Dieses Land will uns nicht: Weshalb wir Deutschland wieder verlassen

Gestern ist eine aus Kolumbien nach Deutschland geflohene Familie nach Spanien ausgereist. Im nachfolgenden Text begründet sie, warum sie nach mehr als 30-monatigem Aufenthalt ihre Koffer gepackt hat, weil ihnen als Familie keine Perspektive für ein gemeinsames Leben in Deutschland geboten wurde.
Der Fall erinnert stark an die Auseinandersetzung um Haus Wilstedt, ein Heim für demenzkranke Menschen bei Bremen, dem die Schließung droht, weil zehn Pflegehilfskräfte aus Kolumbien, insgesamt 25% des gesamten Personals, von Abschiebung bedroht sind. Er verdeutlicht, dass ein „Spurwechsel“ für im Asylverfahren abgelehnte Geflüchtete in Arbeit dringend erforderlich wäre, aber bis heute schwierig bis unmöglich ist. Im Ausland wirbt die Bundesregierung händeringend um dringend benötigte Fachkräfte, verweigert aber gleichzeitig denjenigen eine Aufenthaltsgenehmigung, die hier längst beschäftigt sind und auch dringend gebraucht würden.

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Dieses Land will uns nicht: Weshalb wir Deutschland wieder verlassen

Am 1. Dezember haben wir, eine Familie aus Kolumbien nach etwas mehr als 30 Monaten Deutschland wieder verlassen: Wir, das sind die zwei Schwestern Arleida und Diana, deren Ehemann Eduardo, ihre Tochter Isabela. Julieth, die Nichte der Schwestern, wird folgen, wenn auch ihr Freund die Aufforderung zur Ausreise erhalten haben wird. Über 14 Jahre haben wir in Kolumbien gemeinsam gelebt, gearbeitet, haben uns politisch und sozial engagiert, bis wir es dort nach vielen Wohnungswechseln infolge ständiger Bedrohungen nicht mehr ausgehalten haben. Wir flohen nach Deutschland und stellten Asylanträge.

Jetzt, zweieinhalb Jahre später müssen wir einsehen: Dieses Land und seine Regierung wollen uns nicht. Als familiäre Gruppe schon gar nicht. Lediglich Einzelne von uns könnten vielleicht darauf hoffen, nach vielen Jahren eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Bis dahin würden wir immer Menschen zweiter Klasse bleiben. Die konkrete Abschiebungsandrohung gegen Arleida in der ersten Novemberhälfte gab nun den Ausschlag zur Ausreise – gemäß dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: Etwas besseres als dieses Land finden wir allemal.

Dabei hatte es für uns, insbesondere für Diana und ihren Mann Eduardo mit der gemeinsamen Tochter Isabela, so gut angefangen.

Die Tochter Isabela

Sie war in ihrer Klasse nach zwei Jahren Schulbesuch die Beste. „Hoffentlich bleibt sie uns erhalten“ – so ihre Lehrerin, die sich wünschte, dass sie noch länger auf dieser Schule bliebe und nicht vorschnell aufs Gymnasium wechseln würde.

Der Ehemann Eduardo

Isabelas Vater war in Kolumbien Projektleiter bei der Realisierung von Einkaufszentren etc. gewesen, deren elektrische und IT-Infrastruktur er geplant und deren Umsetzung er überwacht hatte. Doch genutzt hat ihm dies in Deutschland nichts. Es fehlen die entsprechende Zertifikate.

Und das hat Gründe: Sein Vater war ein früheres Mitglied der FARC gewesen. Er hatte diese verlassen, als sie sich immer mehr in ein Drogenkartell verwandelt hatte. Darauf wurde er als Kenner von Interna und potentieller Verräter von der FARC gefoltert und ihm die Ermordung der Familie angedroht. Er entkam nur mit Mühe. Die Mutter und die Kinder, darunter Eduardo, wurden vom Roten Kreuz aus ihrem Haus im Süden Kolumbiens nach Bogota ausgeflogen, bevor FARC-Milizen ihrer habhaft wurden.

