a. Die Bezahlkarte ist Produkt von Falschinformationen und menschenfeindlicher Diskurse
Die Debatten um die Einführung der Bezahlkarte waren diskriminierend. Verantwortliche Politiker:innen stellten schutzsuchende Menschen als arbeitsunwillig dar. Die Menschen würden wegen des Sozialleistungsbezugs nach Deutschland fliehen – so der Tenor. Das entspricht in keinster Weise den Tatsachen und bestätigt das falsche Bild, das rechtspopulistische Positionen von Menschen auf der Flucht zeichnen. Söder, Herrmann und Co. waren sich nicht zu schade, in Leierkastenmanier Falschinformationen und menschenfeindliche Parolen zu wiederholen. Die Bezahlkarte soll Migrationszahlen senken, einen angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen verhindern und Schleuserkriminalität bekämpfen. Die Annahme der Existenz von wirtschaftlichen Pull-Faktoren ist wissenschaftlich nicht haltbar. Dass Geflüchtete während ihres Verfahrens nennenswerte Beträge an die Familie ins Ausland überweisen, ist nicht belegt und eher abwegig. (Und was bitte verlangt nach einer Restriktion, wenn Menschen, denen die Flucht gelungen ist, ihre Familienangehörigen im Herkunftsland unterstützen?) Dass Schleuser vor und nicht einer Flucht bezahlt werden müssen, sollte allen, die sich mit Migration beschäftigen, klar sein.
Die mit der Bezahlkarte verfolgten Ziele werden nicht erreicht werden, den rassistischen Diskursen hat man aber gehörig Vorschub geleistet. Die Hetze gegen Geflüchtete hat mit den Debatten um die Bezahlkarte neuen Auftrieb bekommen. Diesen Schaden wird man nicht mehr beheben können.
b. Die Bezahlkarte ist diskriminierend
Die Bezahlkarte ist eine weitere Maßnahme, die geflüchtete Menschen diskriminiert und ihre Teilhabe am alltäglichen Leben erschwert. Ein schnelles Ankommen und Einfinden in die Gesellschaft werden so verhindert. Genau dies aber sollte das eigentliche Ziel einer konstruktiven Asylpolitik in diesen Zeiten sein.
50 € Bargeld pro Monat sind zu wenig. Der Betrag ist, anders, als von der Staatsregierung dargestellt, nirgendwo rechtlich geboten. Hier müssen die Karteninhaber:innen im Vorfeld planen – soweit das im Alltag eben möglich ist. In akuten Notfällen ist man ohne gutes Netzwerk aufgeschmissen. Durch die Beschränkungen müssen dann im Einzelfall Ausnahmen über Anträge bei den Behörden geregelt werden, wenn mehr Bargeld benötigt wird, z.B. für Materialgeld in der Schule, bei Terminen außerhalb des Geltungsbereichs, wenn schnell Überweisungen eingerichtet, um die Anzahlung bei Anwältinnen zu tätigen oder Fristen gewahrt werden müssen (um nur einige Beispiele zu nennen). Dass eine flexible, zeitnahe Bearbeitung zu jeder Zeit bewerkstelligt werden kann, ist unwahrscheinlich. Muss es schnell gehen, wird die Bezahlkarte zum Hindernis. Können die Betroffenen das Anliegen nicht schriftlich vortragen, braucht es immer einen Termin bei der Behörde.
