Ratsbeschluss zu politischer und finanzieller Unterstützung ziviler Seenotrettungsorganisationen wäre Zeichen der Solidarität mit Schutz suchenden Menschen
Im Jahr 2023 (Stand: 11. Mai 2023) starben bisher 1.074 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Seit dem Jahr 2014 sind mehr als 26.832 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken.1 Angesichts einer ständig steigenden Zahl von Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa in der Sahara und im Mittelmeer ihr Leben lassen, bedarf es gezielter Maßnahmen zur Lebensrettung. Die zivilen Seenotrettungsorganisationen widmen sich schon seit Jahren dem Erhalt der letzten Reste humanitärer Grundsätze für Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen. Genauso lange werden diese Organisationen aber bereits kriminalisiert und an ihrer Leben rettenden Arbeit gehindert. Seit Jahren nimmt der Druck auf die zivilen Seenotrettungsorganisationen immer weiter zu. Ein eindeutiges Zeichen der Unterstützung und Solidarität mit diesen Organisationen ist daher jetzt umso dringender nötig.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat deshalb zusammen mit der Seenotrettungsorganisation RESQSHIP und den Medical Volunteers International ein Forderungspapier an die Mitglieder des Rates der Stadt Hannover formuliert, das von 17 weiteren Organisationen in Hannover unterzeichnet und am 24. Mai an die Ratsmitglieder der demokratischen Parteien im Rat versendet wurde.
Mit Schiffspatenschaften, wie sie bereits einige Kommunen auch in Niedersachsen (Lüneburg, Wolfsburg, Braunschweig und Oldenburg) beschlossen haben, gibt es eine konkrete Form der politischen und auch finanziellen Unterstützung der zivile Seenotrettung .
„Diese Schiffspatenschaften sollten von weiteren Kommunen beschlossen werden, um der immer repressiveren und tödlichen Asyl- und Flüchtlingspolitik etwas entgegenzusetzen“, so Stefan Klingbeil vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
„Wir erwarten von der Mehrheit der Ratsmitglieder, dass sie eine solche Schiffspatenschaft beschließen und damit ein praktisches Zeichen der Humanität und gegen eine zunehmende Verrohung setzen und so auch deutlich machen, dass sie bereit sind, Menschenrechte tatsächlich zu verteidigen“, ergänzt Aram Ali von RESQSHIP.
„Eine vom Rat der Landeshauptstadt beschlossene Schiffspatenschaft kann weitere Kommunen in Niedersachsen ermutigen, dem Beispiel zu folgen“, erwartet Alexandra Osterhues von Medical Volunteers International.
In der Vergangenheit hatten sich bundesweit 321 Kommunen zu „sicheren Häfen“ erklärt, darunter auch 52 in Niedersachsen. Vor diesem Hintergrund haben die Unterzeichner:innen des Forderungspapiers Hoffnung, dass nach wie vor die Bereitschaft in den Kommunen hoch ist, praktische Solidarität und Unterstützung für Schutz suchende Menschen zu üben.
Update: Eine Schiffspatenschaft wurde mit Beschluss des Internationalen Ausschuss vom 25.02.2023 abgelehnt.
Am 25.05.23 hat der Internationale Ausschuss der Rat der Stadt Hannover über einen Antrag von Adam Wolf, Abgeordneter der Piratenpartei abgestimmt, der eine Schiffspatenschaft für eine Seenotrettungsorganisation vorsah, die auch eine finanzielle Unterstützung der Stadt beinhalten sollte. Ein von 20 Organisationen unterzeichnetes Forderungspapier verlangt ebenfalls von der Stadt Hannover, eine Schiffspatenschaft zu beschließen (siehe dazu Forderungspapier und PM des Flüchtlingsrates vom 25.05.23).
Der Antrag von Ratsherr Wolf wurde gestern jedoch leider abgelehnt. Obgleich sowohl die SPD als auch die Grünen eine Schiffspatenschaft für „ein unterstützenswertes Projekt“ und auch ein Abgeordneter der CDU persönlich für eine gute Idee halten, fand der Antrag trotzdem keine Mehrheit.
Zur Begründung wurde sinngemäß angeführt, dass die Finanzierung einer Schiffspatenschaft vor dem Hintergrund des beschlossenen Haushalts gegen kommunales Recht verstoßen würde, da die Unterstützung der Seenotrettung im Mittelmeer keine kommunale Aufgabe sei und dafür im (derzeitigen) Haushalt keine Gelder zur Verfügung stünden. Dabei wurde sich auf eine Stellungnahme der Rechtsabteilung der Stadt Hannover berufen.
Es stellt sich die Frage, warum die Städte und der Landkreis, die bereits eine finanziell ausgestattete Schiffspatenschaft beschlossen haben, diese rechtlichen Bedenken nicht haben. Nach Informationen des Flüchtlingsrates hat das niedersächsische Innenministerium auf Anfrage einer Kommune mitgeteilt, dass eine solche Schiffspatenschaft zulässig sei. Es drängt sich leider der Eindruck auf, dass das Argument der Unvereinbarkeit mit kommunalem Recht nur vorgeschoben ist.
Unabhängig von der Frage, ob eine finanzielle Unterstützung von zivilen Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer zulässig wäre, könnte selbstverständlich zumindest eine ideelle Schiffspatenschaft durch die Stadt Hannover übernommen werden. Wenn die Landeshauptstadt öffentlich ihre Solidarität mit Organisationen, die zivile Seenotrettung betreiben, erklärt und sich gegen eine Kriminalisierung der Menschen einsetzt, die im Mittelmeer Leben retten, wäre das ein deutliches Zeichen für Menschenrechte, das vielleicht auch von weiteren Kommunen in Niedersachsen aufgegriffen würde. Denkbar wäre auch, wie Ratsherr Adam Wolf vorschlug, dass die Stadt an Stelle einer Finanzierung aus eigenen Mitteln eine Spendenkampagne organisieren würde.
Dies ist das mindeste was wir von einer grün-rot regierten Stadt erwarten dürfen, in der Bündnis90/Die Grünen die Mehrheit im Rat bilden.
„MAN LÄSST KEINE MENSCHEN ERTRINKEN, PUNKT“
(Pastorin Sandra Bils, Kirchentag Dortmund 2019)