Aktionstag: 100 Tage Bleiberechtsbeschluss, wenige Bleibeberechtigte

Innenminister Uwe Schünemann täuscht Erfolg bei der Bleiberechtsregelung nur vor // Die meisten langjährig Geduldeten erhalten kein Bleiberecht // Bundesweit Veranstaltungen für ein gesetzliches Bleiberecht, das diesen Namen verdient

Presseerklärung des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 22.02.2007

Am 24. Februar 2007 wird der Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz 100 Tage alt. Mit einem Aktionstag wollen die Träger der Kampagne „Hier geblieben!“ sowie viele Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Initiativen auf die weiter… bestehende Notwendigkeit einer umfassenden gesetzlichen Bleiberechtsregelung aufmerksam machen und laden dazu ein, sich zahlreich mit vielfältigen Aktionen zu beteiligen.

Mit fragwürdigen Zahlen und unbegründeten Behauptungen versucht der niedersächsische Innenminister, eine gesetzliche Bleiberechtsregelung zu verhindern, wie sie von der Regierungskoalition beschlossen worden ist. Für eine solche Regelung gibt es nach Auffassung von Uwe Schünemann „überhaupt keine Notwendigkeit“, der Bleiberechtsbeschluss der Innenminister von November 2006 sei ausreichend. Zur Begründung stützt sich Schünemann auf die angeblich „sensationelle Zahl“ von 28.000 bundesweit gestellten Anträgen. Bis zu einem Drittel der rund 180.000 im Bundesgebiet geduldeten Flüchtlinge “ in Niedersachsen wären das 7000 “ 8000 Menschen “ sollen dem Innenminister zufolge angeblich ein Bleiberecht erhalten.

Zweifel sind begründet: Die Zahl der gestellten Anträge auf Bleiberecht sagt überhaupt nichts darüber aus, wie viele Flüchtlinge ein Bleiberecht am Ende auch bekommen. Von 22.600 in Niedersachsen geduldeten Personen erhielten im Dezember gerade 69 eine Aufenthaltserlaubnis. Offizielle Zahlen für das erste Quartal 2007 liegen noch nicht vor, den Berichten der Beratungsstellen vor Ort lässt sich jedoch entnehmen, dass auch im neuen Jahr die Zahl der erteilten Aufenthaltserlaubnisse für bislang Geduldete im zweistelligen Bereich liegt. Sind wir zum Zeitpunkt des Bleiberechtsbeschlusses bereits skeptisch davon ausgegangen, dass nur rund 20 Prozent der Geduldeten von dieser Regelung profitieren können, müssen wir diese Prognose weiter nach unten korrigieren: Allenfalls 5 – 10 % werden ein Bleiberecht erhalten, wenn die Regelung nicht noch nachgebessert wird.

Eine Fülle von Ausschlussgründen und bürokratischen Verfahren führt dazu, dass Geduldete nicht das erhoffte Bleiberecht erhalten: Viele Ausländerbehörden sind verunsichert und schieben die Entscheidung über ein Bleiberecht auf die lange Bank. Flüchtlinge, die sich in der Hoffnung auf ein Bleiberecht mit einem konkreten Arbeitsangebot an die Behörden wenden, müssen frustriert feststellen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eben nicht, wie vom Land versprochen, schnell und unbürokratisch erfolgt, sondern eine umständliche und häufig auch langwierige Prüfungsprozedur nach sich zieht. Am Ende ist dann die Arbeitsstelle weg. Eine engherzige Auslegung des Bleiberechtserlasses durch einzelne Ausländerbehörden tut ein ßbriges, um die Zahlen der Bleibeberechtigten klein zu halten. Auch die Beratung vieler Ausländerbehörden lässt zu wünschen übrig. Nur einige Städte und Landkreise schreiben die Betroffenen an und informieren sie über das Bleiberecht. Eine umfassende individuelle Information über das zu erbringende Mindesteinkommen und andere im Einzelfall (noch) erforderlichen Nachweise erhalten die Flüchtlinge von den Behörden nicht.

Viele Geduldete scheitern bereits daran, dass sie keinen Pass vorlegen können. Ohne einen Pass wird der Antrag auf ein Bleiberecht jedoch von den Ausländerbehörden gar nicht bearbeitet, selbst wenn alle übrigen Integrationsvoraussetzungen erfüllt sind. Väter oder Mütter müssen mit ihrem neuen Job so viel Geld verdienen, wie ihnen theoretisch durch staatliche Beihilfen zustünde. Lediglich das Kindergeld wird nicht angerechnet. Die im Beschluss der Innenministerkonferenz vorgesehene Möglichkeit, bei Familien mit Kindern einen ergänzenden Bezug staatlicher Hilfen zuzulassen, wird in Niedersachsen nicht umgesetzt. Auch wer mit einem geringer bezahlten Job zufrieden ist und auf staatliche Hilfen, die ihm eigentlich zustehen, verzichtet, hat keine Chance. Die Umsetzung der Bleiberechtsregelung in Niedersachsen ist familienfeindlich.

Kriegsversehrte, alte oder behinderte Flüchtlinge haben so gut wie keine Aussichten, in Deutschland bleiben zu können: Sie müssen eine Krankenversicherung vorweisen “ doch keine Krankenversicherung ist bereit oder verpflichtet sie aufzunehmen.
Sind alle formalen Bedingungen erfüllt, scheitert das Bleiberecht im Einzelfall oft an den sog. Ausschlussgründen:

– Frau U. soll kein Bleiberecht erhalten, weil die während des Bürgerkriegs mit einem bosnischen Pass nach Deutschland geflohene Muslima aus Serbien stammt und sich angeblich nicht rechtzeitig um die Ausstellung eines Passes aus Serbien bemüht hat, also aus dem Staat, dessen Soldaten sie vergewaltigt haben.

– Familie S. erhält kein Bleiberecht, weil die Familie sich 1999 durch Flucht ins Kirchenasyl der Abschiebung entzogen hat.
– A. soll die Aufenthaltserlaubnis verweigert werden, weil er wegen zweier geringfügiger Verfehlungen jugendrichterlich zur Verantwortung gezogen wurde, obwohl das Jugendamt diese Taten als „jugendtypische, dem Alter entsprechende Ausrutscher“ qualifiziert hat.

– Herr S. hat nach Auffassung der Behörden aufgrund einer Verurteilung zu 100 Tagessätzen wegen Schlachtens von Schafen ohne Hinzuziehung eines Veterinärs sein Bleiberecht verwirkt.

Die Flüchtlingsräte und Pro Asyl fordern die Regierungskoalition vor diesem Hintergrund auf, eine großzügige, unbürokratische und praktikable Bleiberechtsregelung zu beschließen, die ihren Namen verdient. Dazu gehört

– die Erteilung einer zweijährigen Aufenthaltserlaubnis als Voraussetzung für die Arbeitssuche
– die Erteilung eines Bleiberechts auch an erwerbsunfähige Personen
– der Verzicht auf kleinkarierte „Ausschlussgründe“

gez. Kai Weber

Bitte schreiben Sie an dieser Stelle nur allgemeine Kommentare.
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...

Schreibe einen Kommentar

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!