Offener Brief an das BMI und AA: Wiederherstellung der Menschenrechte für jesidische Überlebende des Genozids

Aufforderung zur rechtlichen Grundlagenprüfung zur Schutzgewährung/Abschiebung

[siehe auch den aktualisierten Aufruf an die IMK mit Stand vom 24.05.2024]

Sehr geehrte Frau Bundesaußenministerin Baerbock,
Sehr geehrte Frau Bundesinnenministerin Faeser,
Sehr geehrte Menschenrechtspolitiker*innen aller demokratischer Parteien,

seit geraumer Zeit bitte ich, sowie auch viele andere mir bekannte Menschen und Institutionen, Sie und Ihre Ministerien um eine Prüfung der gesetzlichen Grundlagen zur aktuellen Abschiebepraktik und Schutzgewährung von Jesid:innen (s. Offener Brief vom 03.11.2023 an Bundes- und Landesregierungen), leider bisher erfolglos. Ich bitte Sie dringend, die unklare und bedrohliche Situation für die schon so leidgeprüften Jesid:innen zu beenden. Das bloße Verwalten und Festhalten an einem Status quo, der potenziell gegen das Menschenrecht verstößt, gefährdet akut Menschenleben und liegt in Ihrer Verantwortung.

Bisher hat sich anscheinend leider lediglich der Menschenrechtsausschuss der Problematik angenommen (s. Menschenrechte – Ausschuss – hib 871/2023 v. 16.11.23 “Kritik an Abschiebungen von Jesiden in den Irak“)

Zumindest haben sich wohl die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses mehrheitlich für eine Prüfung bzw. Korrektur im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesprochen. Eine ordnungsgemäße und politisch verantwortliche Überprüfung der Rechtslage erwarte ich jedoch von den hauptsächlich verantwortlichen und zuständigen Innen- und Außenministerien.

Die im Menschenrechtsausschuss getätigten Ausführungen der Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums und des Bundesentwicklungsministeriums, sich für Rückkehrperspektiven einzusetzen, sind löblich, nur verkennen sie leider die Realität, da sie nachweislich nichts gebracht haben. (s. Länderanalysen – 62G Kurzinformation – Irak Mai 2023 – Die Situation von Jesidinnen und Jesiden –) Hiernach ist das vom Vertreter des AA erwähnte Sindschar Abkommen nicht wie von ihm dargestellt “ausbaufähig“, sondern wurde bisher gar nicht umgesetzt. Ebenso kommt auch die „Yazidi Survivors Law“ faktisch bislang nicht zum Tragen. Gleichfalls wird auf die fragile Sicherheitslage und desaströsen humanitären Bedingungen in Sinjar und der KR-I verwiesen, wonach eine Rückführung in diese Gebiete aktuell nicht infrage kommt.

An Realitätsverweigerung und Missachtung der Grundrechte grenzt es jedoch, wenn seitens des Auswärtigen Amtes und des Innenministeriums eine nicht reale zukünftige Wunschvorstellung zum Erkenntnismittel verdreht wird. Das verheerende Ergebnis dieser fehlerhaften Einschätzung führt in der Praxis dazu, dass irakischen Jesid:innen kaum noch Schutz gewährt wird. Mit dem noch grausameren Resultat, irakische Jesid:innen, mangels anderer Möglichkeiten, nicht mehr in den Nordirak und ihr Heimatgebiet abzuschieben, sondern absurderweise in den fernen und noch weitaus unsichereren Zentral-/ oder Süd-Irak. Dies stellt erst recht eine immens große Gefahr für ihr Leib und Leben dar, entwurzelt sie und beraubt sie endgültig jeglicher Perspektive, weil es ein Zusammenleben mit ihren Familien unmöglich macht und sie zusätzlich ihrer religiösen und ethnischen Gemeinschaft entreißt. Wobei unverständlicherweise seitens des AA und BMI keinerlei Unterscheidung zwischen vorverfolgten jesidischen Opfern und islamistischen Gefährdern/Tätern oder Straftätern vorgenommen wird. Wie man annehmen kann, dass Opfer und Täter unterschiedslos gemeinsam an den gleichen Ort im Irak verbracht werden und dort die gleichen Lebensbedingungen vorfinden sollen, ist mir schleierhaft. Die besonderen Schutzerwägungen zu jesidischen Überlebenden des islamistischen Völkermordes finden im asylrechtlichen Sinne derzeit keinerlei Berücksichtigung. Als hätte es niemals einen Genozid gegeben.

