Überfällig: Wohnungen statt Sammelunterkünfte für Flüchtlinge aus allen Ländern

von PRO ASYL

Unflexible Vorschriften und Wohnauflagen machen nicht nur den Schutzsuchenden das Leben schwer, sondern auch Kommunen und Kreisen. Deshalb müssen in der Unterbringungspolitik pragmatische und flexible Lösungen gefördert und mancher Paragraf geändert werden. Dabei sollte die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine als Vorbild dienen.

In Nordhorn zum Beispiel klappt es: Laut Medienberichten ist es der niedersächsischen Stadt gelungen, alle Geflüchteten aus der Ukraine dezentral, in privaten Wohnungen, unterzubringen. 854 Geflüchtete waren das bis Mitte Februar 2023, rund 1,5 Prozent der Bevölkerung. Sie leben über die ganze Stadt verteilt. Das sei, sagte der Stadtbaurat Thimo Weitemeier der taz, eine der wichtigsten Lektionen aus 2015 und den Folgejahren: Die Lasten auf möglichst viele Schultern zu verteilen, sowohl in der Verwaltung als auch in der Stadtgesellschaft.

Wohnen bei Verwandten statt in Turnhallen

Auch Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen berichtete der Deutschen Welle, dass in seiner Stadt mehr als die Hälfte der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bei Verwandten und Bekannten wohnt, niemand müsse mehr in der Turnhalle leben.

Zwei Beispiele dafür, wie es klappen kann, dass Schutzsuchende gut und menschenwürdig unterkommen – ohne Proteste von Bürger*innen gegen Unterkünfte, alarmistische Hilferufe von Kommunalpolitiker*innen, Rufe nach Abschiebungen oder ausgrenzende Parolen. Nötig dafür ist eine pragmatische, lösungsorientierte und flexible Unterbringungspolitik für alle Schutzsuchenden: für die Flüchtlinge aus der Ukraine ebenso wie für Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Irak und vielen anderen Ländern. Das heißt: Wohnpflicht und Wohnsitzauflagen für Schutzsuchende sollten entschärft oder ganz abgeschafft werden, dabei kann das Beispiel der Unterbringung der Ukrainer*innen als Vorbild dienen.

Diskriminierende Unterschiede zwischen Flüchtlingsgruppen

Denn in der Diskussion müssen drei Stränge unterschieden werden: Ukrainer*innen genießen mit dem vorübergehenden Schutz in den EU-Ländern weitgehende Freizügigkeit und es gibt für sie keine rechtliche Verpflichtung, in Sammelunterkünften zu wohnen. Wenn sie Wohnsitzauflagen erhalten, erstreckt sich diese auf das ganze Bundesland, in dem sie leben. Unter den Voraussetzungen des § 12a Absatz 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz sind sie von dieser ausgenommen, wenn ein Familienmitglied durch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein gewisses Einkommen erzielt oder eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnimmt. Die Auflage wird auch dann aufgehoben, wenn für ein Familienmitglied ein Integrations- oder Berufssprachkurs oder eine Qualifizierungs- oder Weiterbildungsmaßnahme »zeitnah« zur Verfügung steht (siehe hierzu auch die Hinweise für Geflüchtete aus der Ukraine von PRO ASYL).

Asylsuchende aus anderen Ländern hingegen müssen zunächst bis zu 18 Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen leben. Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sogar bis zu 24 Monaten (in einigen Bundesländern zudem auch Personen, die eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erhalten haben oder deren Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurden). Meist unterliegen sie auch später noch einer Wohnpflicht in Gemeinschaftsunterkünften (§§ 47, 49 und 53 Asylgesetz). Wenn sie schließlich ihre Verfahren durchlaufen haben und zum Beispiel als asylberechtigt oder als subsidiär schutzberechtigt anerkannt sind, kann – wie für ukrainische Geflüchtete mit dem vorübergehenden Schutz – eine Wohnsitzauflage nach § 12a Aufenthaltsgesetz gelten.

Studie zeigt: Drei Viertel der Ukrainer*innen leben in privaten Haushalten

Dass eine überwiegend private Unterbringung funktioniert, zeigt auch die repräsentative Studie »Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland, Flucht, Ankunft und Leben«, die im Dezember 2022 unter anderem vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und dem BAMF veröffentlicht wurde. Demnach leben 74 Prozent der befragten Ukrainer*innen in privaten Haushalten, nur neun Prozent müssen in Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete untergebracht werden. Dabei spielen auch private Netzwerke eine große Rolle: 25 Prozent der Befragten leben bei in Deutschland wohnenden Familienangehörigen, Freunden und Bekannten und 15 Prozent bei anderen Personen. Diese können ihnen bei allen Fragen des Ankommens und der Integration helfen.

Asylsuchende hingegen dürfen nicht auf ihre privaten Netzwerke oder andere private Wohnmöglichkeiten zurückgreifen. Sie müssen bis zu 18 bzw. 24 Monate in oft abgelegenen Aufnahmeeinrichtungen mit schlechter Verkehrsanbindung wohnen, ohne Privatsphäre, oft ohne funktionierendes WLAN und ohne ein selbstbestimmtes Leben. In den Gemeinschaftsunterkünften und Lagern sind die Menschen analog und digital isoliert, entrechtet, ihrer Privatsphäre beraubt und von Beratungsstrukturen und anderen Hilfen abgeschnitten.

