Hinter Gittern in Langenhagen – Unsere Beratung in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam im Jahr 2024

Das Abschiebegefängnis Langenhagen, eigenes Foto.

Seit 2016 beraten und unterstützen wir Menschen in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam im Abschiebegefängnis Langenhagen. Direkt am Flughafen Hannover betreibt das Land das zentrale niedersächsische Abschiebungshaftgefängnis mit 48 regulären Haftplätzen. Während in den teils tief populistischen und rassistischen Asyldebatten des letzten Jahres Abschiebehaft als eines der vermeintlichen Allheilmittel diskutiert wurde, haben wir in unserer Beratungspraxis die Härte und die Auswirkungen dieses staatlichen Gewaltmittels in 190 Fällen sehr nah erlebt. Das heißt, wir haben im Jahr 2024 190 Abschiebegefangene beraten und während ihrer Haftzeit manchmal über Wochen und in wenigen Fällen über Monate begleitet. Die meisten der von uns beratenen Abschiebegefangenen waren Männer. 15 der Inhaftierten waren Frauen, eine Person wurde unter dem Geschlechtseintrag „divers“ geführt. Alle Inhaftierten waren volljährig, da in Niedersachsen keine Minderjährigen in Abschiebehaft genommen werden. Im Vergleich zum Vorjahr konnten wir deutlich mehr und auch einen größeren Anteil der in Langenhagen inhaftierten Menschen beraten. Das lag vor allem daran, dass wir seit September 2023 aufgrund einer anteiligen Förderung unserer Beratung durch das Land (etwas) mehr Stunden für unsere Arbeit aufwenden konnten. Dennoch sind unsere Beratungskapazitäten leider weiterhin nicht bedarfsdeckend.  

Beratung vor Ort in Langenhagen

Eine wichtige Neuerung in unserer Beratung in Abschiebehaft war die Rückkehr in eine Präsenzberatung vor Ort in Langenhagen. In Folge der Corona-Pandemie hatten wir noch im Jahr 2023 ausschließlich über Skype und Telefon beraten. Die Wiederherstellung unseres Zugangs zum Abschiebegefängnis war uns ein wichtiges Anliegen. Seit Januar 2024 sind wir wieder einmal wöchentlich vor Ort. Die Online-Beratung von Abschiebegefangenen über Skype haben wir parallel fortgesetzt, da sich so mit weniger organisatorischem Aufwand und erleichterter Zusammenarbeit mit Dolmetschenden beraten lässt. Unsere Beratung in Abschiebehaft hat sich 2024 wie schon in den Vorjahren nicht auf haftrechtliche Fragen und die Veranlassung von Haftbeschwerden beschränkt, sondern umfasste das gesamte Asyl- und Aufenthalts- sowie in manchen Fällen auch Sozial- und Strafrecht. Häufig haben wir bei der Stellung von Asylerst- und Folgeanträgen bzw. Anträgen auf Fortsetzung des Asylverfahrens unterstützt, in Zusammenarbeit mit Anwält*innen Klageverfahren geführt und Eilanträge bei Verwaltungsgerichten gestellt. Ein wichtiger Teil der Arbeit war es auch, Angehörigen, Freund*innnen, Unterstützenden und Anwält*innen der Gefangenen als Ansprechpartner zur Seite zu stehen.

Viele Abschiebungen nach Albanien, Georgien und Türkei

2024 haben wir Menschen mit 32 Staatsangehörigkeiten und eine staatenlose Person aus Palästina in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam beraten. Die häufigsten Zielländer der Abschiebung waren Albanien (63 Personen), Georgien (27 Personen), Türkei (12 Personen), Guinea (8 Personen) und Marokko (6 Personen), gefolgt von Serbien, Thailand, Ghana, Pakistan, Algerien, China, Nigeria, Russland, Elfenbeinküste, Irak, Tunesien und Liberia. Bei den von uns beratenen Menschen wurden am häufigsten die Haftformen Sicherungs- und Vorbereitungshaft angeordnet, insgesamt betraf dies 138 Personen. Sicherungs- und Vorbereitungshaft können für bis zu sechs Monate, in manchen Konstellationen sogar für bis zu 18 Monate angeordnet werden. 14 Personen in unserer Beratung waren im Rahmen von Dublin- oder Drittstaatenverfahren in Überstellungshaft, d.h. das Zielland der Abschiebung war nicht das Herkunftsland und lag in der EU. 28 von uns beratene Menschen waren außerdem in Ausreisegewahrsam. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Ausreisegewahrsam sind wesentlich geringer als bei der Abschiebungshaft. Dennoch wurde die zulässige Höchstdauer des Ausreisegewahrsams mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ am 27.02.2024 von 14 auf sogar 28 Tage erhöht. Häufig sind Menschen nichtsdestotrotz nur wenige Tage in Ausreisegewahrsam, sodass eine Beratung in mindestens 20 Fällen trotz Anfrage an uns nicht rechtzeitig vor der Abschiebung erfolgen konnte. In vier uns bekannten Fällen wurden außerdem im Jahr 2024 Mitwirkungs- und Zurückweisungshaft angeordnet, zwei in Niedersachsen selten angewandte Haftformen.

