von Claudius Vigt, GGUA
Der sogenannte „Asylkompromiss“ und seine Folgen
„Seit langem leben Flüchtlinge in Deutschland mit der an ihnen praktizierten Abschreckung. Auf ihrem Rücken wird der Streit um die Begrenzung des Zuzuges weiterer Flüchtlinge ausgetragen.
Gebetsmühlenhaft wiederholen Füchtlingsinitiativen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände die gesicherte Erkenntnis, dass diese Abschreckungspolitik zutiefst inhuman ist und das nicht einmal die vorgeblichen Effekte durch sie erzielt werden“ (Volker Maria Hügel, 26.5.1993).
Dieses Zitat stammt aus der Rede von Volker Maria Hügel am 26. Mai 1993 in Bonn anlässlich der Verabschiedung des sogenannten „Asylkompromisses“ durch den deutschen Bundestag. Erschreckenderweise haben die Worte von Volker Maria Hügel in all den Jahren nicht an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Auch 30 Jahre danach ist die deutsche sowie europäische Asyl- und Migrationspolitik weiterhin von Abschottung, Abschreckung und Abschiebung geprägt – Menschenrechte müssen leider draußen bleiben!
Der Grundstein für diese zynische Politik wurde am 26. Mai 1993 gelegt, als auf rechte Mobilmachung mit der Entrechtung von Schutzsuchenden reagiert wurde – mit einem Kniefall vor den Rassisten, wie Volker damals sagte. All die Verschärfungen des Rechts, die Verrohung im Umgang mit geflüchteten Menschen und die in den letzten drei Jahrzehnten nahezu perfektionierte Auslagerung der Verantwortung für den Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz wären ohne 1993 nicht denkbar gewesen.
Fast genau dreißig Jahre nach Beginn der Ausgliederung des Flüchtlingsschutzes auf als „sicher“ erklärte Drittstaaten soll dieses Konzept EU-weit übernommen und Asylsuchende in Lagern an den Außengrenzen der EU kaserniert werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach in diesem Zusammenhang von einem „historischen Momentum“ und dürfte damit im negativen Sinne Recht haben: Mit den geplanten exterritorialen Lagern an den Außengrenzen findet die 1993 begonnene Entrechtung von Schutzsuchenden ihren traurigen Höhepunkt.
Menschen, die aus Angst um ihr Leben, aus Angst um ihre Familien, aus Angst vor Folter, aus Angst vor Hunger, aus Angst vor Krieg und in der Hoffnung auf ein sicheres Leben fliehen, werden als Bedrohung inszeniert und mit militärischen Mitteln abgewehrt.
Dabei hatte sich die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag darauf verständigt „die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen [zu] beenden.“ Mit der Zustimmung zum Ausbau von militärischen Grenzsicherungsanlagen sowie einer Aufstockung der Frontexkapazitäten bei gleichzeitiger Einschränkung der privaten Seenotrettung wird jedoch das genaue Gegenteil erreicht: Das massenhafte Sterben an den europäischen Grenzen, vor allem im Mittelmeer, wird zunehmen. Bereits jetzt sterben jährlich tausende Menschen auf der Flucht, weil Europa dicht macht. Durch die geplanten Maßnahmen werden weitere Tote an den Grenzen billigend in Kauf genommen. Die Überlebenden, werden in haftähnliche Asyllager an den Grenzen gesperrt, in Massenunterkünfte, ohne ausreichend Wasser, Verpflegung, Hygiene, geschweige denn rechtsstaatliche Asylverfahren. Das ist erbärmlich!
Vom im Koalitionsvertrag angekündigten Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik fehlt weit und breit jede Spur. Auch für in Deutschland lebende Schutzsuchende setzt die Bundesregierung in regelrechter Seehofer-Manier weiterhin auf Abschreckung durch Entrechtung sowie auf schnellere Abschiebungen. Mit der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Wohnverpflichtung in großen Landeslagern werden die früheren Landesaufnahmeeinrichtungen sukzessive zu Landesausreiseeinrichtungen umstrukturiert, in denen nicht der Flüchtlingsschutz, sondern die Ausreise und Abschiebung an erster Stelle stehen. Flankiert werden die Bestrebungen um schnellere Abschiebungen durch den Ausbau sogenannter „Migrations- und Rückkehrabkommen“ und einer erneuten Ausweitung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam. Auch die geplante Erweiterung der 1993 eingeführten Liste der als „sicher“ erklärten Herkunftsstaaten mit dem Ziel der Beschleunigung von Asylverfahren konterkariert den völkerrechtlich verankerten Flüchtlingsschutz, da Asylschnellverfahren regelmäßig keinen Raum für eine sorgfältige individuelle Prüfung des Asylantrages geschweige denn für ein faires Asylverfahren bieten.
Um den Ausreisedruck auf geflüchtete Menschen zu erhöhen wird auch 30 Jahre nach seiner Verabschiedung an dem diskriminierenden und in weiten Teilen verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetz festgehalten. Residenzpflicht, Wohnsitzauflagen und Arbeitsverbote prägen zudem den Alltag eines Großteils der in Deutschland lebenden Schutzsuchenden. Diese Abschreckungs- und Abschottungspolitik und damit gezielt beabsichtigte Entrechtung von Menschen sind Unrecht und werden einer demokratischen Gesellschaft nicht gerecht. Auch hierzu hat Volker Maria Hügel am 26. Mai 1993 die richtigen Worte gefunden:
„Ich glaube daran, dass wir dem – von mir nur in Ansätzen skizzierten Unrecht – nur gemeinsam begegnen können. Wir in der Flüchtlingsbewegung werden, da Gesetze und Verordnungen die Menschenwürde und -rechte der Flüchtlinge aktiv und permanent verletzen, mit zivilem Ungehorsam reagieren.“
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