Zum Tag der Familie am 15.5.: Familiennachzug beschleunigen – die Koalition muss liefern!

Pressemitteilung von PRO ASYL 

Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung zu einem beschleunigten Verfahren zum Familiennachzug bekannt und zugesagt, den Prozess zu vereinfachen. Zum Tag der Familie am 15. Mai fordert PRO ASYL: Dieses Versprechen muss umgehend eingelöst werden. Denn noch immer sind tausende Flüchtlingsfamilien voneinander getrennt. Aufgrund der Taliban-Herrschaft sind insbesondere Familien aus Afghanistan akut gefährdet. 

„Die neue Regierung ist nun fast ein halbes Jahr im Amt und wir erwarten, dass den Ankündigungen zum Familiennachzug nun Taten folgen“, fordert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. „Es geht um Familien, die seit Jahren auseinandergerissen sind. Jeder Tag, den sie länger auf ihre Ehepartner, Kinder oder Eltern warten, ist für sie ein Tag voller Sehnsucht, Sorgen und Ängste. In Afghanistan festsitzende Familienangehörige sind aufgrund der Verfolgung durch die Taliban in Lebensgefahr.“

Als die Ampel-Regierung ihr Amt antrat, hatte sie sich mit Blick auf die Flüchtlingspolitik und den Familiennachzug viel vorgenommen: Die Visavergabe soll beschleunigt und verstärkt digitalisiert werden, minderjährige Geschwister beim Familiennachzug nicht länger ausgenommen sein. Die diskriminierende Unterscheidung zwischen Flüchtlingen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind, und denen, die subsidiären Schutz erhalten, soll abgeschafft werden. So ist es im Koalitionsvertrag vorgesehen. PRO ASYL fordert, dass entsprechende Gesetzesänderungen noch vor der parlamentarischen Sommerpause auf den Weg gebracht werden.

PRO ASYL fordert zudem eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens zum Familiennachzug, was ohne Gesetzesänderung möglich wäre. Denn in der Praxis hat sich trotz der Ankündigungen im Koalitionsvertrag kaum etwas verändert: Noch immer warten Familienangehörige von Flüchtlingen oft jahrelang auf Termine zur Antragstellung. Sie müssen dabei zum Teil unter Lebensgefahr Landesgrenzen überwinden,  Dokumente beim Verfolgerstaat beschaffen und unter großen Unsicherheiten Entscheidungen treffen. In vielen Fällen betrifft das alleinreisende Frauen und Kinder. Sie brauchen dringend transparente Wege für ihre Terminbuchung und Visaanträge. Das trifft insbesondere auf Menschen aus Afghanistan zu.

Zahlreiche Hürden für afghanische Familien: Ein Beispiel aus der Praxis

Afghanische Familien sehen sich mit vielen Problemen deutscher Bürokratie konfrontiert. Ein Beispiel: Sie dürfen ihren Antrag auf ein Visum zum Familiennachzug offiziell nur an der deutschen Botschaft in Islamabad und an jener in Neu-Delhi stellen, wobei Indien seit der Machtübernahme durch die Taliban keine Visa mehr für Afghan*innen ausstellt. Die Botschaft in Pakistan ist dementsprechend völlig überfordert und hat nicht ausreichend Personal. Laut der Antwort der Bundesregierung von März 2022 auf eine Kleine Anfrage der Linken betrug die Wartezeit an der deutschen Botschaft in Islamabad zur Antragstellung eines Visums zum Familiennachzug (also der allerersten Schritt im Verfahren!) über ein Jahr. Aktuell sind es unseren Erfahrungen nach ungefähr zwei Jahren. PRO ASYL fordert deshalb eine Globalzuständigkeit für afghanische Antragsteller*innen, was bedeuten würde, dass sie an jeder deutschen Auslandsvertretung, die sie erreichen können, ihren Visumsantrag einreichen dürfen. Das würde die deutsche Botschaft in Pakistan entlasten und den Menschen dazu verhelfen, schneller einen Termin zu erhalten.

Wer betroffen ist: Zwei Einzelfälle

Beispiel 1: Der Journalist aus Afghanistan

Baran, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist ein afghanischer Journalist und dreifacher Familienvater, der seit eineinhalb Jahren in Deutschland lebt. In Afghanistan war Baran in hochrangiger Position für einen Radio- und Fernsehsender tätig und arbeitete zudem als Pressesprecher eines Regierungsvertreters. Schon in der Vergangenheit war er Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt, die auch einen nahen Familienangehörigen von ihm töteten. Ab Mitte 2019 häuften sich diese. Immer öfter wurde ihm telefonisch mitgeteilt, man wolle ihn vernichten, er solle seine Tätigkeiten aufgeben. Von den afghanischen Sicherheitskräften erhielt er keine Unterstützung. Baran schlief aus Angst meist im Büro und besuchte seine Familie nur noch ein Mal pro Woche. Seine Frau war mit den Kindern allein zu Hause, als die Taliban eines Abends in den Innenhof eindrangen. Mit einem Jagdgewehr schoss die Mutter in die Luft und vertrieb sie so. Daraufhin verließ die Familie im September 2019 ihr Zuhause. Aufgrund der gefahrvollen Flucht entschied Baran, sich zunächst alleine nach Europa durchzuschlagen. Im September 2020 stellte er in Deutschland einen Asylantrag und ihm wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Anfang 2021 registrierte er seine Frau und die drei Töchter auf der Terminwarteliste der deutschen Botschaft Islamabad. Mit der Machtübernahme der Taliban spitzte sich die Situation für seine Familie dramatisch zu und das von der Familie verlassene Haus wurde mehrfach durchsucht. Dennoch hat die Familie bis heute keinen Termin zur Antragstellung erhalten. Baran wandte sich verzweifelt an verschiedene Behörden, aber ohne Erfolg. Barans Frau lebt mit den drei Mädchen in einem Versteck und kann dieses nicht verlassen. Baran bangt um ihr Leben.

 

Beispiel 2: Die alleinerziehende Mutter aus Somalia

Waris, die eigentlich anders heißt, kommt aus Somalia und ist Ende 2015 in Deutschland eingereist. Im Juli 2019 wurde sie als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Daraufhin stellte sie bei der deutschen Botschaft in Nairobi einen Terminantrag auf ein Visum zum Familiennachzug. Erst über zwei Jahre später bekamen ihre Kinder einen Termin bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM), über die der Antrag endlich bei der Botschaft eingereicht wurde. Waris ist alleinstehend, die Kinder im Alter von 13, 11, 10 und 7 Jahren leben bei ihrer kranken Großmutter. Seit drei Jahren versucht die 36-Jährige, ihre Kinder über die deutsche Botschaft in Nairobi nachzuholen. Dabei tun sich immer neue Schwierigkeiten auf, obwohl die Mutterschaft sogar mittels einer DNA-Probe bewiesen wurde und alle erforderlichen Unterlagen eingereicht sind. Zuletzt verkündete das Auswärtige Amt, dass die  Unterlagen an die zuständige Ausländerbehörde gesandt worden seien, wohingegen diese behauptet, sie habe nichts erhalten. Hinzu kommt, dass sich mittlerweile weder die Botschaft noch die IOM zurückmeldet. Waris und ihre Kinder werden im Ungewissen gelassen, wann das Warten ein Ende hat.

 

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