Bezahlkarte per Gesetz verschärfen?

Pressemitteilung Pro Asyl

Länder wollen Ampel zum Bruch des Koalitionsvertrags treiben

Erneut ist die Bezahlkarte für Geflüchtete Gegenstand eines öffentlich inszenierten Streits in der Bundesregierung – angeblich, um eine „rechtssichere“ Einführung der Bezahlkarte zu gewährleisten. Ginge es aber tatsächlich nur um die Rechtssicherheit, bräuchte es keine Gesetzesänderung: Die Stadt Hannover macht längst vor, dass und wie eine solche Karte diskriminierungsfrei schon jetzt zum Einsatz kommen kann. In verschiedenen Ländern und Kommunen sind Bezahlkarten vorhanden oder in Vorbereitung – auch solche, die aus Sicht von PRO ASYL inakzeptable Beschränkungen vorsehen.

„Eine – sogar diskriminierungsfreie – Umsetzung der Bezahlkarte ist bereits heute möglich. Nur, wer die Möglichkeiten zur Diskriminierung per Karte stark ausweiten will, braucht eine Gesetzesänderung. Die aktuellen Äußerungen, in denen die Bezahlkarte zum wichtigsten Instrument der Senkung der Asylantragszahlen stilisiert wird, sind komplett realitätsfern. Niemand lässt sich wegen der Bezahlkarte von der Flucht vor Verfolgung oder Krieg abschrecken. Das einzige Resultat ist, dass Schutzsuchende im Alltag gegängelt und ausgegrenzt werden“, so Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

Die Länder haben die Bezahlkarte als umfangreiches Diskriminierungsinstrument beschlossen und konzipiert. Doch sie wollen offenbar noch mehr und nun die Anwendungsmöglichkeiten der Karte ausweiten. Dazu könnte vor allem zählen, dass auch diejenigen Geflüchteten die Bezahlkarte bekommen sollen, die aufgrund langjährigen Aufenthalts längst einen Anspruch auf Leistungen analog der Sozialhilfe haben. Seit der jüngsten Verschärfung heißt das: nach über drei Jahren weiterhin nur eine Bezahlkarte anstatt gleichberechtigte Leistungen. Und die Bundesregierung scheint diesem Vorhaben in weiten Teilen folgen zu wollen. Nicht ausgeschlossen scheint, dass in nicht ferner Zukunft alle Bürgergeldempfänger*innen mit einer diskriminierenden Bezahlkarte leben sollen. PRO ASYL appelliert dringend an alle politischen Parteien, endlich damit aufzuhören, mit einem immer aggressiveren Ton und immer weiter gehenden Vorschlägen auf dem Rücken geflüchteter und bedürftiger Menschen populistische Politik zu betreiben.

Bundesregierung missachtet Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

Wenn die Bundesregierung dem Drängen der Länder nachgäbe, würde sie nicht nur den eigenen Koalitionsvertrag, sondern auch das Verfassungsgericht ernsthaft missachten: Gemeinsam hatten SPD, FDP und Grüne 2021 vereinbart, das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ zu überarbeiten. Tatsächlich hatte das höchste deutsche Gericht die Leistungen des AsylbLG mehrfach für unzureichend erklärt. Doch nicht einmal den letzten Beschluss des höchsten deutschen Gerichts vom Oktober 2022 hat die Bundesregierung bis heute umgesetzt. „Die Bundesregierung ignoriert seit fast eineinhalb Jahren eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz. Kaum vorstellbar ist, dass die Regierung mit dem Beschluss des Verfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2023 auch so umgegangen wäre“, sagt Andrea Kothen.

Statt einer verfassungstreuen Überarbeitung des AsylbLG hat die Bundesregierung im Zuge des Rückführungsverbesserungsgesetzes erst kürzlich sogar eine drastische Verschärfung eingeführt: Die Dauer des Bezugs von Grundleistungen nach dem AsylbLG wurde von 18 auf 36 Monate verlängert. Künftig enthält die Regierung Geflüchteten damit doppelt so lang wie bisher annähernd menschenwürdige Sozialleistungen vor. Damit wurde auch die potenzielle Anwendung der Bezahlkarte bereits jetzt auf drei Jahre verlängert. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Dezember 2023 bestätigt mit zahlreichen Belegen, dass schon eine Wartezeit von 18 Monaten verfassungsrechtlich bedenklich ist.

„SPD, FDP und Grüne sind gut beraten, die selbst gegebene Agenda endlich einmal mit Rückgrat zu vertreten. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist bereits in der derzeitigen Form verfassungsrechtlich unhaltbar. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung die menschenrechtlich und verfassungsrechtlich gebotenen Vorgaben mutwillig beiseite schiebt und stattdessen ständig neue Verschärfungen erfindet. Wenn die Koalition weiterhin den schrillen Stimmen von rechts nachgibt, gibt sie auch ihre eigenen sozialpolitischen Ansprüche der Lächerlichkeit preis“, so Kothen.

Hintergrund

In Deutschland erhalten Asylsuchende bereits seit 30 Jahren deutlich geringere Leistungen als die Empfänger*innen von Bürgergeld. Die Dauer der abgesenkten Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz variierte mehrfach, im Zuge des Rückführungsverbesserungsgesetzes wurde sie von 18 auf 36 Monate verlängert – aus Sicht von PRO ASYL eine verfassungswidrige Änderung. Ein Teil der Grundleistungen wird, vor allem in der Anfangszeit, als Sachleistung gewährt: Ein Bett im Sammellager, Hygienepakete, Fertigessen, Altkleider. Der frei zur Verfügung stehende Betrag ist äußerst gering – er liegt anfangs für einen alleinstehenden Erwachsenen bei maximal 204 Euro im Monat. Selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt in den Kommunen statt Sachleistungen Geld ausgezahlt werden, beträgt der Regelleistungsbetrag maximal 460 Euro – das sind rund 100 Euro weniger als das Bürgergeld.

Die Entscheidung der Länder, Asylantragsteller*innen zukünftig den verfügbaren Betrag als Guthaben auf einer Bezahlkarte auszugeben, soll ihre Möglichkeiten weiter beschränken: Die Bargeldverfügung soll weiter drastisch reduziert werden, Überweisungen sollen nicht möglich sein. Die Menschen sollen möglichst nur noch an ihrem Wohnort einkaufen dürfen.

Ohne Bargeld kann aber man nicht günstig auf dem Flohmarkt einkaufen, den Kindern kein Geld für die Klassenkasse mitgeben, beim Gemeindefest nicht einmal einen Kaffee erstehen. Ohne Überweisungsmöglichkeit kann man keinen Handyvertrag und keine Sportvereinsmitgliedschaft abschließen und die monatlichen Raten an den Rechtsanwalt nicht überweisen. Die Bezahlkarte wird den Alltag der Betroffenen erheblich erschweren.

Das ist auch die erklärte Absicht, denn Bund und Länder haben die Bezahlkarte mit dem abenteuerlichen Argument vertreten, dass die Bezahlkarte zu einem Rückgang der Asylsuchenden in Deutschland beitragen soll. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil zeigen verschiedene Studien, unter anderem eine des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, dass die Höhe der Sozialleistungen in einem Land auf der Flucht wenig relevant ist. Die Menschen treibt primär die Frage um, wo sie Sicherheit finden können – und darüber hinaus, ob Familienangehörige vor Ort und Sprachkenntnisse vorhanden sind oder ob es Arbeitsmarktchancen gibt.

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