Doch das hing ihm in Kolumbien immer nach: Wegen der ehemaligen FARC-Mitgliedschaft seines Vaters durfte er nicht zum Militär. Und zu einer Prüfung auf der Universität wurde er nicht zugelassen, weil er nicht „gedient“ hatte. Und ohne entsprechendes Abschlusszeugnis zählen in Deutschland all seine Kenntnisse nichts.

Endlich hatte er nach einer bestandenen Sprachprüfung auf dem Niveau B1 im Sommer 2023 eine Lehrstelle als Elektriker in einer großen Firma ohne „Scheuklappen“ erhalten (dafür ist eigentlich das Niveau B2 Voraussetzung). Nach nur 2 Jahren könnte er im Sommer 2025 vorzeitig seine Gesellenprüfung ablegen. Die Lehrfirma wollte ihn unbedingt behalten und es gab Überlegungen, ob ein duales Studium oder die Meisterschule das für ihn Richtige sein würde.

Die Arbeitsgenehmigung für die Lehre wurde erteilt. Doch dann ein Schock: Nachdem sein Widerspruch gegen die Ablehnung durch das BAMF vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden war, wurde ihm vom Ausländeramt erst einmal mitgeteilt, dass er Deutschland verlassen müsse. Irrtum oder böser Wille? Mittlerweile hat er eine Aufenthaltserlaubnis bis Anfang 2027 nach den neuen Regelungen für den Nachzug von Fachkräften nach Deutschland.

Die Ehefrau Diana

Seine Ehefrau Diana kommt aus dem ländlichen Gebiet im Norden Kolumbiens, wo nicht die FARC, sondern die ELN die bewaffnete Opposition bildet. Sie hat es geschafft, einen Master in Biologie zu machen und als Lehrerin zu arbeiten. Noch von Deutschland aus hat sie ihren ehemaligen Kolleginnen geholfen, Luftaufnahmen auszuwerten. Diese Aufnahmen dienten dem Nachweis illegaler Holzeinschläge und Bergbauprojekte. Eine ihrer Kommilitoninnen war bei der Feldforschung im Süden ermordet worden, die anderen mit dem Tod bedroht.

Ohne entsprechende Sprachkenntnisse konnte sie ihr Masterstudium in Biologie und ihre Lehrerausbildung in Deutschland „knicken“. Stattdessen hat sie es in Deutschland nach einem Jahr geschafft, neben ihrem Deutschkurs eine Anstellung als Helferin in der Altenpflege zu finden. Ihr Arbeitgeber würde ihr den Besuch eines Sprachkurses auf dem Niveau B2 (für eine Ausbildung erforderlich) durch einen angepassten Schichtplan ermöglichen. Doch eine für sie erforderliche Genehmigung zum Besuch des Sprachkurses ist auch nach 5 Wochen Wartezeit bisher nicht erteilt worden. Ihre Ausbildungszusage ist an dieses Sprachlevel gebunden. Auch mehrere Anfragen von Eduardo auf eine Aufenthaltserlaubnis als Ehefrau blieben unbeantwortet.

Als sie ihre Stelle kündigte, verabschiedeten sich Vorgesetzte und Kolleginnen von ihr und überreichten ihr eine nicht unerhebliche Summe schnell gesammelten Geldes, die ihr den Start in Spanien erleichtern helfen sollte. Und: Sie könne jederzeit wiederkommen, sollten die Verhältnisse sich ins Bessere verändern.

