Neue Studie des Flüchtlingsrat Niedersachsen: Empfehlungen für Politik und Praxis
Rechtliche Unsicherheit und die Erfahrung von Ablehnung stellen für junge geflüchtete Menschen die schwerwiegendsten Hindernisse auf dem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe in der deutschen Gesellschaft dar. Dies ist das Ergebnis einer Studie des Flüchtlingsrat Niedersachsen (hier in englischer Sprache, hier in deutscher Sprache).
Hilke Brandy, Autorin der Studie:
„Insbesondere unbegleitete Minderjährige stehen vor vielfältigen Herausforderungen, wenn es darum geht, nach monate- oder gar jahrelanger Flucht den Alltag ohne familiäre Unterstützung in einer neuen Umgebung zu meistern. Die jungen Menschen brauchen frühzeitig Aufenthaltssicherheit und mehr langfristige pädagogische Unterstützung.“
Niedersachsenweit hat der Flüchtlingsrat unbegleitete minderjährige Geflüchtete und Fachkräfte befragt und so Erkenntnisse über die Situation der jungen Geflüchteten in Niedersachsen gewonnen.
Insbesondere die langanhaltende aufenthaltsrechtliche Unsicherheit – auch nach mehreren Jahren Aufenthalt in Deutschland – setzt junge Menschen enorm unter Druck und beeinflusst ihr Wohlbefinden in allen Lebensbereichen.
Die Betreuung im Rahmen der Jugendhilfe kann hier einiges auffangen. Doch endet diese oftmals abrupt mit dem 18. Geburtstag, und ohne eine gut vorbereitete Übergabe und Anbindung an andere Sozialsysteme und Unterstützungsmöglichkeiten finden sich junge volljährige Geflüchtete plötzlich mit einem neuen Rechtsstatus als Erwachsene und ohne soziales Auffangnetz wieder. Ein unterstützendes und vor allem stabiles Umfeld ist jedoch für die jungen Menschen wichtig, um ihnen Zugänge in die Gesellschaft über Bildung, Arbeit, Hobbys und soziale Kontakte zu ermöglichen.
Nicht zuletzt beeinflusst ein über die Jahre zunehmend ablehnendes gesellschaftliches Klima konkret den Alltag junger geflüchteter Menschen, z.B. wenn sie bei der Wohnungssuche Rassismus und Diskriminierung erleben müssen.
Gerlinde Becker, Referentin des Flüchtlingsrat Niedersachsen:
„Leider sind die Ergebnisse der Studie keine Überraschung. Sie bestätigen vielmehr die Erfahrungen und Beobachtungen aus der Praxis, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Umso wichtiger ist es, dass auf Landes- und Kommunalebene die entsprechende Infrastruktur geschaffen wird, um jungen Geflüchteten ein gutes und stabiles Ankommen in Deutschland zu ermöglichen“.
In Reaktion auf die Flucht vieler unbegleiteter Minderjähriger in den Jahren 2015 und 2017 wurden mit dem EU-Türkei-Deal und der erfolgreichen Abschottung an den EU-Außengrenzen die Flüchtlingszahlen drastisch gesenkt und viele Unterstützungs- und Unterbringungsstrukturen für junge Geflüchtete wieder eingefahren.
Der Flüchtlingsrat kritisiert dies als kurzsichtiges Handeln, das der Dynamik, der globale Fluchtbewegungen unterliegen, nicht gerecht wird.
Gerlinde Becker:
„Situationen wie die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan oder der Krieg in der Ukraine verdeutlichen, dass phasenweise immer wieder vermehrt unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Deutschland flüchten werden. Auf solche Situationen müssen die Jugendämter vorbereitet sein und dürfen sich nicht von aktuellen Entwicklungen überrumpeln lassen. Es braucht langfristige, zuverlässige Strukturen und Hilfemaßnahmen für alle, damit junge Menschen ein stabiles Ankommen und eine gleichberechtigte Teilhabe erleben.“
Hintergrund
Minderjährige alleinreisende Geflüchtete sind eine besonders vulnerable Gruppe unter den Geflüchteten. Über 2.000 von ihnen kamen 2020 in Deutschland an. Nach einer oft gefährlichen Flucht stehen die jungen Menschen auch in Deutschland vor großen Herausforderungen, die sie daran hindern, sich ein Leben in Sicherheit aufzubauen.
Im Rahmen des Projektes “Integration and Reintegration of Children on the move between the Middle East and Europe” führte der Flüchtlingsrat Niedersachsen die hier vorgestellte Studie durch. Durch Befragungen von geflüchteten unbegleiteten jungen Menschen, Fachkräften und Betreuer:innen in der Jugendhilfe wurden Erkenntnisse über die Herausforderungen und Erfolge der Integration unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter gewonnen. Die Studie ist Teil eines international angelegten Projektes von Family for Every Child. Sie wurde parallel von Partnerorganisationen im Libanon und in Griechenland durchgeführt. Gefördert wurde das Projekt durch Comic Relief.
Forschungsbericht herunterladen (englisch).
Forschungsbericht herunterladen (deutsch).
Zusammenfassung des Forschungsberichts herunterladen (deutsch).
Der Forschungsbericht kann über die Geschäftsstelle angefordert werden. Bei Interesse wenden Sie sich an nds@nds-fluerat.org.
Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Gerlinde Becker
0511/ 81 12 00 81, gb@nds-fluerat.org
Ich kann die oben genannten Erfahrungen nach sieben Jahren in der Arbeit mit UMFs bestätigen. „Mein“ erster Jugendlicher aus Afgahnistan hatte vor zwei Wochen (nach 6 Jahren in Deutschland) seine Verhandlung und hat Abschiebestopp erhalten.
Was für eine grausame Hinhaltetaktik. Wie sollen wir sichere Orte für traumatisierte Jugendliche schaffen, wenn es individuell sehr unterschiedlich ist, ob und welchen Aufenthaltsstatus man/frau erhält. Wie kann ein geflüchteter Mensch zur Ruhe und Integration kommen, wenn er nicht weiß, ob und wie lange er in einem Land noch geduldet wird.