Folgender Beitrag von Georg Classen (Flüchtlingsrat Berlin) ist auch hier (als pdf) einzusehen.
Das neue „Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft“ vom 13.03.08
Das neue Gesetz tritt am 01.06.08 in Kraft. Das Gesetz ermöglicht Vaterschaftsanfechtungen durch staatliche Behörden, wenn durch die Vaterschaftsanerkennung für ein ausländisches Kind und/oder eine/n ausländische/n Mutter oder Vater die rechtlichen Voraussetzungen für ein Visum oder ein Aufenthaltsrecht geschaffen werden. Welche Behörde zuständig ist (Ausländerbehörde, Jugendamt, Standesamt…), regeln die Länder durch Rechtsverordnung.
Das Gesetz weitet die „Denuziationspflicht“ des § 87 AufenthG auf „Scheinvaterschaften“ aus. Es ermöglicht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise auch rückwirkende Vaterschaftsanfechtungen durch staatliche Stellen (§ 16 EGBGB). Es wurde trotz massiver Bedenken der Fachleute vom Bundestag verabschiedet, vgl. Anhörung des Rechtsausschusses v. 23.05.07, Gesetzentwurf (BT-Drs. 16/3291) und Stellungnahmen gibt es hier.
– AUSZUEGE AUS DEN SACHVERSTßNDIGENSTELLUNGNAHMEN –
- Vaterschaftsanfechtungsrecht des Staates – 1938 zur Feststellung der rassischen Abstammung geschaffen, 1961 abgeschafft, 2008 wieder eingeführt.
Auszug Stellungnahme Rechtsanwalt Dirk Siegfried, RAV (hier als pdf)
„Der derzeitige Verzicht auf staatliche Anfechtung von Vaterschaften ist Ausdruck einer positiven bundesdeutschen Rechtstradition: Das 1938 eingeführte Anfechtungsrecht des Staates [1] wurde 1961 abgeschafft.[2]
Elizabeth Schwarzhaupt, 1961 stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU–Bundestagsfraktion unterstellte dem Gesetzgeber von 1938 zutreffend, sein Gedanke sei ‚vor allem auf die Feststellung der rassischen Abstammung gerichtet‘ gewesen. Sie begründete die Abschaffung damit, ‚dass eine öffentliche Stelle, aus welchen Motiven auch immer, hier kein Recht auf einen Eingriff in die Familie haben sollte.“ [3]
[1] RGBl I 1938, 380
[2] BGBl I 1961, 1223
[3] FamRZ 1961, 329; vgl. auch Bosch, FamRZ 1961, 457, 458″ - Neue Denunziationspflicht „öffentlicher Stellen“
Auszug Stellungnahme Verband binationale Partnerschaften (hier als pdf)
„Der Gesetzentwurf verpflichtet öffentliche Stellen, Tatsachen der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, die ein Anfechtungsrecht begründen können … Die Einbettung der ßbermittlungspflicht von Verdachtsmomenten …
öffentlicher Stellen in das Aufenthaltsgesetz lässt den Verband mit Sorge darauf blicken, nach welchen Kriterien die Behörden eine sozial-familiäre Beziehung ausmachen wollen. Insbesondere bei Getrenntleben der Eltern können sich Schwierigkeiten bei der Ermittlung dieser Beziehung einstellen. …
Weiterhin befürchtet der Verband, dass Ausländerbehörden … den Betroffenen nahe legen, den Nachweis der biologischen
Vaterschaft durch eine DNA-Analyse zu erbringen. … Der staatliche Schutz der Familie ist grundgesetzlich garantiert. Behörden dürfen hier nicht eingreifen, um den Wahrheitsgehalt von Angaben zu überprüfen und erst anschließend den Schutz gewähren.“ - Kindeswohl missachtet – Verlust des Aufenthaltsrechts und Staatenlosigkeit für das Kind durch staatliche Vaterschaftsanfechtung
Auszug Stellungnahme Deutscher Verein (hier als pdf)
Das Gesetz wird nach Auffassung des politisch eher konservativen „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ dem Kindeswohl nicht gerecht. Der Verein weist darauf hin, dass die Anfechtung der Vaterschaft schwer wiegende Rechtsfolgen nicht nur für die Mutter, sondern vor allem auch für das davon betroffene Kind hat. Durch den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft verliert ein seit Jahren in Deutschland lebendes Kind sein Aufenthaltsrecht. Es wird ausreisepflichtig und möglicherweise auch staatenlos.
