Sittenwidrige Gebührenforderungen in Apensen (LK Stade)
Flüchtlingsrat fordert Maßnahmen des Landes

Im Juli 2022 erhielten zwei aus der Ukraine geflüchtete Frauen (20 und 22) jeweils eine Gebührenforderung in Höhe von 511 € (300 Euro für die Unterkunft plus 50 Euro Heizkosten plus 30 Euro für Strom plus 131 Euro für Nebenkosten) von der Samtgemeinde Apensen für ihr gemeinsames, knapp 20 Quadratmeter großes Zimmer in einem Wohnheim. Bad und Küche müssen sich die beiden Frauen mit den sieben anderen Bewohner:innen des Hauses teilen. Diese Forderung wurde allerdings zunächst nur „vorläufig“ erhoben, weil die Rechtmäßigkeit der zum 01.07.2022 in Kraft getretenen Gebührensatzung in Frage steht.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hält solche Gebührenforderungen für sittenwidrig und fordert die Samtgemeinde Apensen auf, die Gebühren signifikant zu senken.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung beim Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Die Kommunen verfügen über weitgehende Spielräume bei der Ausgestaltung der Gebühren- bzw. Entgeltsatzungen. Nach dem niedersächsischen Kommunalabgabengesetz steht es ihnen frei, niedrigere Gebühren zu erheben oder sogar vollständig von der Gebührenerhebung abzusehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht. Zudem können die Kommunen bei der Gebührenbemessung und bei der Festlegung der Gebührensätze soziale Gesichtspunkte, auch zugunsten bestimmter Gruppen von Gebührenpflichtigen, berücksichtigen. Von diesen Spielräumen muss auch die Samtgemeinde Apensen Gebrauch machen.“

Bei den immer wieder beklagten, horrenden Gebührenforderungen von Kommunen für die Nutzung von Plätzen in Sammelunterkünften handelt es aus sich des Flüchtlingsrats um „Mietwucher“. Die Organisation fordert deshalb vom Land Niedersachsen, rechtliche Schritte einzuleiten, um die erhobenen Gebühren in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften zu begrenzen.

Öztürkyilmaz:

„Das Land Niedersachsen ist aufgefordert, den Kommunen hinsichtlich der Höhe der Gebühren konkrete Vorgaben zu machen. Es muss klare und verbindliche Regelungen für Gebühren geben, die sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete für Sozialwohnungen orientieren müssen, unabhängig davon, ob es um deutsche Wohnungslose oder um Flüchtlinge geht.“

Auf Anfrage des Stader Tageblatts erläutert Apensens Ordnungsamtsleiter Edgar Rot in der Ausgabe vom 12.01.2023, dass die Forderungen der Kommune möglicherweise noch nicht einmal gedeckt seien, denn die Gemeinde könne auch eine neue Gebührensatzung beschließen, die noch höhere Gebührenforderungen ermöglichen würde. Man befände sich „in der Gebührenkalkulation“, so Rot gegenüber der Zeitung. „Gegebenenfalls kommen geringere Werte heraus, im schlimmsten Fall noch höhere“.  Für den Fall einer Aufrechterhaltung oder gar Erhöhung der Gebührenforderung kündigten die Unterstützer:innen vor Ort bereits eine Klage an. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird eine solche Klage unterstützen.

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org

Hintergrund

Derartige Wuchergebühren sind in Niedersachsen die Regel und nicht die Ausnahme – wie die Auswertung des Flüchtlingsrat Niedersachsen zeigt. Sofern Geflüchtete in der Stadt Burgdorf untergebracht werden, zahlen sie – je nach Unterkunft – pro Schlafplatz monatlich bestenfalls 205,71 € (6,85 € pro Tag) und schlimmstenfalls mit 854,90 € (28,49 € pro Tag) mehr als das Vierfache. In der Stadt Garbsen beläuft sich das monatliche Entgelt für die Unterbringung in einer der drei Gemeinschaftsunterkünfte pro Person auf mindestens 749,40 € (24,98 € pro Tag) und reicht bis zu 849,90 € (28,33 € pro Tag). Die Stadt Hemmingen bringt Geflüchtete in Mehrbett-Containern im Gewerbegebiet unter und verlangt hierfür Gebühren in Höhe von 490,22 € pro Person und Monat. In Lehrte differieren die Gebühren der Unterbringung für Geflüchtete von monatlich 195 € (6,50 € pro Tag) über 416,10 € (13,87 € pro Tag) bis hin zu 579,60 € (19,32 € pro Tag) und damit um fast 200 %, wohingegen obdachlose Personen ohne Fluchthintergrund zwischen 5,70 € und 6,97 € pro Tag und damit höchstens 209,10 € im Monat zahlen müssen. In Neustadt am Rübenberge liegen die Gebühren pro Person und Monat zwischen 350,27 € (11,67 € pro Tag) und 681,31 € (22,71 € pro Tag). Die Staat Laatzen hingegen fordert für einen Platz in einer der vier Sammelunterkünfte monatlich eine Einheitsgebühr von ca. 369 € (12,12 € pro Tag).

Die Landeshauptstadt Hannover verlangt von Einzelpersonen pro Monat 411,00 €. Sofern mehrere Personen – i.d.R. als Familie oder in eheähnlicher Gemeinschaft – zusammenleben und einen Haushalt bilden, zahlen sie in der Landeshauptstadt zu zweit 511 € und zu viert 717 € im Monat. Eine ähnliche Regelung findet sich – derzeit noch – auch in der Samtgemeinde Gellersen. Dort bestimmen sich die Benutzungsgebühr nach der Anzahl der in einer Berechnungsgemeinschaft nach SGB II oder SGB XII lebenden Personen. Die monatliche Gebühr für Einzelpersonen beträgt 232,09 €. Bei einem Haushalt mit zwei Personen liegt sie bei 464,18 € und erhöht sich mit jeder weiteren Person um ca. 93 €. Doch mit dieser vergleichsweise sozialverträglichen Gebührenerhebung ist auch dort bald Schluss: Die Samtgemeinde Gellersen hat beschlossen, die Gebühren der Unterbringung in den neu aufgestellten Containern zum 01. Februar 2023 von 232,09 € auf 455,92 € pro Platz zu erhöhen und damit nahezu zu verdoppeln. Ein Platz in einer dezentralen Unterkunft soll ab 1. Februar 2022  349,61 € pro Platz  und Person kosten. Eine Staffelung der Gebühren findet nicht mehr statt. Künftig muss eine 3-köpfige Familie monatlich 1.365 € an Gebühren im Container und in der dezentralen Unterbringung 1048,83 € bezahlen, statt wie bislang 557 €.

Das es auch anders geht, zeigt der Landkreis Harburg: Während der Landkreis Harburg sich von den Sozialleistungsträgern die tatsächlichen anfallenden Unterbringungskosten erstatten lässt, berechnet er erwerbstätigen Geflüchteten pro Person und Monat – abhängig von der Höhe des erzielten Einkommens – maximal 180,00 € (6,00 € pro Tag).