In Gemeinschaftsunterkünften & Lagern sind Menschen analog und digital isoliert, entrechtet, ihrer Privatsphäre beraubt, von Beratungsstrukturen & anderen Hilfen abgeschnitten.

Länder sollen Wohnpflicht in Asylaufnahmeeinrichtungen aufheben

Wer jahrelang ausgegrenzt in einer Sammelunterkunft lebt, kann nicht in der deutschen Gesellschaft ankommen. Darauf weisen PRO ASYL und zahlreiche andere Nichtregierungsorganisationen seit Jahren hin und fordern unter anderem, die Zeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung auf wenige Wochen, maximal drei Monate, zu beschränken – so wie es die Rechtslage auch 2015 vorgesehen hat. In den Jahren danach wurde die Wohnpflicht durch die Große Koalition von CDU/CSU und SPD mehrfach erhöht.

Deshalb muss § 47 Asylgesetz, der die Wohnverpflichtung in den Erstaufnahmeeinrichtungen regelt, geändert werden. Wobei die Bundesländer schon jetzt handeln könnten: nach § 49 Absatz 2 Asylgesetz dürfen sie die Asylsuchenden von der Wohnpflicht in Asylaufnahmeeinrichtungen »insbesondere zur Gewährleistung der Unterbringung und Verteilung« befreien – wenn sie denn wollen. Berlin hat diese Möglichkeit genutzt und die Wohnverpflichtung für Asylsuchende Ende Januar aufgehoben. Wer eine Wohnung oder ein Zimmer während des Asylverfahrens findet, darf dort wohnen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, dem sich weitere Bundesländer anschließen sollten.

Private Netzwerke der Schutzsuchenden nutzen

Problematisch ist auch § 53 Asylgesetz, wonach die Menschen, die noch im Asylverfahren sind, auch nach der Zeit in der Erstaufnahme in Sammelunterkünften leben müssen. Auch sie sollten die Möglichkeit haben, woanders zu wohnen. Dass viele das wollen, zeigt sich zum Beispiel darin, dass sich beim Beratungsteam von PRO ASYL immer wieder Asylsuchende aus Unterkünften melden, die fragen, wie sie zu ihren Familienangehörigen ziehen könnten.

Abgeschafft werden muss dann auch die Wohnsitzauflage für Anerkannte, § 12a Aufenthaltsgesetz. Es ist absurd, wenn Kriegsflüchtlinge und anerkannt Schutzberechtigte nicht jedes Wohnungsangebot annehmen dürfen, weil sie auf ein bestimmtes Bundesland – oder in manchen Fällen sogar durch Anordnung der Ausländerbehörde auf einen konkreten Wohnort – festgelegt sind. Das kann bedeuten, dass ein Flüchtling nicht eine freie Wohnung in Brandenburg beziehen kann, wenn er oder sie eine Wohnsitzauflage für Berlin hat.

Wohnsitzauflage verringert Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Solche Zwänge belasten die Menschen nicht nur psychisch, sie hindern sie auch daran, zum Beispiel eine Arbeit zu finden. So stellt auch die erwähnte Studie zu den ukrainischen Kriegsflüchtlingen fest, dass eine Wohnsitzauflage die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringere.

Nicht zielführend ist es hingegen, die Schwierigkeiten bei der Unterbringung für eine Debatte über Abschiebungen zu nutzen. Damit befeuern die Verantwortlichen nur eine flüchtlingsfeindliche und rassistische Stimmung. Deutschland hat keine Flüchtlingskrise, sondern eine von der Politik und anderen Verantwortlichen verursachte Unterbringungskrise. Und diese besteht seit Jahren. Dass es zu wenige bezahlbare Wohnungen gibt, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nichts mit Geflüchteten zu tun hat.

Nicht zielführend ist es hingegen, die Schwierigkeiten bei der Unterbringung für eine Debatte über Abschiebungen zu nutzen.

Städtisches Hausmeisterteam hilft privaten Vermietern

Nordhorn und andere Kommunen hingegen setzen auf eine positive Stimmung gegenüber Geflüchteten, pragmatische Lösungen und die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Helfer*innen und Wohlfahrtsverbänden. Auf der Homepage schreibt Bürgermeister Thomas Berling: »Für uns als Partner des Bündnisses sicherer Häfen für Geflüchtete ist es selbstverständlich, dass wir Menschen in einer solchen Situation hilfsbereit aufnehmen.«  Dazu gehört auch Transparenz für Bürger*innen, zum Beispiel ausführliche Informationen, dass und warum das Jugendzentrum kurzfristig in eine Sammelunterkunft umgewandelt wurde (was aber schnell rückgängig gemacht werden konnte).

Der Wunsch der Stadt an die Verantwortlichen: Mehr Vorlauf, mehr Planbarkeit, lieber einen stetigen Zustrom an Neuankömmlingen als schubweise Wellenbewegungen. Und Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen geht laut der Deutschen Welle noch weiter: Nicht nur bei der Unterbringung sollten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und andere Flüchtlinge gleichgestellt werden, sondern auch auf anderen Feldern: Dazu gehöre auch, langwierige bürokratische Verfahren in den Ausländerbehörden zu entschlacken. Das, so Clausen, würde nicht nur die Kommunen deutlich entlasten. Alle Seiten würden profitieren.

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