Berliner Zeitung vom 29.01.2008Corinna Jessen – ATHEN. Still sitzen die Männer über ihren brodelnden Wasserpfeifen. Eine Somalierin bereitet in der winzigen Küche Nudeln zu, sie blickt erstaunt unter ihrem Kopftuch hervor. Hier, mitten im Zentrum von Athen, kommt selten ein Europäer vorbei. Die kleine Kneipe in der engen Xouthou-Straße ist Treff der Afrikaner. Ziad Adam hat hier den Verein der Sudanesen für seine Landsleute und andere Schwarzafrikaner geschaffen, eine kleine, sehr kleine Insel sozialen Lebens in einem Meer von Armut, Unsicherheit und Verzweiflung. Beim Tee erzählen die Männer die immer gleiche Geschichte: Illegal sind sie nach Griechenland gekommen auf ihrer Flucht vor Bürgerkrieg, Verfolgung, Armut.
Meist türkische Schlepper haben sie auf einer ßgäis-Insel abgesetzt, von der griechischen Küstenwache sind sie aufgegriffen, in die obligatorische Verwaltungshaft überstellt worden. In den Auffanglagern auf Chios, Lesbos oder Samos hat man ihre Personalien und Fingerabdrücke für die europäischen Datenbanken aufgenommen, sie nach drei Monaten mit einem Fahrschein nach Piräus und einem Papier entlassen, das sie auffordert, das Land innerhalb von 30 Tagen zu verlassen.
„Keiner kümmert sich um uns“
„Wohin denn?“, fragt Ibrahim, ein 22-Jähriger aus dem Tschad. „Zurück in den Bürgerkrieg?“ Seine 30 Tage sind seit Monaten abgelaufen. Seitdem er von Samos nach Athen gekommen ist, haust er über der Kneipe in der Xouthou-Straße. Jedes Stockwerk ist voller afrikanischer Frauen und Männer. Ibrahim öffnet eine schmutzige Tür zu einem winzigen Raum, auf dem Boden nur Decken und Matratzen. Es riecht durchdringend nach Schweiß, Essensdunst und Schimmel. „260 Euro kostet das im Monat“, sagt er, „da schlafen manchmal 20 Leute, für die gibt es nur eine Toilette.“ Nebenan das gleiche Bild. Hier hat Nura aus Somalia vor drei Wochen ihr Baby zur Welt gebracht. Ihren Mann hat sie auf der langen Reise verloren. Sie will weiter, nach Schweden. „In Griechenland kümmert sich keiner um uns.“
Fast alle der „Illegalen“, die in den heruntergekommenen Mietshäusern rund um den Omonia Platz hausen, sehen Griechenland als Transit nach Mittel- und Nordeuropa, denn da, das hören sie von Schleppern und Verwandten, „ist alles besser“. Kaum einer möchte versuchen, hier eine Arbeitsgenehmigung oder Asyl zu beantragen – Letzteres kann man nämlich nur einmal innerhalb der EU tun. Und seitdem der sogenannte Vertrag von Dublin greift, mit dem die Bewältigung des Flüchtlingsansturms hauptsächlich auf die Länder mit Außengrenzen in Ost- und Südeuropa abgewälzt wird, fühlen sich viele „Illegale“ in der Falle: Schaffen sie es tatsächlich in ein nordeuropäisches Land und wird nachgewiesen, dass sie die EU in Griechenland als „erstem sicheren Land“ betreten haben, schickt man sie umgehend dorthin zurück.
Auf diese Regelung ist wohl zurückzuführen, dass sich 2007 mit 25 113 die Zahl der Asylanträge in Griechenland gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat. Hinzu kommt, dass 2007 die Zahl der Neuankömmlinge auf 112 000 stieg, das waren 12,4 Prozent mehr als 2006. Positiv beschieden wurden nach jahrelangen Verfahren 140, die bisher meisten in einem Jahr.
„Die Zahl der Anträge ist einfach ungeheuer für ein Land von elf Millionen Einwohnern“, rechtfertigt sich der griechische Innenminister Prokopis Pavlopoulos. Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern habe 2006 weniger Asylanträge bearbeiten müssen, Tendenz fallend, wie in allen nordeuropäischen Staaten. Griechenland bemühe sich, mit zwei vorbildlichen neuen Auffanglagern, mit ßbersetzern und Broschüren in bis zu 15 Sprachen alle über ihr Recht auf Asyl zu informieren, doch die große Mehrheit wolle dieses Recht aus ökonomischen Gründen missbrauchen, so der Minister.
