Trieb Formfehler Slawik C. in den Tod?

Bericht aus der HAZ vom 24.11.2011

Aus Angst vor Abschiebung nahme er sich das Leben – er war zu Unrecht in Haft, sagt der BGH

von Karl Doeleke

Hannover. Ein Flüchtling aus dem Kreis Harburg, der sich aus Furcht vor seiner Abschiebung im Juli 2010 in seiner Zelle in der JVA Langenhagen erhängt hat, hätte gar nicht dort sein dürfen. Der Haftbefehl sei rechtswidrig gewesen, entschied der 5. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe. Der BGH widerspricht damit dem Innenministerium in Hannover, das nach der Prüfung des Suizids zu dem Ergebnis gekommen war, es habe in dem Fall keine Fehler von Behörden gegeben. Geklagt hatte die Witwe des Opfers. Nach dem BGH-Beschluss kann sie nun Schadensersatz geltend machen.

Auf Betreiben des Kreises sollte Slawik C. im vergangenen Jahr nach Armenien abgeschoben werden. Wenige Tage bevor der Flieger abheben sollte, erhängte sich der 58-Jährige in seiner Zelle. Laut BGH war dem Kreis beim Haftantrag ein formaler Fehler unterlaufen, der den Mann möglicherweise das Leben gekostet hat. „Den Formfehler müssen wir einräumen und den Beschluss des BGH akzeptieren“, sagte gestern Kreissprecher Georg Krümpelmann.

Schon zuvor hatte der Landkreis im Fall Slawik C. Fehler zugegeben, die dem Suizid vorausgegangen waren. Der 58-Jährige musste möglicherweise fürchten, in ein fremdes Land abgeschoben zu werden. Denn Slawik C. hatte bei seiner Einreise elf Jahre vor seinem Tod angegeben, er stamme aus Aserbaidschan. Der Landkreis ließ von der Botschaft jedoch Papiere des Nachbarlandes Armenien auf den Namen Slawic K. ausstellen – obwohl sich in der Akte im Kreishaus deutliche Zweifel fanden, dass der 58-Jährige aus Armenien stammt.

Bis heute ist die Identität des Mannes nicht eindeutig geklärt. Er hatte angegeben, Slawik C. aus Gjal in Aserbaidschan zu sein. Der Kreis Harburg wollte ihn als Slawic K. aus Arpi in Armenien abschieben. Dabei hatte die Ausländerbehörde deutliche Hinweise aus dem Bundeskriminalamt (BKA) erhalten, dass der 58-Jährige nicht von dort stammt.

Dennoch besorgte sich der Kreis armenische Passersatzpapiere und ließ Slawik C. verhaften. Die Ausländerbehörde des Kreises berief sich dabei auf Erkenntnisse von Interpol. Die internationale Strafverfolgungsbehörde hatte den Mann als den Armenier Slawic K. identifiziert – diese Erkenntnis wurde jedoch in einer E-Mail des BKA an den Kreis stark bezweifelt. „Es handelt sich um verschiedene Personen“, teilte ein BKA-Beamter dem Kreis im Mai 2010 mit. In der Ausländerbehörde waren diese Zweifel angekommen. Die Warnung des BKA habe sich in der Akte zu Slawik C. befunden, räumte Kreissprecher Krümpelmann vergangenes Jahr ein.

Dennoch schrieb ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde in dem Haftantrag an das Amtsgericht Winsen/Luhe, die armenische Staatsangehörigkeit sei über Interpol „definitiv“ und „verbindlich festgestellt“ worden. Zuvor hatte der Kreis aufgrund der Informationen von Interpol Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Stade gegen Slawik C. wegen unrichtiger Angaben über seine Herkunft erstattet. Dieser Strafantrag war nun der Grund für die Rechtswidrigkeit des Haftbefehls: Weil ein Strafverfahren anhängig war, hätte der Kreis vor Einleitung der Abschiebung die Staatsanwaltschaft fragen müssen. Dies jedoch unterblieb.

Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte gestern, ab sofort würden die Ausländerbehörden bei jedem Haftantrag die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einholen. Die Rechtsprechung des BGH habe es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gegeben.

Dem Flüchtlingsrat dürfte etwas anderes vorschweben, wenn der Vorsitzende Kai Weber fordert: „Der Fall Slawik C. muss Konsequenzen haben.“ Die Entscheidung des BGH untermauere aufs Neue den Vorwurf, die Landesregierung befördere „die verfassungswidrige Praxis der Ausländerbehörden bei der Verhängung von Abschiebehaft“. Nach Auffassung der Grünen Filiz Polat hätte „der tragische Tod von Slawik C. verhindert“ werden können. „Der Beschluss bestätigt unsere Vermutung, dass Slawik C. zu Unrecht inhaftiert wurde.“ Innenminister Uwe Schünemann trage die Verantwortung dafür. Die Witwe von Slawik C. hat nach wie vor kein gesichertes Aufenthaltsrecht. Ihr Rechtsanwalt, Peter Fahlbusch aus Hannover, forderte vom Landkreis gestern „als Genugtuung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht“.

24.11.2011 / HAZ Seite 5 Ressort: NIEDERSACHSEN

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