Anlässlich des 1. Mai fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen gleiche soziale Rechte für alle Menschen in Deutschland statt diskriminierender Bezahlkarten für Geflüchtete. Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen:
„Die rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen und versprochen, „dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleichbehandelt werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.“ Mit der Bezahlkarte droht jedoch genau das Gegenteil: Systematische Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten anstatt Chancengleichheit und gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe.“
Derzeit sind weltweit 115 Millionen Menschen – und damit so viele wie noch nie – auf der Flucht. Ein kleiner Teil dieser Menschen sucht Schutz in Europa und Deutschland. Wenn sie es überhaupt schaffen, die Grenzen zu überwinden, dürfen sie sich ihren Wohnort nicht selbst aussuchen und sind gezwungen, ihren Asylantrag in zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen zu stellen, wo sie bis zu 18 Monate leben müssen. Auch nach einer Verteilung auf die Kommunen droht ihnen oft eine jahrelange Unterbringung in Sammellagern.
Die Leistung für Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind zumindest in den ersten 36 Monaten deutlich geringer als das im Bürgergeld definierte Existenzminimum, obwohl diese pauschale Kürzung gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt. Die Leistungen für Asylsuchende nach dem AsylbLG sollen nach Vorstellungen der Landesregierung auch in Niedersachsen zukünftig ausschließlich auf eine Bezahlkarte gebucht werden. Die Bezahlkarte ist eine Guthabenkarte ohne Kontobindung. Überweisungen und Lastschriften sollen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Und die Menschen sollen nur einen kleinen Betrag in bar abheben können.
Aber die Bezahlkarte funktioniert nur in Geschäften mit dafür ausgestatteten Lesegeräten, z.B. für Mastercard oder VISA. Vielerorts kann man sie nicht einsetzen, etwa auf Flohmärkten, beim Gemeindefest oder in der Schulcaféteria. Händler*gruppen, die Geldtransfers ins Ausland anbieten, sind ebenfalls ausgeschlossen. Für die Menschen bedeutet dies, alltäglich Diskriminierung und Stigmatisierung zu erleben!
Eine Einschränkung von Überweisungen führt zu gesellschaftlichem Ausschluss von Geflüchteten: Die Mitgliedschaft in Sport- und gemeinnützigen Vereinen, der Kauf eines Deutschlandtickets, der günstige Einkauf im Internet, sogar der Handyvertrag – all dies wird erschwert oder gar verhindert.
Zudem kann es gravierende Auswirkungen auf den Zugang zu einer rechtlichen Vertretung haben. Oft gibt es am Wohnort keine spezialisierten Asylanwält:innen, deshalb greifen Geflüchtete auf Kanzleien zurück, die weiter entfernt sind. Ohne Überweisungsmöglichkeit müssten sie dort jeden Monat persönlich erscheinen, um die vereinbarten monatlichen Raten per Bezahlkarte zu zahlen.
Auch einen Anspruch auf eine Krankenversorgung haben Geflüchtete nach dem AsylblG nur dann, wenn sie unter einer akuten Erkrankung oder Schmerzzuständen leiden. Da Geflüchtete in Niedersachsen überwiegend keine Gesundheitskarte erhalten, müssen sie sich für so gut wie jeden Arztbesuch einen Behandlungsschein vom Sozialamt holen. Ein Recht auf Vorsorgeuntersuchungen zur frühzeitigen Erkennung von Krankheiten haben sie prinzipiell nicht. Dies gilt auch für Säuglinge, Kinder und Jugendliche.
Wir appellieren an die Landesregierung, sich auf ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu besinnen, anstatt mit der Bezahlkarte ein neues Diskriminierungsinstrument zu schaffen.
Wir fordern:
- gleiche und uneingeschränkte soziale Recht für alle Menschen in Deutschland – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus. Das heißt insbesondere volle medizinische Versorgung und uneingeschränkte soziale Leistungen
- freie Wohnortwahl, uneingeschränkten Zugang zu Sprachförderung, Bildung, Ausbildung und Arbeit für alle Geflüchteten
- nachhaltigen Schutz für hierzulande von Gewalt betroffene oder bedrohte geflüchtete Frauen, Minderjährige, LGBTQ+ und andere vulnerable Schutzsuchende.
- Ein Bleiberecht für alle Geflüchteten, die faktisch in Niedersachsen zu Hause sind
- entschiedenes Eintreten des Staates gegen Hass, Hetze und Rassismus, gegen Antiziganismus, Antisemitismus, Antislawismus und Islamophobie
Anlage: Faltblatt NEIN zur diskriminierenden Bezahlkarte!
Moin,
der erste Punkt – „gleiche und uneingeschränkte soziale Recht für alle Menschen in Deutschland – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus. Das heißt insbesondere volle medizinische Versorgung und uneingeschränkte soziale Leistungen“ – würde ja bedeuten, dass auch jeder Tourist volle medizinische Versorgung und Bürgergeld bekommen würde.
Sorry, das ist schlicht nicht zu leisten.
Wir beziehen uns mit unserer Forderung natürlich auf alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.