Schünemanns Asylpolitik gerät ins Fadenkreuz

Ausführlich hat die Presse heute über die Rücktrittsforderung der Opposition an Innenminister Uwe Schünemann berichtet, die den absehbaren Effekt hatte, dass die Reihen im Regierungslager sich schlossen (Bericht siehe z.B. hier). Der empörende Ausruf der CDU-Hinterbänklerin Gudrun Pieper an die Adresse der Grünen-Abgeordneten Filiz Polat: „Am besten wir schieben Sie ab“ hat in der Debatte noch einmal verdeutlicht, wie tief das Ressentiment und der strukturelle Rassismus bei manchen Abgeordneten verankert ist, die immer noch nicht begriffen haben, dass Deutschland ein multiethnisches Land ist, und dass Deutsche unterschiedliche Volkszugehörigkeiten haben können.

Mit der gestrigen Debatte  ist freilich die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Flüchtlingspolitik in Niedersachsen“ noch nicht abgeschlossen.  Wir werden auch weiterhin über skandalöse Einzelfälle und unverständliche Behördenentscheidungen berichten und darüber Öffentlichkeit herstellen, bis die vom Land Niedersachsen betriebene Desintegrationspolitik gegenüber Flüchtlingen grundlegend korrigiert wird.

Michael Berger hat mit seiner Charakterisierung der Debatte um den strammen Konservativen und seine Weltsicht in der heutigen Ausgabe der HAZ eine treffende Analyse veröffentlicht, die wir nachfolgend veröffentlichen:

HAZ- „Blick in die Zeit“ vom 08.12.2011
Schünemanns Welt
von Michael B. Berger

Hannover. Wer wissen will, wie Uwe Schünemann sich selbst gern sieht, der muss gelegentlich in ein großes Boulevardblatt schauen. Da posierte Niedersachsens Innenminister im Frühsommer auf einem Titelfoto in einer Polizeihalle mit verschränkten Armen und mehr oder minder grimmiger Miene. Den martialischen Eindruck dieser Selbstinszenierung verstärkten noch zwei schwer armierte Bereitschaftspolizisten, die an ihm vorbeiliefen, als stürmte eine Hundertschaft von chaotisierenden Autonomen auf den Christdemokraten zu. „Lieber ein harter Hund als ein Warmduscher“, titelte damals „Bild“ über den Mann, der schon wegen seiner markigen Ansagen die Riege seiner Kollegen in den Ländern überstrahlt. Doch das Bild vom Hardliner ohne Herz hat seit einigen Wochen Risse bekommen, ohne dass etwas Neues über die Duschgewohnheiten des Innenministers bekannt geworden wäre.

Gegenüber einem verdienten Mitarbeiter zeigte sich Uwe Schünemann jedenfalls als sensibler und fürsorglicher Chef. So fürsorglich, dass er sich wegen der sogenannten „Grahl-“ oder Rotlichtaffäre von der Landtagsopposition der Kumpanei und Vetternwirtschaft zeihen lassen musste. Den Hut nehmen muss er als Innenminister trotz heftiger Rücktrittsforderungen von SPD, Linken und Grünen dennoch nicht. Er wird noch gebraucht. Als Niedersachsens letzter Konservativer alter Prägung – als Innenminister vom Scheitel bis zur Sohle. „Uwe Schünemann steht seit 2003 für eine verbindliche und konsequente Innenpolitik. Der Minister bleibt im Amt“, konstatierte Dienstagabend Ministerpräsident David McAllister. Mit den abstrusen Vorwürfen befasse er sich gar nicht, befand der Chef. Und so geschah es. Den Abwahlantrag von SPD, Linken und Grünen schmetterten CDU und FDP ab.

Die Diskussion um Schünemann geht jedoch weiter – auch gestern. Da stand Niedersachsens Abschiebepolitik auf dem Landtagsprogramm – ein Feld, auf dem Schünemann seit Jahren einen restriktiven Kurs verfolgt und nur gelegentlich „Herz“ zeigt, etwa wenn der öffentliche Protest über die Abschiebung einer vietnamesischen Familie auch in der eigenen Partei vernehmlich anschwillt. Oder, wie man im Landtag tuschelt, wenn die Frau des Ministerpräsidenten urteilt, nun sei aber das Maß voll. Dann holt der Innenminister die soeben auf Staatskosten ausgeflogene Familie Nguyen sogar mit Hilfe des Außenministers aus dem vietnamesischen Hanoi zurück. „Ich habe vor der Abschiebung den Fall der Nguyens gar nicht auf dem Tisch gehabt. Ich habe erst handeln können, als ich sah, dass es für sie eine besondere Härte im Herkunftsland gab“, sagte Schünemann gestern. Und, schon etwas strenger im Tonfall, an die Adresse der Opposition: „Das sind eben die Abläufe, die Sie zur Kenntnis nehmen sollten.“ Das Ausländerrecht bewege sich in einem sehr engen rechtlichen Rahmen – „und den schöpfen wir aus“.

