Geflüchtete endlich vor Gewalt schützen – Schutzkonzepte lange überfällig

Es ist nicht hinzunehmen, dass insbesondere geflüchtete Frauen und Kinder in Sammelunterkünften noch immer Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die umgehende Schließung der Sammelunterkunft in Ehra-Lessien sowie die Implementierung von Gewaltschutzkonzepten in allen niedersächsischen Kommunen.

Wie der heute um 21:15 Uhr ausgestrahlte Panorama-Bericht zur Sammelunterkunft in Ehra-Lessien zeigt, ist die im Wald abseits sonstiger Bebauung errichtete Unterkunft, weit weg von Beratungsinfrastruktur, leicht zugänglichen Ansprechpartner:innen, öffentlichem Nahverkehr oder gar Supermärkten. Schutzsuchende, die oftmals besondere Unterstützungsbedarfe haben, um die Fluchtursachen zu verarbeiten und in Deutschland wirklich anzukommen, sind hier fehl am Platz.

Unterkünfte sind geprägt von einem hohen Grad an Anonymität, mangelnder Privat- und Intimsphäre, fehlenden Schutz- und Rückzugsmöglichkeiten. Sie haben oft keine abschließbaren Sanitär- und Schlafräume. Das Teilen von Zimmern sowie sanitären Anlagen mit völlig Fremden, ein häufig hoher Lärmpegel, fehlende tagesstrukturierende Beschäftigung, eingeschränkte Rechte und die kontinuierliche Kontrolle auch der Privaträume durch das Personal sind Risikofaktoren für Gewalt.

Flucht macht alle Menschen verletzlich – jedoch auf unterschiedliche Art und Weise.
Frauen flüchten genau wie Männer vor Repressionen, Krieg, Willkür, Gewalt und Armut. Doch eine Vielzahl der Frauen flieht auch vor geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt. Sie fliehen vor Vergewaltigung als Strategie des Militärs, vor sexueller Ausbeutung, vor Repressionen und Übergriffen aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Lebensweise, vor Genitalverstümmelung, vor Zwangsverheiratung und Zwangsverschleierung.

 

Wir fordern:

  • Geflüchtete Menschen müssen in eigenen Wohnungen leben dürfen, dafür sind Anstrengungen hinsichtlich des Baues von Wohnungen und der Erschließung leerstehender Gebäude notwendig
    Unterkünfte für geflüchtete Menschen dürfen nur dort stehen, wo auch Infrastruktur vorhanden ist: Sie haben zumeist einen erhöhten Beratungsbedarf und sind in der Regel auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen
  • Unabhängige Beschwerdemöglichkeiten: Gewaltbetroffene Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich niedrigschwellig an Menschen zu wenden, wenn sie Probleme in Unterkünften haben.
  • Solange (geflüchtete) Menschen in Sammelunterkünften untergebracht werden, muss es zwingend Schutzkonzepte geben, denn Sammelunterkünfte sind strukturell konflikt- und gewaltfördernd. Dem muss begegnet werden, mit Handlungsleitfäden, Schutzräumen, baulichen Maßnahmen und einer gut ausgebildeten Sozialen Arbeit vor Ort
  • Schriftliche Handlungsleitfäden müssen für alle jederzeit einsehbar sein, damit Menschen vor Ort wissen, an wen sie sich wenden können
  • Security-Personal muss für seine Tätigkeit umfassend ausgebildet und sensibilisiert werden. Darüber hinaus braucht es regelmäßige Schulungen zu Konfliktmanagement und zum Erkennen von Gewalt.
  • Neben den einrichtungsspezifischen Rahmenbedingungen braucht es für einen gelingenden Gewaltschutz auch ein breites Netzwerk und gute Kooperationen mit Fachberatungsstellen, Ärzt:innen, psychologischer Betreuung und Ämtern
  • das Land Niedersachsen muss landesweit gültige Standards zum Schutz vor Gewalt in Flüchtlingsunterkünften rechtlich bindend festlegen und die Kommunen für die Umsetzung finanziell ausstatten

 

Für ein solches einheitliches Vorgehen fehlt indes bislang die gesetzliche Grundlage. Zwar verpflichtet die EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) die Mitgliedsstaaten, den Schutzbedarf vulnerabler Gruppen bei der Unterbringung zu berücksichtigen. Die vom Bundesfamilienministerium und UNICEF unter Beteiligung zahlreicher Expert:innen erarbeiteten Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften haben allerdings ebenso wie die überarbeitete, um weitere schutzbedürftige Gruppen ergänzte Neufassung aus 2021 lediglich Empfehlungscharakter.

 

Ansprechperson:

Laura Müller,  lm@nds-fluerat.org, 0511 98 24 60 35

Aigün Hirsch, ah@nds-fluerat.org, 0511 98 24 60 36

 

Die Berichte werden heute, Donnerstag, 24.05.2022 im NDR ausgestrahlt:

19:30 Hallo Niedersachsen
21:15 Panorama 3

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