Am vergangenen Samstag hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. im Rahmen einer Feierstunde in Hannover den Vorsitzenden des Patenschaftsnetzwerk, Marcus Grotian, mit dem Dr. Matthias Lange-Fluchthilfepreis geehrt. Der Hauptmann der Bundeswehr hat dafür gesorgt, dass mehr als 300 Ortskräfte nach dem Rückzug der alliierten Truppen aus Afghanistan vor den Taliban geschützt wurden und nach Deutschland fliehen konnten.
Dr. Alema, ehemalige stellvertretende Ministerin des Friedensministeriums in Afghanistan, beschrieb Marcus Grotian in ihrer Laudatio als einen Mann, der bereits lange vor dem Truppenabzug in Briefen und Mails an die damalige schwarz-rote Bundesregierung auf die Gefahr der schnellen Machtergreifung durch die Taliban hingewiesen und eine Aufnahmeverpflichtung Deutschlands für die afghanischen Unterstützer:innen und Mitarbeiter:innen der Bundeswehr angemahnt hatte. Durch den Aufbau von Schutzhäusern habe das von ihm geleitete Patenschaftsnetzwerk hunderten bedrohten Menschen einen Unterschlupf in Kabul vermittelt und mehr als 300 Menschen aus Afghanistan zur Flucht nach Deutschland verholfen. Auch aktuell sei das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte ein wichtiger Akteur auf politischer Ebene, der wesentlich dazu beitrage, dass die Forderung nach einer Evakuierung von 7000 noch im Land verbliebenen Ortskräften und ihren Familien sowie Tausenden weiteren bedrohten Menschenrechtler:innen in der Öffentlichkeit Gehör finde.
In seiner Dankesrede kritisierte Grotian das moralische Versagen des Westens, auch der Bundeswehr, in Afghanistan und die Verantwortungslosigkeit der politischen Führung, die vorgebe, alles richtig gemacht zu haben. „Ich schaudere noch heute, wie alle beteiligten Ministerien, Minister und Sprecher stets betonten, dass im eigenen Bereich alles super gelaufen sei. Immer war man sich der großen Verantwortung bewusst, immer war alles geregelt, bewährte Verfahren sollten eingespielt sein“. Andere Länder hätten schon Berichte geschrieben, ausgewertet und gelernt, Verantwortung zu tragen, wie in den Niederlanden, wo drei Minister zurücktraten. In Deutschland habe man aus dem Scheitern in Afghanistan keine Lehren gezogen und sei dabei, in Mali die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: „Ohne ein Ortskräftekonzept, das man JETZT erstellen müsste, bleibt bei einem Rückzug nichts als zu hoffen, dass die Terroristen nicht gewinnen, und das klingt dann doch wieder bedrohlich wie in Afghanistan.“ Eine Gesellschaft brauche Werte, und Menschen, die sie nicht nur im Reden vor sich her tragen, sondern die auch danach handeln.
Claire Deery erinnerte als Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen an den Namensgeber des Fluchthilfepreises, Dr. Matthias Lange, der detailliert beschrieben habe, dass das Grundrecht auf Asyl weiterhin Gefahr läuft, untergraben zu werden und dass es unserer täglichen Arbeit bedarf, dieses Recht nachdrücklich zu verteidigen. Was Dr. Matthias Lange bereits vor über 20 Jahren festgehalten hat, habe leider noch heute eine volle Gültigkeit. Der Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutliche uns allen erneut und auf eindringliche Weise, dass die Aufnahme von Geflüchteten eine Aufgabe und Herausforderung darstelle, der wir uns dauerhaft stellen wollen und auf die die Politik angemessene Antworten entwickeln müsse. Die Kurzsichtigkeit der Politik sei auch in Afghanistan deutlich geworden: Noch bis Mitte 2021 haben wir miterleben müssen, dass Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben wurden.
Die niedersächsische Landesregierung habe eine Mitverantwortung dafür, dass Familien als Ganze geschützt werden: Die Landesregierung habe es in der Hand, dass Familienangehörige von hier bereits lebenden Geflüchteten auf der Basis eines niedersächsischen Landesaufnahmeprogramms unbürokratisch eine Genehmigung zur Einreise erhalten könnten.
Im Rahmen der anschließenden Mitgliederversammlung stellte der Vorstand den Tätigkeitsbericht 2021/22 und den Finanzbericht für das Jahr 2021 vor. Der Vorstand wurde für die Geschäftsführung im Jahr 2021 einstimmig entlastet.
Portrait des Preisträgers, Marcus Grotian
Laudatio von Dr. Alema, ehemalige stellv. Friedensministerin in Afghanistan
Rede des Preisträgers, Marcus Grotian
Rede der Vorsitzenden des Flüchtlingsrats, Claire Deery
Hintergrund
GiZ lässt 161 afghanische Ortskräfte im Stich, Pressemitteilung vom 02. Dezember 2021
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