Auch ihr Asylantrag war – wie bei allen – vom Verwaltungsgericht abschlägig beschieden worden. Da ihre Ehe auch von deutschen Behörden anerkannt ist, würde sie nicht abgeschoben werden, solange Eduardo eine Aufenthaltserlaubnis hat. So zumindest die Annahme bis zum 29.11. Da fand sie in ihrem Briefkasten die Mitteilung, dass ihre Aufenthaltserlaubnis und die von Isabela nunmehr abgelaufen sei und sie sich aufgefordert würde, sich bis zum 26.12. zu erklären, ob sie Deutschland freiwillig verlassen wolle.

Nun erklärte sich auch für Diana eine Situation mit dem Verwaltungschef des Altersheims, der sie einen Tag nach ihrer Kündigung auf ihre Kündigung vom Vortag ansprach und meinte, sie habe doch noch Zeit bis zum 26.12. Ihr Chef hatte also schon Tage vor ihr von diesem Brief gewusst. Sie, die Betroffene, wurde also als Letzte informiert.

Die Schwester Arleida

Arleida hat Sozialpädagogik studiert. In Projekten einer Organisation vergleichbar mit „pro familia“ ist sie auf dem Land immer wieder zwischen die Fronten von lokalen Milizen, zentraler Polizei und machistischen Ehemännern geraten und hat entnervt aufgegeben.

In Deutschland hat sie nach 8 Monaten als Helferin in der Altenpflege über eine Zeitarbeitsfirma Arbeit bei einer Futtermittelfirma gefunden. Zum zum kommenden Jahreswechsel sollte sie in eine Festanstellung übernommen werden. Beide Firmen, die Zeitarbeitsfirma wie die übernehmende Firma hatten sich auf die in dieser Branche übliche „Ablöse“ für die Zeitarbeitsfirma geeinigt und von sich aus die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Absicht der Neueinstellung an die Behörde gemeldet. Arleida hatte eine Arbeitsgenehmigung bis Anfang 2027. Noch bevor sie eine neue Stellenbeschreibung bei der Ausländerbehörde einreichen konnte, bekam sie die Auskunft, dass ihr Antrag auf Arbeitsgenehmigung sicher 6 oder mehr Wochen dauern könne, sowie eine Duldung für drei Monate ohne Arbeitserlaubnis und die Aufforderung, Deutschland freiwillig zu verlassen. Ihren hier gewonnenen Freund, ebenfalls Zuwanderer, wird sie verlassen – ohne Aussicht auf ein Happy End.

Die Nichte / Cousine Julieth

Ähnliches blüht wohl auch Julieth, der Nichte der beiden Schwestern. Sie hatte – damals noch in Niedersachsen schulpflichtig – nach ihrer Ankunft erst erfolgreich die Schule besucht und danach ebenfalls in der Zeitarbeitsfirma gearbeitet. Auch ihr Asylverfahren ist endgültig negativ abgeschlossen. Ihre Arbeitsgenehmigung läuft bis Anfang 2027, aber sie ist in ständiger Erwartung einer Aufforderung der Ausländerbehörde, Deutschland zu verlassen. Ihr Freund, ebenfalls Kolumbianer, den sie hier kennen gelernt hat, ist in derselben Situation. Die beiden werden Deutschland dann zusammen den Rücken kehren.

Wir bleiben zusammen – auf jeden Fall

Wir haben die letzten 14 Jahren in Kolumbien zusammen gewohnt und gearbeitet und sind nun seit 17 Jahren zusammen. Gemeinsam haben wir in Bogota ein Sozialprojekt betrieben, in dem Arbeitslose, SeniorInnen, Alleinstehende sowie Straßenkinder betreut wurden. Den Anstoß dafür gab Eduardos Mutter, die nie aufgegeben und sich als Lehrerin um benachteiligte Kinder gekümmert hat. Einige hat sie später wieder getroffen und sich gefreut, wenn sie diesen doch im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine bessere Zukunft ermöglichen konnte. Von ihr haben wir den Satz gelernt: Der gute Wille entscheidet. Wir mussten sechsmal umziehen, weil wir immer wieder in Lebensgefahr waren. Unsere Arbeit gefiel offiziellen und inoffiziellen Strukturen nicht.

