Forderungen an die Konferenz der Innenminister:innen der Länder

Aus Anlass der Konferenz der Innenminister*innen und Innensenator*innen von Ländern und Bund vom 1. bis 3. Juni 2022 hat PRO ASYL Forderungen gestellt, die in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fallen und nachfolgend dokumentiert werden.

Hintergrund: Seit dem Abzug der Nato-Truppen und der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan am 15. August 2021 sind dort weiterhin Menschen in Lebensgefahr, die zum Beispiel für deutsche Organisationen oder die Bundeswehr gearbeitet haben und deswegen von den Taliban verfolgt werden. Im Koalitionsvertrag heißt es: »Wir wollen diejenigen besonders schützen, die der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben.«

Problemlage: Die versprochene Aufnahme durch die alte und neue Bundesregierung geht zu langsam voran und zu viele gefährdete Personen fallen nicht unter die eng gesteckten Kriterien. Nach Plänen des Bundesinnenministeriums sollen im Rahmen eines Bundesaufnahmeprogramms jährlich nur maximal 5.000 afghanische Flüchtlinge nach Deutschland gebracht werden. Da hierzu auch die Familienmitglieder gefährdeter Personen zählen, wären von dem Bundesaufnahmeprogramm voraussichtlich gerade einmal 1.000 gefährdete Menschen umfasst. Auch bestehen Probleme bei der Anerkennung und Rettung von Ortskräften, dem Familiennachzug aus Afghanistan und der schnellen Aufnahmezusage für stark gefährdete Einzelpersonen nach §22 Absatz 2 AufenthG. Es eilt, denn die Taliban sind längst dabei, ihre Gegner zu beseitigen und Rache an jenen zu üben, die sich »westlichen« Werten verschrieben haben.

Forderungen: Die Aufnahme aus Afghanistan muss bedarfsgerecht erfolgen und darf nicht auf eine niedrige Zahl gedeckelt werden. Alle Personen, die für deutsche Institutionen gearbeitet haben und nun Verfolgung durch die Taliban befürchten müssen, die aber nicht die engen Voraussetzungen für das Aufnahmeprogramm für Ortskräfte erfüllen, müssen in dem Bundesaufnahmeprogramm berücksichtigt werden – also auch Menschen, die über Subunternehmen für deutsche Organisationen gearbeitet haben. Denn die Taliban unterscheiden bei ihren Racheaktionen nicht nach der Art der Vertragsverhältnisse. Auch Journalist*innen, Menschenrechtler*innen, Frauenrechtsverteidiger*innen und Kulturschaffende sind gefährdet und brauchen Schutz in Deutschland.  PRO ASYL fordert eine schnelle Etablierung des Aufnahmeprogramms, denn jeder Tag des Wartens ist ein Tag in Lebensgefahr für die betroffenen Menschen.

PRO ASYL fordert zudem die Einrichtung von Landesaufnahmeprogrammen nach § 23 Abs. 2 AufenthG, von denen insbesondere Familienangehörige von in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen profitieren würden. Denn derzeit scheitern sie häufig an den hohen Voraussetzungen der für den Familiennachzug geltenden Normen des Aufenthaltsgesetzes – sei es zum Beispiel bei bereits volljährig gewordenen Kindern oder »sonstigen Familienangehörigen« außerhalb der Kernfamilie. Das Bundesinnenministerium darf sich der Etablierung von Landesaufnahmeprogrammen – etwa in den Bundesländern Berlin, Bremen und Thüringen, die bereits entsprechende Vorstoße unternommen haben – nicht verweigern, sondern sollte sein erforderliches Einvernehmen nach § 23 Abs. 1 S. 3 AufenthG erklären.

Für bereits in Deutschland lebende afghanische Staatsangehörige ohne asylrechtliche Anerkennung fordert PRO ASYL die Innenminster*innen dazu auf, einen sofortigen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG zu erlassen.  Nach sechs Monaten Abschiebestopp wäre dann die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 23 Abs. 1 AufenthG gegeben. Diesen gesetzlichen Mechanismus gilt es zu aktivieren, um Kettenduldungen zu vermeiden. Konsequenterweise sollte der Aufenthaltstitel jedoch jetzt schon vergeben werden, da die Lage in Afghanistan bereits seit dem 15. August 2021 und damit seit weit über sechs Monaten einen Abschiebstopp gebietet.

#RechtAufZukunft: Bleiberechtsregelung umsetzen, Abschiebestopp erlassen

Hintergrund: 242.000 geflüchtete Menschen leben in Deutschland mit dem unsicheren Status der Duldung, der Großteil von ihnen schon seit vielen Jahren. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Etablierung eines Chancen-Aufenthaltsrechts angekündigt, welches sie der bisherigen Praxis von Kettenduldungen entgegensetzen möchte. Demnach sollen »Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, […] eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen«.

Problemlage: Trotz der geplanten Aufenthaltssicherung lassen Landesinnenminister*innen weiterhin Menschen abschieben, die zeitnah unter diese Bleiberechtsregelung fallen würden. Zum Beispiel wurde ein pakistanischer Staatsangehöriger im Januar 2022 von einer Ausländerbehörde in Niedersachsen abgeschoben, obwohl er sich bereits seit 2015 – also länger als die erforderlichen fünf Jahre – in Deutschland aufhielt und auch die sonstigen Voraussetzungen für das zu erwartende Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllte. Das gleiche Schicksal ereilte eine Familie aus Bangladesch in Nordrhein-Westfalen, deren 6‑jährige Tochter ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht hatte.