Es kann dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium nicht entgangen sein, dass eine Zwangsverbringung einzelner Jesid:innen und Kindern in den Zentral-/ oder Süd-Irak eine akute Gefahr für ihr Leib und Leben darstellt. Das Nichtvorhandensein einer Volksgruppe wie Christen, Juden und Jesiden in diesem Teil des Iraks kann wohl kaum so verzerrt wahrgenommen, uminterpretiert und so gedeutet werden, dass ihnen dort keine Gefahr und Verfolgung droht. Der Irak, der erst im letzten Jahr noch einstimmig ein Antisemitismus-Gesetz erlassen hat, welches bereits nur allein den Kontakt zu einem Israeli/Juden mit der Todesstrafe bedroht, ist noch weniger willens und in der Lage, einen Minderheitenschutz zu gewähren, als die KR-I.

Abgeschobene Jesid:innen erhalten im Zentral-/ oder Süd-Irak, fernab ihrer Heimat und Gemeinschaft, gar keine Unterstützung und sind dort komplett hilflos sich selbst überlassen und willkürlicher Gewalt schutzlos ausgeliefert. Sie sprechen ja noch nicht einmal die Landessprache, dort wo Sie sie nun aussetzen möchten. Weder sind dort potenziell unterstützende Familienmitglieder vorhanden, noch Hilfsorganisationen oder staatliche Stellen, wo sie lebensnotwendige Hilfe erhalten könnten. Wie und wo sollen sich denn dort einzelne Jesid:innen, Jüd:innen oder Christ:innen ansiedeln und menschenwürdig überleben können? Allein um im Irak Zugang zur minimalsten Grund- und Lebensmittelversorgung zu erhalten, müssten Jesid:innen dann eigenständig von Bagdad zu ihrem Geburtsort (Region Shingal) gehen und diverse Check-Points und unsichere Gebiete passieren, um sich am Geburtsort die entsprechenden Lebensmittel-Bezugskarten ausstellen lassen zu können. Vollkommen illusorisch, dass Jesid:innen dazu in der Lage sein könnten. Selbst wenn ihnen dieses unversehrt und lebend gelänge, würden sie dann bestenfalls noch auf ein Zelt in einem IDP-Camp in der KR-I hoffen können, was aber wiederum seitens der Ausführungen der Bundesregierung nicht zumutbar wäre. Jesid:innen ist es im Zentral-/ oder Süd-Irak faktisch unmöglich, beispielsweise Unterkunft, Lebensmittelsicherheit, Notfall-Gesundheitsversorgung, Arbeitsmöglichkeit, Bildung, Schutz, Bewegungs-/ Meinungs-/ und Religionsfreiheit etc. zu erhalten, was diverse Verstöße gegen die Menschenrechte gem. EMRK und GfK darstellt.

Sämtliche mir bekannten in der Flüchtlingsarbeit tätigen Menschen und Institutionen lässt dies fassungslos zurück. Mir stellt sich die Frage, was diesen vulnerablen Menschen, die bereits unsägliches Leid erfahren haben, nun noch im Namen meiner Regierung angetan werden soll.

Ich fordere Sie auf, diese Farce schnellstmöglich zu beenden und eine ordnungsgemäße Überprüfung und Änderung hinsichtlich der Schutzgewährung und Feststellung von Abschiebeverboten durchzuführen.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen
Christiane Maurer

46244 Bottrop, den 18.11.23

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1 Gedanke zu „Offener Brief an das BMI und AA: Wiederherstellung der Menschenrechte für jesidische Überlebende des Genozids“

  1. Sehr wichtige Sache, danke! Möchte hier auch auf das Thema Menschenpflichten hinweisen, das manchen Menschen wohl zu wenig bewusst sein dürfte. Z.B. Karl Stickler diskutiert es kompakt in seinem Buch „Acht Menschenpflichten ..“.

    MfG Irene

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