Kommentar zum asylpolitischen Sondierungsergebnis von Union und SPD
Die AFD hat gewonnen! Dieser Eindruck drängt sich angesichts der am 8. März veröffentlichten Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD auf:
Die Rechtsextremen in Parlament und Gesellschaft haben es geschafft, Flucht und Asyl unter dem Rubrum „irreguläre Migration“ als Problem zu markieren. Kein Wort mehr findet sich in dem von CDU/CSU und SPD veröffentlichten Sondierungspapier zur Frage der Schutzgewährung politisch Verfolgter und Vertriebener und zur Verteidigung des Asylrechts oder überhaupt zur Bindung an Grund- und Menschenrechte, im Gegenteil: An den Grenzen sollen Zurückweisungen „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn … auch bei Asylgesuchen“ erfolgen. Die Parteien sind sich einig: Die „irreguläre Migration“ – und darunter wird wie selbstverständlich auch die Gruppe der einreisewilligen Schutzsuchenden, die aber regelmäßig keine Visa erhalten, gezählt – soll bekämpft werden. Das ist nicht nur inhuman, sondern auch völker- und europarechtswidrig, auch wenn die Parteien betonen, sie wollten nur „rechtsstaatliche Maßnahmen“ ergreifen.
Im Widerspruch zur Forderung nach „regulärer Migration“ und „qualifizierter Einwanderung in den Arbeitsmarkt“ werden legale Zugangswege eingeschränkt und z.B. die Westbalkan-Regelung begrenzt, sodass nach dieser Regelung nur 25.000 Personen jährlich statt 50.000 Personen zur Arbeitsaufnahme einreisen dürfen.
Für diejenigen, denen dennoch die Asylantragstellung gelingt, droht jetzt so etwas wie eine Beweislastumkehr: Sehr unscheinbar formuliert das Sondierungspapier: „Aus dem ‚Amtsermittlungsgrundsatz‘ muss im Asylrecht der ‚Beibringungsgrundsatz‘ werden.“ Darunter verbirgt sich ein fundamentaler Angriff auf ein zentrales Element des Asylrechts: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll gar nicht mehr zuständig sein für die Klärung und Ermittlung der Verfolgungslagen und Rückkehrgefährdungen in Herkunfts- oder Drittstaaten. Die Betroffenen sollen ihre Verfolgung nicht mehr nur glaubhaft machen, sondern buchstäblich beweisen müssen.
SPD und Union wollen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten „befristet“ aussetzen. Das ist für die Betroffenen furchtbar und menschenrechtlich inakzeptabel, weil ein Zusammenleben der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunftsland oder in einem Drittland in aller Regel nicht möglich ist. Die Union, die nicht müde wird, bei jeder Gelegenheit den besonderen Wert und den Schutz der Familie zu betonen, sorgt damit dafür, dass ein Familienleben über unabsehbar lange Zeiträume für geflüchtete Schutzberechtigte verhindert wird. Die Folge sind zerstörte Familien und Kinder, die ohne Vater oder Mutter aufwachsen müssen. Was passiert wohl in den Köpfen und Herzen dieser Menschen? Blamabel ist dieses Ergebnis auch für die SPD, die auf ihrem Parteitag im Dezember 2023 noch eine Erleichterung des Familiennachzugs gefordert hat. Jetzt verabredet sie gemeinsam mit der Union das Gegenteil.
CDU/CSU und SPD wollen – so verkündet es das am Internationalen Frauentag veröffentlichte Sondierungspapier – auch das Aufnahmeprogramm Afghanistan beenden – und damit diejenigen im Stich lassen, die nach dem überstürzten Abzug westlicher Truppen nach wie vor an Leib und Leben bedroht sind. Tausende Menschenrechtler*innen und sog. Ortskräfte, die wegen der äußerst schleppenden Umsetzung des Aufnahmeprogramms seitens der noch amtierenden Bundesregierung seit einem Jahr und länger mit einer rechtlich verbindlichen Aufnahmezusage unter beständiger Gefahr einer Abschiebung nach Afghanistan in Pakistan ausharren und auf ihre Rettung warten, sind verraten und verkauft.
Erbärmlich sind auch die weiteren Restriktionen, auf die sich CDU/CSU und SPD geeinigt haben: Das Recht auf eine anwaltliche Unterstützung in Abschiebungshaft wollen die Koalitionspartner in spe abschaffen, obwohl sich seit Jahren bei juristischen Überprüfungen regelmäßig rund 50% der untersuchten Haftbeschlüsse als rechtswidrig erweisen. Stattdessen sollen die Haftgründe nochmals ausgeweitet werden.
Die Liste so genannter „sicherer Herkunftsländer“ soll ausgeweitet werden. Selbstverständlich darf auch die Ausrufung einer neuen „Rückführungsoffensive“ nicht fehlen. Hierzu sollen u.a. die Rechte der Bundespolizei bei der Aufenthaltsbeendigung erweitert werden. Auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind geplant, die notwendigerweise die (indirekte) Zusammenarbeit mit islamistischen Regimen erfordern, zu deren Anerkennung beitragen und das Gegenteil von Terrorismusbekämpfung darstellen. Beide Staaten sind zudem nicht sicher: in Syrien kam es erst vergangene Woche zu Massakern an der alawitischen Minderheit in Syrien mit über tausend Ermordeten.
Die sog. „Bezahlkarte“ soll nicht nur deutschlandweit durchgesetzt, sondern auch der solidarische Umtausch „unterbunden“ werden – ein Hinweis auf die beabsichtigte Kriminalisierung von Umtausch-Initiativen?
Die Einführung des Wortes „Begrenzung“ als Zweckbestimmung in §1 des Aufenthaltsgesetzes, die Aussetzung des Familiennachzugs und die erweiterten Kompetenzen der Bundespolizei waren bereits Inhalt des Gesetzesvorhabens, das die CDU Ende Januar im Bundestag verabschieden lassen wollte. Diese Vorhaben wurden von der SPD noch heftig kritisiert. Ralf Mützenich stellte fest, die Union sei „aus der politischen Mitte dieses Hauses ausgebrochen„. Jetzt tragen CDU/CSU und SPD diese Forderungen gemeinsam – und darüber hinausgehend auch Zurückweisungen an den Binnengrenzen mit.
Die Verfassungsfeinde müssen nicht mitregieren: CDU/CSU und SPD geben sich alle Mühe, die von den völkischen Nationalisten geforderte „Migrationswende“ sprachlich und politisch in die Tat umzusetzen. Das ist in all ihrer Geschichtsvergessenheit eine erbärmliche Positionierung.
Wir werden dafür kämpfen, dass die Menschenrechte dabei nicht ganz unter die Räder kommen.
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