Dokumentation „Sicheres Ankommen und Gesundheitsförderung für Geflüchtete? Gesundheitliche Auswirkungen der Unterbringung in Sammelunterkünften“

Anfang September 2022 veranstaltete der Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen des Projekts AMBA zusammen mit der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., dem GKV-Bündnis und dem Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit eine Online Fachveranstaltung zum Thema Gesundheitsförderung und Sammelunterkünfte für geflüchtete Menschen.

Durch die Veranstaltung führte Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V..

Thema war insbesondere die oftmals schlechten Bedingungen in Sammelunterkünften, in denen Asylsuchende oft jahrelang leben müssen. Sammelunterkünfte sind strukturell Konflikt- und Gewaltfördernd und stellen daher keinen sicheren Ort für oftmals ohnehin belastete Menschen dar.

Geflüchtete Menschen sind vor und während ihrer Flucht einer Vielzahl von besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt und haben oftmals schwerwiegende Gewalterfahrungen hinter sich. Daher brauchen sie dringend einen Schutzraum, um solche Erfahrungen zu verarbeiten und die Gesundheit der Betroffenen zu sichern bzw. wiederherzustellen.

Die Veranstaltung startete mit Fachinputs zu den Rahmenbedingungen in Sammelunterkünften und der Lösungsidee von Schutzkonzepten durch Laura Müller vom Flüchtlingsrat, einem Input zu den Konsequenzen auf die Gesundheit von Menschen in Sammelunterkünften durch Marcus Wächter-Raquet, von der Landesvereinigung für Gesundheit und schließlich einer Einordnung durch Dr. Gisela Pentenker zum Themenkomplex der psychischen Gesundheit.

 

Handlungserfordernisse zur Gewährleistung von Gewaltschutz und Grundrechten in niedersächsischen Sammelunterkünften, Laura Müller, Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

Hier verwies Müller darauf, dass es ein Gewaltschutzkonzept für die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes gibt, was vom Innenministerium, gemeinsam mit dem Sozialministerium erstellt wurde und stetig weiterentwickelt wird. Aus Sicht des Flüchtlingsrats ist dies ein gutes Konzept, welches mit der Landesaufnahmebehörde (LAB NI), als umsetzende Instanz, eine engagierte Behörde hat. Es gebe viele gut eingespielte Abläufe und Unterstützungsstrukturen, sowie Kooperationen mit Fachverbänden, manche Teile des Schutzkonzepts scheiterten jedoch z. T. schlicht an baulichen Strukturen. 

Im Verantwortungsbereich der Kommunen liegen die sogenannten kommunalen Sammelunterkünfte, in denen viele geflüchtete Menschen untergebracht sind, wenn sie nach der Erstaufnahme verteilt werden. Es gibt keine landesweite Übersicht oder gar Zahlen, wie viele Menschen in solchen Einrichtungen leben.

Fest steht jedoch, dass die Unterkünfte extrem heterogen sind, teilweise von Wohlfahrheftverbänden, manche von Wirtschaftsunternehmen und manche von den Kommunen direkt betrieben werden. Bis auf das Seuchenschutzgesetz und das Brandschutzgesetz gibt es keine rechtlich gültigen Vorgaben. Das Landesschutzgesetz hat lediglich einen Empfehlungscharakter.

Umso wichtiger ist die Installation und Etablierung von landesweit gültigen Mindeststandards zum Schutz von Menschen in Flüchtlingsunterkünften nach dem Maßstab der Veröffentlichung des Bundesfamilienministeriums und UNICEF.

Die Mindeststandards beinhalten Vorgaben zu den baulichen Rahmenbedingungen von Sammelunterkünften, zum Personalmanagement, zu Beschwerdemöglichkeiten, zu Handlungsleitfäden, zum Verhaltenskodex, zu Beratungsstandards und pädagogischen Konzepten und schließlich zum Risikomanagement. Die Präsentation zum Input gibt es hier: Unterbringung Sammelunterkünfte, Laura Müller

Gesundheitliche Auswirkungen von Flucht und der Unterbringung in kommunalen Sammelunterkünften
Marcus Wächter-Raquet, LVG & AFS e. V.

In seinem Input verdeutlichte Wächter-Raquet die prekäre Lebenssituation vieler geflüchteter Menschen in Unterkünften und die damit verbundenen Einschränkungen der Gesundheitsförderung durch Studienlagen und Beispielen aus Projekten der LVG & AFS (genaueres in der Präsentation, die sich hier finden: Gesundheitliche Auswirkungen Flucht Marcus Wächter-Raquet ). Unter anderem zeigte er auf, dass die vorliegenden Krankheitsbilder zwar keine außergewöhnlichen seien, die Heilung durch dieses Lebensumfeld jedoch extrem erschwert sei.