Forderungen: Die angekündigten Bleiberechtsregelungen müssen schnell und großzügig umgesetzt werden. Noch vor der Sommerpause sollte der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden, so dass das Gesetz nach der Sommerpause in Kraft treten kann. Bis dahin bedarf es Vorgriffserlasse der Bundesländer. Das Innenministerium Rheinland-Pfalz ist als erstes tätig geworden und hat mit einem Schreiben vom 23.12.2021 den Ausländerbehörden nahegelegt, Abschiebungen bei jenen, die von dem Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren würden,  auszusetzen. Schleswig-Holstein, Bremen, Thüringen und Niedersachsen sind diesem Beispiel gefolgt. Niedersachsen hat zudem bisher als einziges Bundesland seine Vorgriffsregelung vom 2. Mai 2022 nicht nur auf das zu erwartende Chancen-Aufenthaltsrecht bezogen, sondern auch auf diejenigen, die von den voraussichtlichen Verbesserungen beim Nachweis guter Integration nach §§ 25a und b AufenthG profitieren werden. PRO ASYL fordert die Innenministerien aller Bundesländer auf, dem Vorbild Niedersachsens folgend Vorgriffserlasse im Hinblick auf sämtliche zu erwartenden Änderungen in Bezug auf das Chancen-Aufenthaltsrecht und auf die erleichterten Voraussetzungen der §§ 25a und b AufenthG zu beschließen.

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat PRO ASYL die Kampagne #RechtAufZukunft ins Leben gerufen.

#Ukraine: Gleichbehandlung für Drittstaatler*innen & Staatenlose

Hintergrund: Viele ukrainische Menschen bekommen derzeit schnell und unbürokratisch Schutz in Deutschland sowie einen schnellen Zugang zu Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis und Sozialleistungen. Grundlage ist die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung (UkraineAufenthÜV), nach der sich Flüchtlinge aus der Ukraine bis zum 31. August 2022 ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten können. Dies begrüßt PRO ASYL ausdrücklich und erkennt die Herausforderungen an, die bei der Aufnahme bestehen.

Problemlage: Menschen, die nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen, aber ebenso vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen mussten, werden von einigen Ausländerbehörden rechtswidrigerweise aufgefordert auszureisen. Dabei gilt auch für sie die UkraineAufenthÜV, nach der sie sich bis zum 31. August 2022 ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten dürfen und danach ohne Durchführung eines Visumverfahrens einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen können (§ 2 und 3 UkraineAufenthÜV). Einige Betroffene erhielten zum Beispiel Grenzübertrittsbescheinigungen mit kurzen Ausreisefristen. Oder ihnen wurde von deutschen staatlichen Behörden empfohlen, einen Asylantrag zu stellen, was in aller Regel für diese Personengruppe nicht zielführend und mit Nachteilen verbunden ist.

Forderungen: PRO ASYL fordert, dass die korrekte Anwendung der UkraineAufenthÜV, etwa durch Anweisungen an die Ausländerbehörden, sichergestellt wird.

Zudem sind viele Menschen mit nicht ukrainischer Staatsangehörigkeit, die vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gelebt, studiert oder gearbeitet haben, von dem Recht auf temporären Schutz als Kriegsvertriebene nicht umfasst, wenn angenommen wird, dass eine »sichere und dauerhafte Rückkehrmöglichkeit« ins Herkunftsland besteht. Wenn ihnen keine aufenthaltsrechtliche Perspektive auf nationaler Grundlage eingeräumt wird, werden sie daher zur Ausreise gedrängt, obwohl auch sie vor den Bomben in der Ukraine fliehen mussten.

Des Weiteren sollten unabhängig von einer vermeintlichen Rückkehrmöglichkeit ins Herkunftsland alle geflohenen Personen aus der Ukraine als Kriegsvertriebene angesehen werden. Eine Gleichbehandlung dieser Menschen, die ihnen eine realistische Chance gibt, auch über den 31.08 hinaus eine Bleibeperspektive aufzubauen, gehört aus unserer zivilgesellschaftlichen Perspektive zum Mittelpunkt einer antirassistischen Innenpolitik. PRO ASYL fordert daher gemeinsam mit Flüchtlingsräten und weiteren Organisationen auch für Geflüchtete aus der Ukraine, die nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen oder die staatenlos sind, ein zweijähriges Aufenthaltsrecht, analog zur Erteilung des vorübergehenden Schutzes für Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Dies sollte auch den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt und Sozialleistungen umfassen.

In den Anliegen zur IMK, die PRO ASYL bereits im Vorfeld an alle Mitglieder verschickt hat, wird zudem ein Stopp von Dublin-Überstellungen in die Nachbarländer der Ukraine gefordert. Dies wäre ein Zeichen der Solidarität mit den Ländern, die bislang die Mehrzahl der ukrainischen Flüchtlinge aufnehmen. Außerdem wird die weiter bestehende Notwendigkeit eines Abschiebungsstopps für Syrien betont, in dem nach wie vor Diktator Bashar Al-Assad herrscht.

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