VG Hannover: Führerschein auch mit Duldung

Das Verwaltungsgericht Hannover hat am 14.09.2011 – AZ 9 A 1640/11 – einer 19-jährigen geduldeten Aserbaidschanerin, die seit zwölf Jahren in Deutschland lebt, das Recht zugesprochen, ihren Führerschein zu machen. Vielen ist nicht bekannt, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Insofern wirft der nachfolgende Bericht der HAZ vom 15.09.2011 (eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor) auch ein Schlaglicht auf die Diskriminierung geduldeter Flüchtlinge in Deutschland:

HAZ 15.09.2011
19-Jährige erkämpft sich Führerschein

Sie besitzt keinen deutschen Pass, aber die Richterin hat ein Einsehen

von Conrad von Meding

Sie hat keinen Pass und steht mit diesem Schicksal beileibe nicht alleine da: Doch Gosal F. ist die Erste, die jetzt in einem Prozess gegen die Regionsverwaltung durchgesetzt hat, dass sie auch ohne amtlichen Identitätsnachweis ihre Führerscheinprüfung ablegen darf.

Verwaltungsgerichtspräsidentin Hannelore Kaiser urteilte gestern ganz lebensnah: Man sollte sich nicht nur starr an komplizierte Gesetze und Erlasse halten, sondern müsse auch mal nach dem eigentlichen „Sinn und Zweck“ der Vorschriften fragen, sagte die Richterin. Und dann spreche überhaupt nichts dagegen, dass eine 19-Jährige, die in Deutschland den Schulabschluss erfolgreich absolviert hat, auch den Führerschein machen darf. Ob die Region das Urteil akzeptiert, ist noch offen. Vor allem will man jetzt beim Land anfragen, ob dort nicht die Vorschriften der Lebenspraxis angepasst werden können – denn mindestens ein weiterer Fall ist am Verwaltungsgericht anhängig.

Der Vater von Gosal F. ist Kurde, ihre Mutter Armenierin. Geboren wurde das Mädchen im russischen Krasnodar, später hat die Familie in Aserbaidschan gelebt, bevor sie vor zwölf Jahren mit Asylgesuch nach Deutschland kam. Hier aber ist die Familie nur geduldet. Kein Mitglied hat eine Chance, einen Pass zu erhalten. Zwar haben alle einen Passersatz – weil aber die darin enthaltenen Daten ausdrücklich nur auf den Angaben der Familie basieren, reicht das nicht, um sich zur Führerscheinprüfung anzumelden.

Warum Menschen mit ungeklärter Identität zwar den Schulabschluss ablegen können, nicht aber die Führerscheinprüfung, leuchtete dem Gericht nicht ein. „Der Passus im Gesetz dient doch dazu, dass nicht mit falscher Identität eine Fahrerlaubnis erlangt werden kann“, sagte Richterin Kaiser. Bei der 19-jährigen Gosal F. aber sei „völlig unstrittig, dass sie seit zwölf Jahren unter gleicher Identität in Deutschland lebe“. Der Vertreter der Region bestätigte, dass das Alter der jungen Frau nicht angezweifelt werde. Zudem habe sie alle Unterlagen wie Sehtest und Erste-Hilfe-Nachweis fristgerecht eingereicht. Richterin Kaiser berichtete gestern von ihren Recherchen zu der Problematik. In Ländern wie Aserbaidschan würden Daten von Flüchtlingen „oft systematisch gelöscht“. Dadurch sei es für die Betroffenen kaum mehr möglich, irgendwo einen Pass zu erhalten. Im Gerichtssaal klang gestern an, dass die Regionsverwaltung möglicherweise besonders detailverliebt mit Vorschriften umgeht.

„Hier werden Menschen Steine in den Weg gelegt, die es ohnehin schwer haben“, sagte Anwalt Fabio Salonna. Nach Angaben der Richterin hat Gosal F. sehr gute Deutsch-Zeugnisse vorgelegt. Derzeit bewirbt sich die junge Frau um Arbeit. Im Gerichtssaal aber zeigte sie die Ablehnungsschreiben: Ohne offiziellen Pass wolle kein Betrieb sie einstellen.

 


		
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1 Gedanke zu „VG Hannover: Führerschein auch mit Duldung“

  1. Mein Freund Merwan ist Iraker und hat genau das selbe Problem wie das 19 Jährige Mädchen aus dem Artikel. Er ist 18 Jahre alt und möchte seinen Führerschein machen, jedoch wird ihm dies nicht erlaubt, weil er keinen Identitätsnachweis hat. Err ist aus seinem Land geflüchtet und kam mit seiner Mutter und seinen 2 Geschwistern ohne jegliche Papiere hier her. Er besitzt jedoch einen unbefristeten Aufenthaltstitel und lebt seit 13 Jahren in Deutschland.

    Wir kommen aus Gießen in Hessen. Merwan absolviert zurzeit eine schulische Ausbildung und die Fachhochschulreife. Dementsprechend spricht er sehr gut Deutsch und ist bereits super integriert.

    Der Artikel beschreibt seine Situation perfekt und nach vielen Versuchen die alle fehlgeschlagen sind, wissen wir nicht mehr weiter. Bereits 2 Anwälte sind daran gescheitert, ihm irgendwie zu helfen.

    Meine Frage ist nun, ob dies wirklich ein Einzelfall war, dass die Richterin es geschafft hat, es dem Mädchen zu ermöglichen den Führerschein zu machen, oder ob es für meinen Freund auch eine Chance gibt? Wir sind wirklich ratlos. Für seinen beruflichen Werdegang benötigt er unbedingt die Fahrerlaubnis, denn er hat vor sich bei der Polizei zu bewerben.

    Ich würde mich sehr über eine Antwort von Ihnen freuen und wäre wirklich dankbar, wenn Sie mir einen guten Rat geben können. Vielleicht wissen Sie an wen wir uns noch wenden können und wer uns wirklich helfen kann denn selbst die für unseren Landkreis zuständige Ausländerbehörde konnte meinem Freund bislang nicht weiterhelfen.

    Vielen herzlichen Dank im Voraus.

    Tamara Marie Heßler

    Sie können mich auch gerne telefonisch kontaktieren: 0173 5913515

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