Fallbeispiel II:
Ein Deutscher erkennt die Vaterschaft für ein Kind mit einer
ausländischen Mutter an. Dem Heimatrecht der Mutter folgend, hängt die Staatsangehörigkeit des Kindes allein an der Staatsangehörigkeit des Kindesvaters. So kann im Iran die Mutter ihre Staatsangehörigkeit nicht an ihr im Ausland geborenes Kind weitergeben. Das Kind hat damit nur die
deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Vaterschaft wird angefochten, das Kind hat den Tatbestand des § 4 StAG nicht erfüllt und die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben. Da es auch nicht die Staatsangehörigkeit der Kindesmutter hat, ist es staatenlos.- Der GE enthält keine Vorkehrungen, eine mögliche Staatenlosigkeit des Kindes zu verhindern. Er verletzt damit die Grundrechte des Kindes aus Art. 16 Abs.1 Satz 2 GG. …
- Die Staatenlosigkeit des Kindes durch erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung ist mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar. Art. 5 Abs.1 des „ßbereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit“ macht den Verlust der Staatsangehörigkeit durch ßnderung des Personenstands, der in der Feststellung über das Nichtbestehen der Vaterschaft liegt, vom Besitz oder Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig.
- Großteil der hier lebenden Ausländer betroffen
Auszug Stellungnahme Rechtsanwalt Hubert Heinhold (hier als pdf)
„Auch wenn Anlass der Gesetzesänderung die Fallkonstellationen waren, in denen ausreisepflichtige Ausländer durch die Vaterschaftsanerkennung ein Aufenthaltsrecht erworben haben, ist ein weit größerer Personenkreis betroffen. Die Gesetzesformulierung lässt eine Anfechtung nämlich … schon dann (zu), wenn durch die Anerkennung „rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt“ geschaffen werden. Dies ist aber fast stets der Fall, wenn im Fall einer Vaterschaftsanerkennung einer der Elternteile ein Ausländer ist. … betroffen (ist) … auch die ausländische Studentin, bei deren Kind die Vaterschaft von einem ausländischen Arbeitnehmer anerkannt wird. Denn … für die Mutter entsteht neben dem Aufenthaltsrecht aus Studiengründen ein solches aus familiären. Es gibt weitere zahlreiche Fallkonstellationen, in denen sich die Rechtsstellung der ausländischen Mutter oder des Kindes durch eine Vaterschaftsanerkennung verbessern kann. Damit ist ein Großteil der allein stehenden Ausländer von der Regelung betroffen.“
Ein guter Beitrag, danke. Aber die Rückwirkung bleibt dunkel: aus Art. 16 EGBGB ergibt sich m.E. nicht die Zulässigkeit der rückwirkenden Anfechtung durch die Behörde. Vielleicht ist eine andere Norm gemein? Ist dies nicht ein Fall der echten Rückwirkung, das in einen abgeschlossenen Tatbestand eingegriffen wird?
Gruß Ingo
Die selbe Frage drängt sich mir auch auf: so eindeutig ist die ßbergangsregelungen nicht. Was ist also mit Vaterschaftsanerkennungen, die vor dem 1.6.2008 erfolgten? Art. 229 § 16 EGBGB regelt doch erst einmal nur, dass die Anfechtungsfrist nicht vor dem 1.6.2008 beginnt.