Weihnachten 2022 war für uns – wir waren schon in Deutschland – ganz schrecklich. Auf offener Straße war in Bogota ein Cousin von Julieth erschossen worden. Der Fall ging durch die Presse. Der Anschlag galt wohl ihrem Onkel, einem bekannten ehemaligen Aktivisten einer linken Partei. Er hat überlebt. Aufgeklärt wurde der Mord, der sich mitten in Bogota auf offener Straße ereignete, nie. Dasselbe hätte auch uns jeden Tag passieren können.

Den letzten Monat in Deutschland haben wir mit Ausnahme von Julieth in einer eigenen Mietwohnung gelebt. Die Familienunterkunft der Ausländerbehörde konnten wir hinter uns lassen. Schule, Bahnhof und Altersheim waren fußläufig erreichbar. Seit mehr als einem Jahr waren wir unabhängig von Transferleistungen, bezahlten Steuern und Sozialabgaben, hatten solide Arbeits- bzw. Ausbildungsverträge. Doch ein sicheres Leben ist etwas anderes. Ein dauerhafter Aufenthalt oder gar eine deutsche Staatsangehörigkeit sind selbst für Eduardo und Diana mit ihrer Tochter auf Jahre hinaus unsicher. Dass wir diese Zeit hier nur auf Abruf leben würden, macht sich an vielen Kleinigkeiten bemerkbar: Schon die Anlage längerfristigen Sparvertrags oder eines Bausparvertrags wird uns mangels längerer Aufenthaltsgenehmigung verwehrt. Und dann die vielen bürokratischen Regeln, die wir als Ausländer in diesem Land zu beachten haben und die wir ohne Hilfe kaum fehlerfrei einhalten können.

Dazu kommt die Angst, das angesichts des Rechtsrucks in der deutschen Politik sich jederzeit auch wieder das Aufenthaltsgesetz verschlechtern kann. Zwei von uns sind schon heute akut von Abschiebung bedroht.

Seit 17 Jahren leben wir als Familie zusammen und wollen uns nicht durch die deutsche Gesetzgebung auseinander dividieren lassen. So haben wir Deutschland verlassen, um in Spanien unter ökonomisch schlechteren, politisch für kolumbianische Staatsangehörige (und seit neuem auch für andere Geflüchtete) aber besserem Bedingungen einen neuen Versuch zu unternehmen, eine sichere und bessere Zukunft für uns aufzubauen. Geld für ein gutes halbes Jahr haben wir ansparen können und eine Wohnung konnten wir auch schon anmieten.

Wir bedanken uns bei allen, die uns in Deutschland geholfen haben, speziell unseren Arbeitgebern, den Lehrern und unserem Vermieter, die uns hoffentlich verstehen werden. Unsere Freunde in Deutschland werden wir nie vergessen – und sicher auch wiedersehen.

Die Familie aus Kolumbien
und Eike Andreas Seidel

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3 Gedanken zu „Dieses Land will uns nicht: Weshalb wir Deutschland wieder verlassen“

  1. … dieses müsste ganz groß in die Medien
    z.B. an den Spiegel, die Süddeutsche, an die BILD usw.

    traurig, dass es so viele Beispiele gibt – und das in diesem Fall innerhalb einer Familie!

    der Familie wünsche ich viel Glück
    (meine Nichte lebt unterdessen in Sevilla/Spanien)

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  2. Wer lange in der Arbeit für Geflüchtete tätig ist, den wundert das Prozedere der Behörden nicht. Es ist erschreckend , dass wird offenbar immer mehr Menschlichkeit verlieren und es ist gleichzeitig Realität, dass unser Land dringend Arbeitskräfte braucht, egal aus welchem Land sie kommen. Was nützt uns das neue Fachtkräfteeinwanderungsgesetz,wenn man so einen „Fall“ objektiv anschaut?

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