Selbstmordversuch vor Publikum

Eine kongolesische Asylbewerberin hat versucht, sich in der Ausländerbehörde in Syke zu erhängen. Bis zu 15 Menschen sollen zugesehen haben. In den letzten Jahren haben sich mehrere Flüchtlinge in der Bremer Umlandgemeinde das Leben genommen.

Roland Springborn kann es immer noch nicht glauben: Als der Mitarbeiter einer Arbeitsloseninitiative am vorvergangenen Freitag gegen zehn Uhr das Verwaltungsgebäude des Landkreises Diepholz in Syke betrat, sah er, wie eine Afrikanerin versuchte, sich mit ihrem Schal an einem in Kopfhöhe an der Wand angebrachten Heizkörper zu erhängen. „Zehn bis fünfzehn Personen standen um sie herum und haben zugesehen – aber kein Einziger hat was unternommen,“ sagt Springborn. Er selbst schritt ein und löste den Schal der um sich schlagenden Frau, eine junge Russlanddeutsche kam ihm zu Hilfe und hielt die Afrikanerin fest. „Die Frau war völlig außer sich und warf sich mehrfach auf den Boden“, sagt Springborn. „Wir haben sie dann ins Treppenhaus geführt und versucht sie zu beruhigen.“ Sie habe dabei immerzu von ihrem Mann gesprochen, erinnert sich Springborn.

Bei der Afrikanerin handelt es sich um eine Asylbewerberin namens B. aus dem Kongo. Beate Jürgens, zuständige Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde in Syke, schildert den Sachverhalt wie folgt: „Frau B. kam an dem Morgen unangemeldet in mein Büro, fragte, wo ihr Mann sei und schrie dabei. Weil ich noch einen anderen Besucher hatte, sagte ich ihr, sie solle auf dem Flur warten. Später hörte ich dann laute Geräusche, lief hinaus, und sah nur noch, wie der Herr Springborn mit Frau B. auf einer Sitzgruppe landete.“

Die Eheleute B. kamen vor zehn Jahren als Asylbewerber nach Deutschland und lebten abwechselnd in Syke und Bremen. Ihre drei Kinder waren bei den Eltern des Ehemannes im Kongo geblieben. Seit der Trennung des Paares vor einigen Jahren ist die HIV-positive B. in Bremen gemeldet. Die Abschiebung der beiden wurde aus humanitären Gründen immer wieder ausgesetzt. Da Herr B. straffällig geworden sein soll, soll sich die Ausländerbehörde schließlich zum Vollzug der Abschiebung entschieden haben.

Es ist unklar, ob B.s Ehemann, der an dem Morgen zwei Stunden zuvor zu einen Termin in der Ausländerbehörde erschienen war, in Abschiebehaft genommen wurde oder flüchtete. Die Ausländerbehörde verweigert hierzu die Angabe – „aus Datenschutzgründen“.

Brigitte Jäckel ist Mitarbeiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes in Syke. „Als die Sache mit Frau B. im Hausflur passiert ist, wurde ich dazugerufen. Sie hat geschrien, geweint, gezetert und wollte, dass man ihr die Ausweispapiere ihres Mannes aushändigt. Das war natürlich unmöglich.“ Sie habe versucht, B. zu beruhigen und anschließend die Angelegenheit mit der Sachbearbeiterin Jürgens besprochen. Daraufhin habe man B. geraten, sich an die für sie zuständige Ausländerbehörde in Bremen zu wenden. „Man kann sich doch nicht so erpressen lassen,“ sagt Jäckel. Die Ausländerbehörde sei dem Ehepaar immer wieder entgegengekommen, das Verhalten des Ehemannes sei letztlich Ursache der geplanten Abschiebung.

Roland Spingborn hat in der Zwischenzeit wegen unterlassener Hilfeleistung Anzeige gegen Unbekannt erstattet, weil keiner der Umstehenden B. an der versuchten Erdrosselung gehindert hat.

Der Selbstmordversuch von B. ist nicht der erste Fall dieser Art in Syke. Am 15. November 2002 übergoss sich der serbischstämmige Roma-Flüchtling Lata Aradinovic im Foyer des Syker Rathauses mit Benzin und zündete sich an. Augenzeugen zufolge hatte Aradinovic anschließend vergeblich versucht, sich auf einer Toilette des Rathauses zu löschen und starb am folgenden Tag an den Verbrennungen. Aradinovic hatte mit der Selbstverbrennung gegen seine drohende Abschiebung nach Serbien, die Zustände in seiner Asylbewerberunterkunft und die Behandlung seiner Familie durch die Behörden protestieren wollen. Die Familie Aradinovic war dem niedersächsischen Flüchtlingsrat zufolge von der Ausländerbehörde schikaniert worden, um Aradinovic zu zwingen, sich bei der jugoslawischen Botschaft Passpapiere für seine Abschiebung zu beschaffen. Dies war der Familie jedoch nicht möglich, da sie keinen Nachweis über die jugoslawische Staatsangehörigkeit besaß.

Nach Angaben von Pro Asyl soll sich der Syker Bürgermeister an dem Trauermarsch für den Flüchtling beteiligt und dort gesagt haben, dass „Herr Aradinovic selbst an allem Schuld“ war.

VON CHRISTIAN JAKOB

Quelle: taz nord

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