Das Recht auf Asyl sei in Griechenland ein eher theoretisches, beklagt dagegen der Leiter des griechischen Büros des UN-Flüchtlingshochkommissariats, Georgios Tsarmopoulos. In den überfüllten Auffanglagern gebe es keineswegs ausreichende Rechtsberatung, auch an ßbersetzern mangele es. Zudem fürchte er, dass keine Zeit mehr für Einzelfallprüfungen bleibe und Asylsuchende im Schnellverfahren wieder abgeschoben oder zurückgewiesen würden.
Diese Aushöhlung des Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention ist gängige Praxis. Sie entspricht der seit 2003 geltenden verschärften EU-Verordnung Dublin II, nach der Asylbewerber an der Grenze zurückgewiesen werden dürfen, sprich: sollen – sofern sie aus einem sicheren Drittland kommen. Als solches gilt die Türkei. Der offizielle Auftrag aus Athen und Brüssel lautet: Sicherung der EU-Außengrenze unter Wahrung der Sicherheit der Flüchtlinge. Menschenrechtler werfen der Küstenwache vor, dagegen zu verstoßen. Stylianos Partsafas, Chef der Küstenwache Samos hingegen beteuert, seine Leute retteten unter Einsatz des eigenen Lebens immer wieder Flüchtlinge aus den Fluten.
Das stimmt sicher auch. Jedenfalls aber setzt das Aufnahmeland Griechenland ganz EU-konform auf Abschreckung, Zurückweisung und, wenn es nur könnte, auf Abschiebung. Ein entsprechendes bilaterales Protokoll gibt es, in dem sich die Türkei verpflichtet, alle illegalen Migranten zurückzunehmen, die über ihr Territorium nach Griechenland kamen, und das ist die große Mehrheit. Dennoch hat Ankara 2007 der Wiederaufnahme von nur 1 452 „Illegalen“ zugestimmt, praktisch nur 423 akzeptiert. Die griechischen Behörden flüchteten bisher in eine Vogel-Strauss-Politik und ignorierten das Heer der Status- und Rechtlosen.
Die Polizei greift durch
Auch in Patras. Die Hafenstadt ist seit mehr als zehn Jahren das Tor nach Westeuropa. Vor allem Afghanen kommen nach ihrer Ankunft auf den Inseln hierher. Es sind ausschließlich junge Männer, die sich in einem Transitlager etabliert haben. Etwa 50 Papphütten stehen um einen Platz, die größte dient als Moschee. Müllberge versinken im Schlamm. In der Lokalpresse kursieren Gerüchte über Seuchen. Der „Chief“ des Camps bestreitet das, nicht aber die Probleme: kein Wasser, keine Toiletten. Sie alle seien geflohen, vor den Taliban, vor dem Krieg. Was er nicht sagt: Selbst für diese Unterkunft müssen die Männer an seine „Verwaltung“ bezahlen. Wer gar nichts hat, schläft am Ufer, auf Baustellen, in Parks. Nach Schätzungen der Behörden halten sich momentan etwa 2 000 illegale Migranten in der Stadt auf.
Bis vor ein paar Tagen lieferten sie sich täglich Katz- und Mausspiele mit der Hafenpolizei, versuchten, sich in Lkw-Hohlräume zu zwängen, Laderäume aufzubrechen oder sich an Bord der Fähren zu verstecken. Hunderte belagerten den acht Kilometer langen Stacheldrahtzaun, um den richtigen Moment zum Klettern abzupassen.
Sicherheitsdienste der Reedereien ziehen an der Laderampe die blinden Passagiere aus ihren Verstecken. Jetzt hat die Hafenpolizei Verstärkung bekommen, Polizei sperrt den Hafen weiträumig ab, etwa 100 Afghanen wurden festgenommen. Das Camp soll aufgelöst werden. Man will die Flüchtlinge entmutigen und vertreiben. Wer von den Inhaftierten nicht abgeschoben werden könne, käme in ein Auffanglager, zum Beispiel nach Lavrion bei Athen, heißt es offiziell. Aber Lavrion ist voll. Und abgeschoben werden können Afghanen direkt überhaupt nicht, Athen unterhält mit Kabul keine diplomatischen Beziehungen, die Türkei nimmt sie nicht.
Also, wohin? Darauf gibt der Vertrag von Dublin keine Antwort.
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