Fall Nguyen: Flüchtlingsrat fordert Rückholung und politische Konsequenzen

Hildesheim, 10. November 2011. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann auf, eine Rückkehr der Familie Nguyen herbeizuführen, die nach 19-jährigem Aufenthalt in Deutschland trotz vorbildlicher Integration am Morgen des 8. November nach Vietnam abgeschoben wurde (siehe hier). Darüber hinaus fordert der Flüchtlingsrat die Landesregierung auf, Konsequenzen aus dem Fall der Familie Nguyen zu ziehen. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass gut integrierte Flüchtlingsfamilien immer wieder aus der Mitte unserer Gesellschaft abgeholt und abgeschoben werden, während die politische Führung des Landes nur die Schultern zuckt und erklärt, daran lasse sich leider nichts ändern. Als konkrete Maßnahmen fordern wir:

  1. Umfassendes Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge (nicht nur) in Niedersachsen!
  2. Änderung der Härtefallkommissionsverordnung!
  3. Ermöglichung humanitärer Einzelfallentscheidungen der Ausländerbehörden!

1) Der Flüchtlingsrat fordert die niedersächsische Landesregierung auf, die Initiative der Landesregierung von Schleswig-Holstein für ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht aufzugreifen und zu unterstützen.In Niedersachsen leben derzeit fast 12.000 Flüchtlinge ohne einen geregelten Aufenthaltsstatus als so genannte Geduldete. Bundesweit sind es rund 87.000 Menschen. Rund zwei Drittel dieser Menschen leben seit mehr als sechs Jahren in Deutschland. Als Konsequenz aus dem Fall der Familie Nguyen fordert der Flüchtlingsrat eine verbindliche Rechtsgrundlage für ein geregeltes Bleiberecht.

Durch die Altfallregelungen der Jahre 2006 und 2007 erhielt nur eine Minderheit von rund 7.400 vormals geduldeten Flüchtlingen in Niedersachsen die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis. Aussicht hatten nur diejenigen, die sich mindestens seit dem 1. Juli 1999 oder als Familien seit dem 1. Juli 2001 in Deutschland aufhielten. Wer diesen Einreisestichtag verpasste, blieb in der regelmäßig befristeten „Kettenduldung“. Gleiches galt für Flüchtlinge, die – wie die Familie Nguyen – aufgrund sogenannter „Ausschlussgründe“ (z.B. wegen falscher Papiere, zwischenzeitlicher Ausreise, Nichtmitwirkung bei der eigenen Abschiebung) kein Bleiberecht erhielt. Auch wer die Aufenthaltsfristen erfüllte, scheiterte häufig an geforderten „Integrationsleistungen“. So erhielt ein Großteil der 7.400 Flüchtlinge nur eine Probe-Aufenthaltserlaubnis. Die befristete Regelung läuft Ende 2011 aus. Dann wird deutlich werden, wie viele Betroffene zurück in die Duldung fallen, etwa weil sie ihren Lebensunterhalt nicht vollständig selbst sicherstellen können.

2) Darüber hinaus fordert der Flüchtlingsrat eine Änderung der Härtefallkommissionsverordnung. Es ist unerträglich, wenn das niedersächsische Innenministerium es unter Verweis auf diese Verordnung immer wieder ablehnt, sich mit offenkundigen Härtefällen überhaupt zu befassen, etwa weil Flüchtlinge sich im Kirchenasyl aufhielten, oder weil bereits ein Abschiebungstermin festgelegt wurde. Darüber hinaus sollte die Zusammensetzung der Mitglieder der Härtefallkommission überdacht werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in dieser Kommission nicht ein/e Vertreter/in einer Flüchtlingsorganisation als Vollmitglied vertreten ist. Dass Niedersachsen im Ländervergleich – gemessen an der Aufnahmequote und an der Bevölkerungszahl – die wenigsten „Härtefälle“ aufweist, ist vor diesem Hintergrund kein Wunder (siehe hier).

3) Drittens fordert der Flüchtlingsrat das niedersächsische Innenministerium auf, den Ausländerbehörden – entsprechend der Praxis anderer Bundesländer – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Möglichkeit einzuräumen, eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, wenn eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht mehr zumutbar ist. Die Praxis des Landes, die Kommunen wegen angeblich mangender Abschiebungszahlen unterDruck zu setzen und ihnen mit einer entsprechenden Begründung die Erstattungsleistungen für die Aufnahme und Unterbringung zu kürzen (siehe hier und hier),  muss endlich beendet werden.

