Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert Landesaufnahmeprogramm für Angehörige.

15.08.2021: Machtübernahme der Taliban jährt sich im zweiten Jahr

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die rot-grüne Landesregierung auf, dem Beispiel der Bundesländer Berlin, Thüringen, Hessen und Bremen zu folgen und für Angehörige hier lebender afghanischer Geflüchteter ein Aufnahmeprogramm zu beschließen.

„Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban wird die Lage für Familienangehörige von bei uns lebenden Geflüchteten immer gefährlicher. Für Menschen, die hier in Niedersachsen bei Freund:innen und Angehörigen Aufnahme finden können, muss Niedersachsen dem Beispiel anderer Bundesländer folgen und endlich pragmatische Aufnahmebedingungen schaffen“, so Maryam Mohammadi, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Seit der Machtübernahme der Taliban sind die Zustände in Afghanistan stetig schlechter geworden. Afghanistan hat sich zum frauenfeindlichsten Land der Welt entwickelt. Die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen ist massiv eingeschränkt. Ihre Abhängigkeit von einem männlichen Familienmitglied als Begleitung (Mahram) führt dazu, dass sie häuslicher Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Darüber hinaus wird die wirtschaftliche Abhängigkeit von männlichen Familienmitgliedern enorm verstärkt, indem Frauen nur noch wenige Berufe ausüben dürfen und Mädchen nur bis zum Ende der Grundschule unterrichtet werden. Aufgrund der Angst vor Übergriffen, zunehmender Armut und mangelnder Perspektiven besuchen immer weniger Mädchen Schulen.

Die Taliban haben aber auch gesamtgesellschaftlich die Grundrechte systematisch eingeschränkt. Presse- und Meinungs- oder Religionsfreiheit sind nicht gegeben. Auch eine formelle Opposition existiert nicht mehr. Es gibt reihenweise glaubhafte Berichte über Folter, Ermordungen und Entführungen politischer Gegner:innen, darunter auch von Mitgliedern der früheren Regierung. Politische Anordnungen sind teilweise willkürlich und regional unterschiedlich. Minderheiten werden massiv diskriminiert.

Das Bundesaufnahmeprogramm für afghanische Staatsangehörige läuft nur sehr schleppend an. Zwar wurden seit Beginn des Jahres 2023 monatlich 1000 Personen ausgewählt, die aufgenommen werden sollen, bisher konnte jedoch noch niemand einreisen. Grund dafür ist die Einführung einer zusätzlichen Sicherheitsbefragung, die in Pakistan von Mitarbeitenden deutscher Sicherheitsbehörden durchgeführt wird. Erst Ende Juli wurden erste Befragungen durchgeführt. Viele Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben, haben all ihren Besitz in Afghanistan verkauft, um nach Pakistan fliehen zu können. Sollten sie kein Visum erhalten und somit sie nicht nach Deutschland ausreisen dürfen, befänden sich in der Falle: Sie könnten nicht zurück nach Afghanistan, da sie den Taliban nun als regimefeindlich bekannt sind, gleichzeitig hätten sie aber auch in Pakistan kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und müssten dort unter prekären Bedingungen leben.

Hintergrund: Landesaufnahmeprogramm

Nach Berlin, Thüringen und Hessen hat kürzlich auch Bremen verkündet, dass das Bundesland ein Aufnahmeprogramm startet. Dies gibt Angehörigen die Möglichkeit, ihre Verwandten nachzuholen, wenn sie den Lebensunterhalt sichern können. Landesaufnahmeprogramme stellen eine wichtige Ergänzung zum Bundesaufnahmeprogramm dar: Sie ermöglichen es hier lebenden Geflüchteten, die Aufnahme ihrer Angehörigen auf eigene Kosten zu organisieren.

Ein solches Aufnahmeprogramm belastet die Aufnahmekapazitäten des Landes nicht, da die Aufzunehmenden in Wohnungen aufgenommen werden, die die hier lebenden Geflüchteten und ihre Unterstützer:innen bereitstellen.. Somit sind weder Erstaufnahmeeinrichtungen, noch Gemeinschaftsunterkünfte durch Aufnahmeprogramme beansprucht. Auch Asylanträge müssen nicht gestellt werden, weil direkt ein Aufenthaltstitel erteilt wird.

siehe dazu auch:

Videodokumentation einer Veranstaltung der Afghanistan-Gruppe unter dem Dach des Diakonischen Werkes der ev.-luth. Kirchenkreise Hittfeld und Winsen mit Mina Jawad (Kulturwissenschaftlerin, dis:orient), Stefan Recker (Caritas International) und Thomas Ruttig (Afghanistan Analyst Network) in Buchholz am 26. April 2023 zur Situation in Afghanistan: Afghanistan im Blick.mp4

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