Schünemann pochte, wie immer, aufs Recht. Nichts ist für ihn hässlicher als der Vorwurf der Rechtsbeugung. Dabei ist er selbst, der das Rechtliche immer wieder vorschiebt, gar kein Jurist. Der gelernte Industriekaufmann vertraut auf die Expertise seiner aufs Ausländerrecht spezialisierten Fachbeamten. Die saßen auch gestern hinter „ihrem“ Minister, als der Linke, Hans-Henning Adler, den Ausländerbehörden vorhielt, neuere, liberale Tendenzen vom Europäischen Gerichtshof gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Da gab es wieder einmal heftiges Kopfschütteln in der Schünemannschen Kabinettsecke.

Doch Filiz Polat, Tochter eines Türken aus Bramsche und migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, glaubte nicht Schünemanns Versicherung, er habe fast keinen eigenen Entscheidungsspielraum in menschlich kniffligen Ausländerfragen, sondern vollstrecke nur das Recht. Sie sprach den Minister direkt an, versuchte ihm, zum x-ten Mal, ins Gewissen zu reden. „Sie schieben aus der Psychiatrie ab, aus dem Frauenhaus, Sie schieben schwangere Frauen ab und Sie schieben nach Syrien ab“, sagte Polat, während sich viele CDU-Parlamentarier über die „unglaublichen“ Vorwürfe empörten. Tatsächlich hatte Polat nur einige Abschiebefälle aus jüngerer Zeit aufgelistet. Der Minister verfolgte seelenruhig die Debatte, deutete nur Widerspruch an, als Polat auf einen Fall aus dem Kreis Hildesheim zu sprechen kam. Der Fall der Gazale Salame, die vor Jahren hochschwanger in die Türkei abgeschoben worden war, während ihr Ehemann mit zwei Kindern hier geblieben ist, biete tiefe Einblicke „in die Abgründe niedersächsischer Abschiebepolitik“, sagte Polat – unter lautem Beifall der Opposition.

Die CDU-Führung um Geschäftsführer Jens Nacke war sichtbar um Sachlichkeit bemüht. Der giftige Zwischenruf der CDU-Hinterbänklerin Gudrun Pieper an die grüne Kollegin „am besten wir schieben Sie ab“ passte jedenfalls nicht ins CDU-Konzept. Er trieb Polat, die mit den Tränen kämpfte, kurzzeitig aus dem Saal. Nach einem Ordnungsruf des Landtagspräsidenten entschuldigte sich die Abgeordnete Pieper für die „unbedachte Äußerung“ – und wurde mit Schweigen bestraft.

Doch als sich die Wogen über diesem Zwischenfall wieder geglättet hatten, kam der altbekannte Schünemann wieder hervor, der Mann, der Recht nur vollstreckt und, die Nase etwas hochgestreckt, in jeder Lage auch gern recht behält. Schünemann kam auf die Härtefallkommission zu sprechen, in der es seit Jahren Querelen unter den ehrenamtlichen Mitgliedern gibt. Es sei doch eine „Mär“, dass viele Fälle an strengen Quorumsregeln scheiterten. Bei elf von 231 sei das der Fall gewesen. Aber es sind eben jene Fälle, die Schlagzeilen machen – Negativschlagzeilen, die einem Ministerpräsidenten nicht gefallen, der als geschulter Jurist möglicherweise weniger Ehrfurcht vor den Rechtsauslegern in seiner eigenen Partei und Regierung hat.

David McAllister sind, so viel ist sicher, die Konflikte mit den Kirchen um die Härtefallkommission gar nicht recht. Er wünscht sich einen geschmeidigeren Umgang mit menschlichen Problemfällen und will seine CDU nicht bei den Kirchen am Pranger sehen. Aber diese Konstellation – ein milder Landesvater und ein strenger Innenminister, der gelegentlich über die Stränge schlägt – ist in Niedersachsen nicht neu. Auch McAllisters Vorgänger, der schon im Ministerpräsidentenamt präsidiale Christian Wulff, musste seinen Kaltduscher hin und wieder korrigieren. Um ihn letztlich gewähren zu lassen.

 

 

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2 Gedanken zu „Schünemanns Asylpolitik gerät ins Fadenkreuz“

  1. Seit Jahren verfolge ich das Schicksal dieser Familie.
    In mir ist Traurigkeit, Wut und Hilflosigkeit über dieses menschenunwürdige Verhalten der Politiker, die diese Familie auf so grausame Weise getrennt hat.
    Was sind das nur für Menschen? Ich schäme mich für sie!

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