Nachtrag: Facebook-Briefkampagne siehe hier

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7 Gedanken zu „Fall Nguyen: Flüchtlingsrat fordert Rückholung und politische Konsequenzen“

  1. Wenn man diese vietnamesischen Wirtschaftsflüchtlinge akzeptiert, muss man auch viele anderen Wirtschaftsflüchtlinge von anderen Länder auch aufnehmen.

    Und wenn diese Leute bleiben können, wird es in Vietnam herum geprochen und mehr Wirtschaftsflüchtlinge kommen.

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  2. Gratuliere dem nds. FLÜCHTLINGSRAT zu obiger Meldung, die ich in allen Punkten voll teile.
    Leider ist hier ein Ministerium entscheidungsbefugt, dass sich täglich mit der Lösung der Flüchtlingsfrage befaßt. Für einen Innenminister Uwe Schünemann gibt es dann nur diese Lösung.
    Hätten wir ein befugtes Ministerium „Menschenwürde“, „Inneren Frieden“ oder sagen wir einfach ein „Ministerium Gerechtigkeit“ (ja, das wäre schön und denkbar, viel schöner als ein Justizministerium, das es ja auch in Unrechtsstaaten gibt), dann würde die Familie Nguyen nach 19 Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht abgeschoben werden. Und dann gäbe es nicht die jahrelangen und unwürdigen Zwangsaufenthalte in den Flüchtlingslagern. Jetzt müssen wir auf die Volksseele hoffen – auf die weitere gute Arbeit des Flüchtlingsrats.
    Alfred Berssenbrügge, Bült 10, 49661 Cloppenburg

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  3. …und was ist dagegen einzuwenden, wenn hier mehr vietnamesische oder sonstige Mitbürger einer geregelten Beschäftigung nachgehen, und das Bruttosozialprodukt steigern? Die Deutschen sterben doch eh aus – wie uns Herr S. gelehrt hat.
    Und in 100 Jahren sind wir Europäer von der Bedeutung her eine kleine Randzone Asiens und Afrikas – also, warum nicht gleich Kooperation praktizieren sondern stattdessen obsolete Separation und Xenophobie im Bildzeitungsstil verbreiten?

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  4. Wieder einmal hat die Vorschrift und nicht der gesunde Menschenverstand, geschweige denn humanitäres Denken gesiegt. Auf der Strecke bleiben die Betroffenen, die 19 Jahre lang hier gearbeitet und zum allgemeinen Wohlstand beigetragen haben. Wie Herr Schünemann als christlicher Politiker dies verantworten will, kann nur er selbst wissen. Man muss immer den Einzelfall prüfen und entscheiden und nicht sich hinter Alllgemeinplätzen „dann kommen noch mehr“ verstecken. Herr Schünemann sollte schleunigst für die Rückführung der Familie sorgen oder seinen Hut nehmen!

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  5. Ich bin fassungslos über die Entscheidung von Herrn Schünemann. Die Grausamkeit und Menschenverachtung, mit der hier vorgegangen wird, während man gleichzeitig von der Pflicht zur Integration und von „Fördern und Fordern“ redet, ist zynisch.

    Man kann Herrn Schünemann nur wünschen, dass er einmal in eine ähnliche Situation gerät.

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  6. Ich wünsche mir eine Stellungnahme von Herrn Philipp Rösler zu diesem Fall, schliesslich hat auch unser Bundeswirtschaftsminister, geboren in Vietnam, in Deutschland und speziell in Niedersachsen eine neue Heimat gefunden. Dieser Fall zeigt doch, dass die christlich liberale Regierung Niedersachsens weder christlich noch liberal handelt.

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  7. Ich glaube das bei der Anzahl von Abschiebungen je Bundesland
    auch eine individuelle Betrachtung der Umstände des Umfelds
    und der Leistungen die von den Personen/Familien erziehlt
    wurden mit einbezogen werden müssen das sollte für unseren
    eh schon EDV gestützten gläsernen Staat möglich sein.
    Hier wurden so wie es aussieht nur nackte Zahlen erfüllt
    und mit fadenscheinigen Begründungen untermauert.

    Und Menschen nachts aus dem Bett zu holen ohne das die
    Kinder Ihre Sachen packen können oder sich bei Ihren Freunden
    zu verabschieden und diese Menschen dann abzuschieben ist
    keine andere Methode wie in der Nazizeit auch wenn das viele nicht
    hören wollen
    Ich hoffe wir kriegen die Familie bis Weihnachten irgendwie zurück

    Grüße aus dem Norden

    Andreas Möller

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