Anhand von Fallbeispielen macht er deutlich, wie schwierig außerdem der Weg zu Unterstützungsstrukturen ist und wie Sprachbarrieren weitere Hürden darstellen. Neben Lösungsvorschlägen aus Projekten und dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Mindeststandards für die Unterbringung erinnerte er an ein Zitat aus der WHO OttawaCharta zur Gesundheitsförderung im Jahr 1986: „Gesundheit entsteht u.a. dadurch, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben.“

 

 

Flucht und psychische Gesundheit – Umgang mit Traumata und Folgen der Unterbringung in kommunalen Sammelunterkünften
Dr. med. Gisela Penteker, Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V.

Dr. Penteker ging unter anderem auf die Risikofaktoren in Sammelunterkünften für Retraumatisierungen ein und stellte unter anderem Triggerfaktoren vor:

Zwang zur Unterbringung Situation in Gefängnis und Lagern
Abgelegene Lage Eigene Ausgrenzung
Zäune und Mauern Gefängnisbauten
Nicht abschließbare Duschen und
Toiletten
Sexuelle Gewalterfahrung, Schutzlosigkeit
in Gefängnis, Haft
Lange, dunkle Flure Gefängnis, Lager
Enge Überfüllte Gefängniszelle
Lärm (undefinierbar und diffus) Gefängnis- oder Lagersituation
Schlagende Türen Abholen zum Verhör, Polizeihaft

Weitere Ausführungen finden sie in der Präsentation hier: Flucht und psychische Gesundheit, Gisela Penteker

Penteker stellt klar, dass die Unterbringung in Sammelunterkünften nicht nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen problematisch ist, sondern ein Leben vieler verschiedener Menschen auf engem Raum strukturell leicht zu Streit und Konflikten führt.

Als Lösung verwies sie ebenfalls auf die Mindeststandards und begleitend Beispiele von psychosozialer Arbeit in Unterkünften in der Region Hannover, aber auch auf das Friedländer Modell zur Früherkennung psychischer Traumafolgestörungen.

In der anschließenden Publikumsdiskussion wurden überdies Fragen zu rechtlichen Hintergründen und Möglichkeiten von Festlegungen in Niedersächsischen Wohnraumschutzgesetz oder Integrationsgesetz erläutert.  Die Politiker:innen auf Landesebene und gingen auch der Frage, was sich bei der Gesundheitsförderung in Sammelunterkünften verändern muss und welchen Fokus eine zukünftige Landesregierung bei der niedersächsischen Flüchtlingspolitik setzen muss.

Es diskutierten:

  • Hillgriet Eilers, Mitglied der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe, FDP-Landtagsfraktion
  • Volker Meyer, Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU- Landtagsfraktion
  • Hans-Joachim Janßen, Migrationspolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion
  • Dr. med. Gisela Penteker, Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V.
  • Claire Deery, Rechtsanwältin und Vorstandsvorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen e. V.
  • Zahra Lessan, Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

Als Output der Veranstaltung formulierten die Landesvereinigung für Gesundheit und der Flüchtlingsrat ein gemeinsames Positionspapier mit den wichtigsten Forderungen für die zukünftige Landesregierung, um ein sicheres Ankommen zu gewährleisten:

Daher fordern die Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen und der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. die Landesregierung dazu auf, in der kommenden Legislaturperiode folgende Maßnahmen zu ergreifen:

  • Die Festlegung von angemessenen, gesundheitsförderlichen Mindeststandards für kommunale Sammelunterkünfte durch das Land Niedersachsen nach Vorgabe der „Bundesinitiative zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“.
  • Die verbindliche und flächendeckende Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Menschen, die Leistungen nach dem AsylBLG erhalten, anstatt der bisherigen Krankenscheine.
  • Eine dauerhafte und verlässliche Förderung des Netzwerks für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN), um den Ausbau flächendeckender psychosozialer Versorgung zu sichern.
  • Die Einführung eines Anrechts auf Sprachmittlung für geflüchtete Menschen bei Kontakten mit Behörden und Ärzt*innen.
  • Die Einführung eines Partizipations- und Teilhabegesetzes für Zuwanderer*innen in Niedersachsen, das eine schnelle soziale und berufliche Integration fördert und an den Ressourcen von Menschen ansetzt, statt an Defiziten.
  • Eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und zur Überführung aller Flüchtlinge und Asylbewerber*innen ins SGB II.

Das Positionspapier im PDF Format: 2022_09_27_Positionen_LVG+Flürat_Geflüchtete_Sicheres_Ankommen

Kontakt:

Laura Müller,
Tel. 0511 98 24 60 35,
lm@nds-fluerat.org

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