Gut vertreten durch Pflichtanwält*innen?

Im Jahr 2024 wurden 12 der von uns beratenen Personen vor der Abschiebung wieder freigelassen. Grund dafür waren entweder erfolgreiche Verwaltungsgerichtsverfahren, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft sowie Haft- oder Reiseunfähigkeit. In zwei dieser Fälle wurden die betroffenen Personen jedoch zu einem späteren Zeitpunkt erneut in Abschiebehaft genommen und schließlich abgeschoben. In mindestens 30 der rund 190 von uns begleiteten Fällen wurde bzw. wird ein Beschwerdeverfahren geführt. Tatsächlich dürfte der Anteil der angefochtenen Haftanordnungen jedoch höher sein. Häufig wussten nämlich weder wir noch die inhaftierte Person selbst, ob Beschwerde eingelegt wurde und inwiefern das Verfahren geführt wird. Das hat den Grund, dass unsere Beratung seit der – grundsätzlich zu begrüßenden – Einführung der Beiordnung von Pflichtanwält*innen in Abschiebehaftverfahren in der Tendenz komplizierter und unübersichtlicher geworden ist. Häufig hatten die Inhaftierten keinen Kontakt zu „ihren“ Pflichtanwält*innen, wussten nicht, ob diese Verfahren führen oder nicht und kannten mitunter noch nicht einmal den Namen und die Kontaktdaten des Anwalts oder der Anwältin. Nicht immer geben uns die Pflichtanwält*innen außerdem Auskunft über den Stand des Verfahrens und sind zur Zusammenarbeit mit uns bereit. Die Herausforderungen bezüglich der Pflichtanwält*innen haben wir in einem Beitrag auf Instagram und Facebook letztes Jahr tiefer erläutert. In sechs der oben genannten Beschwerdeverfahren wurde Stand April 2025 bereits festgestellt, dass die Haft ganz oder teilweise rechtswidrig angeordnet wurde. Die verbleibenden Beschwerden wurden noch nicht verhandelt bzw. der Ausgang ist uns nicht bekannt. Grundsätzlich kann konstatiert werden, dass Abschiebehaft nach wie vor häufig rechtswidrig angeordnet und vollstreckt wird. So wurden  51 % der Mandant*innen des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch nach rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (Stand Februar 2025).

Viele Haftbeschwerden mit ungewissem Ausgang

Bei der Auswertung des Ausgangs aller begleiteten Haftverfahren stellen sich uns mehrere Herausforderungen: Zum einen fehlt uns für eine kontinuierliche Dokumentation und Aufbereitung der Fälle nach der Abschiebung der Beratungsnehmenden im Arbeitsalltag oft die Zeit. Zum anderen erhalten wir wie bereits beschrieben von Rechtsanwält*innen, sofern wir nicht ohnehin eng mit ihnen zusammenarbeiten, oftmals keine Informationen zum Ausgang des Haftverfahrens – insbesondere, wenn die Betroffenen bereits abgeschoben wurden. Zudem führen viele Anwält*innen die Haftverfahren nach einer Abschiebung ihrer Mandant*innen nicht mehr fort. Hinzu kommt, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung durch die Landgerichte bzw. den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht viele Jahre ins Land ziehen können, da die Betroffenen in den allermeisten Fällen zwischenzeitlich abgeschoben wurden und deshalb keine Eilbedürftigkeit für eine Entscheidung mehr gegeben ist. Auch haben wir in vielen Fällen keinen umfassenden Einblick, ob Personen – aus welchen Gründen auch immer – vielleicht doch noch entlassen oder aber abgeschoben wurden. Die Versuche, mit den Menschen über die Zeit der Haft hinaus im Kontakt zu bleiben, scheitern leider in der Mehrheit der Fälle.

Um der öffentlichen Debatte über Abschiebehaft mehr Differenziertheit und Tiefe zu geben, haben wir 2024 neben der Beratungstätigkeit eine Beitragsreihe zu Abschiebehaft auf Instagram und Facebook betrieben. Diese Beiträge finden Sie zusammengefasst hier.

Sie haben Fragen zum Thema Abschiebehaft oder benötigen Unterstützung? Hier finden Sie die Kontaktdaten unserer Kollegen der Beratung in Abschiebehaft.

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