Entsetzt und empört nimmt der Flüchtlingsrat Niedersachsen zur Kenntnis, dass die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz vom 23. – 25.10.2024 auch den Familiennachzug zu Geflüchteten mit subsidiärem Schutzanspruch grundsätzlich in Frage stellen. Karim Alwasiti, PRO ASYL – Referent für Familiennachzug beim Flüchtlingsrat Niedersachsen:
„Wir fordern die Bundesregierung auf, das Ansinnen der Ministerpräsident*innen zurückzuweisen und endlich anzuerkennen, dass auch Geflüchtete ein Recht auf Familie haben. Für Betroffene wäre es eine Tragödie, wenn nun Menschen, deren Angehörige seit Jahren auf einen Termin beim Familiennachzug warten, die Möglichkeit auf Familienzusammenführung genommen wird.“
Im Koalitionsvertrag von 2021 hatte die Ampel festgelegt, dass der Familiennachzug zu Kriegsflüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus dem von Menschen mit Flüchtlingsanerkennung gleichgestellt werden soll. Nun fordern die Ministerpräsident*innen das pure Gegenteil: Künftig soll der Familiennachzug zu subsidiären Schutzberechtigten auf „Härtefälle“ beschränkt werden. In dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonfernz wird nicht ausgeführt, was genau einen Härtefall darstellt, der eine Familienzusammenführung ausnahmsweise weiterhin ermöglichen soll. Misstrauen ist angebracht: Auch während der Aussetzung von März 2016 bis August 2018 wurde in Aussicht gestellt, dass es Ausnahmen in Härtefällen geben soll. Letztendlich wurden aber kaum Ausnahmefälle von den Behörden als solche anerkannt. Karim Alwasiti dazu:
„Aufgrund der jahrelangen Wartezeiten beim Familiennachzug und den damit einhergehenden Trennungszeiten, bewerten wir alle Familientrennungen als Härtefälle. Die Familienangehörigen leben in der Regel unter widrigen Bedingungen in Krisenregionen wie dem Libanon oder in Flüchtlingscamps in der Türkei oder Jordanien. Ihnen den Familiennachzug zu verweigern heißt, Familien zu zerstören.“
Das Trauerspiel um die Familienzusammenführung geht damit in die nächste Runde:
- Am 11. März 2016 setzte die Bundesregierung mit dem Asylpaket II den Familiennachzug für die Dauer von zunächst zwei Jahren bis zum 16.03.2018 für all diejenigen aus, denen nach dem 17.03.2016 der subsidiäre Schutzstatus zugesprochen wurde. Begründet wurde dies maßgeblich mit einer potenziellen Überforderung der Aufnahme- und Integrationssysteme.
Die SPD rechtfertigte das Mittragen der Entscheidung damals damit, dass syrische Staatsangehörige von der Aussetzung nicht betroffen seien. Zeitgleich mit Inkrafttreten der Regelung änderte sich jedoch die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Syrische Geflüchtete, denen bis dato eine Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugesprochen wurde, sprach das BAMF danach zunehmend häufig lediglich den subsidiären Schutz zu.
- Nach heftigen Auseinandersetzungen in der Großen Koalition folgte im Juli 2018 die bis heute gültige Gesetzesänderung, die einen Nachzug von Kernfamilienmitgliedern von subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen auf bis zu 1000 Personen monatlich beschränkt.
- Das Versprechen der Bundesregierung, diese Diskriminierung endlich zu beenden und auch subsidiär geschützten Menschen endlich wieder ein Recht auf Familiennachzug einzuräumen, blieb bis heute unerfüllt.
Syrischen Geflüchteten, die bis 2015 überwiegend eine Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhielten, sprach das BAMF bereits im Jahr 2016 in 41,2 % der Fälle Syrer*innen lediglich den subsidiären Schutz zu. Mittlerweile erhalten die allermeisten syrischen Asylantragsteller*innen den subsidiären Schutz. Nur noch unter 8 % erhalten eine Flüchtlingsanerkennung. Betroffen sind auch Menschen aus anderen Staaten und Regionen wie beispielsweise aus Palästina, dem Sudan, der Türkei, Afghanistan, Eritrea oder dem Irak. Inzwischen liegt der Anteil der subsidiären Schutzgewährungen unter allen Entscheidungen, die einen Schutzstatus gewähren, bei mehr als einem Viertel (siehe Bundeszentrale für politische Bildung).
Die Kontingentregelung führt in der Praxis jetzt schon zu großen Problemen. Annika Hesselmann vom Flüchtlingsrat Niedersachsen:
„Insbesondere beim Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen gibt es immer wieder Schwierigkeiten, weil die Auslandsvertretungen teilweise keine Sondertermine vergeben, so dass die Minderjährigen dann volljährig werden, bevor ihre Eltern einreisen können. Danach ist der Elternnachzug für sie nicht mehr möglich. Eine weitere Einschränkung wäre für die Betroffenen eine Katastrophe.“
Es ist in der Tat zynisch, den Familiennachzug erneut auszusetzen, besonders für Flüchtlinge, die bereits so viel durchgemacht haben. Eine solche Entscheidung zeigt eine mangelnde Empathie und Menschenrechtsverletzungen.