unterlagen der Familie belegen einen jahrelangen Rechtsstreit, in dem der Kreis alle juristischen Auseinandersetzungen gewonnen hat.
Die Lage von Gani Fazlijaj war auch dadurch unhaltbar geworden, dass er in einem entscheidenden Moment gegen eine Verfügung des Landkreises keinen Einspruch eingelegt hatte.
Der Unterschied zwischen Gani Fazlijaj und seinen anderen Geschwistern ist, dass er die Familie nicht allein ernähren konnte. „Unzureichende eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts“, heißt das in Behördendeutsch. Teilzeitstellen hatte Gani Fazlijaj mehrfach und jetzt offenbar auch eine Vollzeitstelle in Aussicht. Allerdings zu spät, um die Abschiebung noch zu stoppen.
Auch die Härtefall-Kommission des Landes Niedersachsen, die Ende 2011 und im April 2012 mit dem Fall befasst war, lehnte das Ersuchen Gani Fazlijajs ab.
Für den eigentlichen Vorgang der Abschiebung sind das niedersächsische Landeskriminalamt und die Landesaufnahmebehörde in Zusammenarbeit mit der Polizei zuständig.
Familie Fazlijaj gehört der Ashkali-Minderheit im Kosovo an. Gani Fazlijaj und seine beiden Kinder haben die kosovarische Staatsbürgerschaft. Sultane Bajrami die serbische.
Abschiebungen ohne vorherige Ankündigung und deshalb auch mitten in der Nacht sind in Niedersachsen seit 2005 wieder möglich. Damals hob der jetzige Innen-minister Uwe Schünemann einen Erlass der Vorgängerregierung auf, der dies verhindert hatte.
Die nächtliche Abschiebeaktion wird mit der Uhrzeit des Abfluges begründet. Um Mitternacht stand die Polizei in Schwinge vor der Tür, um 9.25 Uhr startete der Flieger in Frankfurt. Landung im Kosovo um 11.45 Uhr. In dem Land, das Gani Fazlijaj vor 23 Jahren als Sechsjähriger verlassen hatte.
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