c. Die Bezahlkarte gefährdet die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums
Das Bundesverfassungsgericht stellte 2012 in einem Urteil klar: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. Heißt: Es gibt ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Durch die Einschränkungen der Bezahlkarte ist es höchst fraglich, ob dieses überhaupt noch gewährleistet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2012 festgestellt: Geflüchtete haben das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst (1 BvL 10/10). Personen im Asylbewerberleistungsbezug erhalten mit 460 €/ Monat rund 100 € weniger als die Grundsicherung nach dem SGBII. Damit trotzdem das menschenwürdige Existenzminimum erreicht wird, ist es unabdingbar, dass Personen Spielraum bei der individuellen Deckung ihrer Bedarfe haben. Also an einer Stelle einsparen, um an anderer Stelle mehr Geld als dafür gesetzlich veranschlagt ausgeben zu können. Dieses sparsame Wirtschaften ist mit der Bezahlkarte erschwert. Das Einkaufen auf dem Flohmarkt, in Secondhand Läden oder über Kleinanzeigen ist nicht mehr möglich. Onlinekäufe mit Ratenzahlung sind nicht vorgesehen und brauchen eine Genehmigung durch die Behörden.
d. Die Bezahlkarte ist datenschutzrechtlich problematisch und eingriffsintensiv
Überweisungen und Lastschriftverfahren sollen nicht selbstständig eingerichtet werden können. Hier muss immer der Weg über die Leistungsbehörde gegangen werden. Das ist datenschutzrechtlich mehr als fragwürdig.
Klar ist: die Bezahlkarte bietet den Behörden zu viele Einblicke und Möglichkeiten der Kontrolle. Behörden können zu jeder Zeit den Kontostand einsehen, die Karte in einen „Schlummermodus“ versetzen bzw. ganz sperren. Ausbezahlte Leistungen, die sich als Guthaben auf der Karte befinden, können wieder eingezogen werden. Einsicht in den individuellen Zahlungsverkehr haben die Behörden nicht. Aber ein Monitoring der Transaktionen seitens des Zahlungsanbieters soll stattfinden. So soll es möglich sein, bestimmte Händler auszuschließen, wenn auffällige Häufungen von Transaktionen ersichtlich werden und „missbräuchliches Verhalten“ vermutet wird.
Und blickt man nach Bayern, so droht auch die technische Umsetzung Fragen bzgl. Datenschutz und Datensicherheit offen zu lassen. Die Datenschutzerklärung des dortigen Anbieters Paycenter z.B. ist lediglich auf deutscher Sprache verfügbar – eine informierte Entscheidung der anzunehmenden Nutzer:innengruppe somit nicht vorgesehen.
Die Rechtseingriffe durch die Bezahlkarte sind vielfältig und weitreichend. Sie stehen in keinem Verhältnis zu dem, was durch die Bezahlkarte eigentlich geleistet werden soll, nämlich staatliche Transferleistungen den rechtmäßigen Empfänger:innen zugänglich zu machen.
e. Die Bezahlkarte führt zu Rechtsunsicherheit
Die momentane Ausgestaltung der Bezahlkarte in Bayern lässt den einzelnen Behördenmitarbeitenden viele Eingriffsmöglichkeiten. So kann der Geltungsbereich eingeschränkt oder erweitert werden; die Karte kann in einen „Schlummermodus“ versetzt oder ganz deaktiviert werden, Überweisungen oder Lastschriftverfahren an Empfänger:innen, die nicht auf der Whitelist sind, müssen genehmigt und können damit auch versagt werden. Zu befürchten ist, dass hier willkürlichem Behördenhandeln Tür und Tor geöffnet wird. Wie hier die Rechtssicherheit der potentiell Betroffenen gewährleistet wird ist fraglich. Dass es zu Unterschieden in der Behördenpraxis kommt, ist hingegen wahrscheinlich. In Bayern z.B. werden Weisungen an die Behörden vom Innenministerium vorenthalten.
f. Die Bezahlkarte ist keine Lösung
Der Aufwand für Betroffene, Unterstützer:innen und Behörden bei der Einführung der Bezahlkarte ist enorm. Über die Kosten für die Bezahlkarte gibt es vom Bayersichen Innenministerium – mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse der Paycenter GmbH – keine Informationen. Eine rechtlich unbedenklichere, diskriminierungsfreie und kostengünstigere Lösung wäre die Überweisung auf ein Basiskonto, wie es mit der Hannoveraner Lösung derzeit umgesetzt wird.
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