Fadenscheinige Ablehnung politisch Verfolgter durch das BAMF

Immer wieder macht der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Erfahrung, dass politisch Verfolgte aus der Türkei vom BAMF aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt werden.

„Es ist inakzeptabel und politisch skandalös, wenn das BAMF Dokumente, die eine politische Verfolgung zweifelsfrei belegen, nicht zur Kenntnis nimmt, und Asylanträge unter Bezugnahme auf „Glaubwürdigkeitsfragen“ ablehnt, so Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vom Vorstand des Flüchtlingsrats

Jüngster Fall: Der türkische Armeeoffizier B. wurde 2020 wegen des Vorwurfs, Mitglied in der Gülen-Bewegung zu sein, aus der Armee ausgeschlossen und später festgenommen, gefoltert und mit Urteil des 4. Strafgerichts für schwere Strafsachen vom 26.03.2020 zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seit dem Putschversuch 2016 bezichtigt die türkische AKP-Führung die Anhänger:innen des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Putsch inszeniert zu haben, und verfolgt sie unnachsichtig als „Terroristen“. Schon die Mitgliedschaft reicht in der Regel für Verfolgungsmaßnahmen, Verantwortliche der Bewegung werden mit hohen Haftstrafen belegt.

Da die Entscheidung noch nicht rechtskräftig war, wurde B. nach seiner Verurteilung mit  Meldeauflagen und einem Ausreiseverbot bis zum Revisionsverfahren vorläufig freigelassen. Nach seiner Freilassung ergriff B. die Flucht. Im Fall einer Rückkehr würde B. aufgrund des Verstoßes gegen die verhängten Auflagen sofort inhaftiert.

Obwohl B. als Beweismittel die Anklageschrift und die Verurteilung in Kopie mitbringen konnte, lehnte das BAMF eine Schutzgewährung ab. Das BAMF ignorierte in seiner Begründung auch die anwaltliche Zusicherung von Rechtsanwalt Kelloglu aus Hannover, der dem BAMF bereits bei Antragstellung schriftlich versichert hatte:

„Der Unterzeichner hat mit den Zugangsdaten des Antragstellers Einsicht in das türkische E-Devlet/UYAP-System geschaut. Das o.g. Strafverfahren ist dort aufgeführt. Kopien der Bestätigungen des o.g. Verfahrens fügen wir als Anlage an.“

Zur Begründung für die Ablehnung des Asylantrags beruft sich das BAMF auf Glaubwürdigkeitsfragen: Der Betroffene habe „oberflächlich“ geantwortet, seine Unterstützung der Gülen-Bewegung nicht ausdrücklich beschrieben und während der Anhörung die Unterlagen im UYAP-System nicht aufrufen können, so das BAMF. Die Echtheit der vorgelegten Unterlagen könne „so nicht … überprüft werden“. Es kann viele Gründe dafür geben, warum eine Seite im türkischen E-Devlet/UYAP-System während der Anhörung nicht online aufgerufen werden konnte. Daraus zu schließen, der Sachverhalt sei unzutreffend, verbietet sich jedenfalls dann, wenn ein türkischsprachiger Anwalt die Echtheit der Unterlagen nach Inaugenscheinnahme anwaltlich versichert.

Solche Bescheide sind kein Einzelfall: Obwohl wir aufgrund der gemeinsam mit den Betroffenen genommenen Einsicht in das türkische E-Devlet/UYAP-System wissen, dass eine Verurteilung vorliegt, zieht das BAMF dies in etlichen Fällen mit fadenscheiniger Begründung in Zweifel und weigert sich, den Sachverhalt aufzuklären. Auch im vorliegenden Fall hat der Flüchtlingsrat beim BAMF die Anberaumung eines Termins angeregt, um dem BAMF einen Einblick in das UYAP-System zu ermöglichen, doch das BAMF lehnt dies ab und verweist auf das gerichtliche Verfahren. In der Konsequenz müssen die Betroffenen oft jahrelang auf eine Gerichtsentscheidung warten, mit der die Verfolgung dann endlich anerkannt wird. Diese Praxis des BAMF belastet unnötig die ohnehin überlasteten Verwaltungsgerichte und irritiert aus mehreren Gründen: Im Asylverfahren geht es nicht um den Beweis, sondern um die Glaubhaftmachung der Verfolgung. Wenn Kopien über eine (politisch motivierte) Strafverfolgung vorliegen, kann und darf ein Asylantrag nicht aus Gründen angeblich mangelnder Glaubwürdigkeit abgelehnt werden, ohne die Echtheit der eingereichten Unterlagen selbst zu prüfen und zu bewerten.

Der Fall ist dramatisch, weil Herr B, der am 17.10.2022 seinen Asylantrag stellte und von Beginn an auf die drohende Verfolgung seiner Frau und Kinder verwies, vor Angst um seine Familie schier vergeht. Er reiht sich ein in andere fragwürdige Entscheidungen des BAMF in Gülen-Verfahren. Die Verfolgung in der Türkei geht weiter, aber das BAMF nimmt sie oft nicht zur Kenntnis.

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