Über 10 Millionen Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine, über 250.000 sind bereits in Deutschland angekommen. Es sind historische Aufgaben, die jetzt bei der Hilfe für Schutzsuchende bewältigt werden müssen. Dabei gilt es, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und Menschen, die Traumatisches erlebten, möglichst schnell eine medizinische Versorgung zu ermöglichen. Bestehende Optionen, um die ohnehin überforderten Behörden zu entlasten, werden jedoch nicht hinreichend genutzt.
Der Flüchtlingsrat fordert die sofortige Implementierung einer elektronischen Gesundheitskarte
Das Aslybewerberleistungsgesetz diskriminiert Geflüchtete, da es ihnen lediglich eingeschränkte medizinische Leistungen gewährt. Die Schutzsuchenden müssen in den meisten Kommunen für jeden Ärzt:innenbesuch beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Dies ist ein enormer Ressourcen- und Zeitaufwand für Behörden, die derzeitig ohnehin an ihre Kapazitätsgrenzen geraten. In der Konsequenz ergeben sich oftmals tagelange Verzögerungen von notwendigen Behandlungen.
„Die Gesundheitsversorgung der ankommenden Menschen aus den Kriegsgebieten der Ukraine und aller anderen Geflüchteten auch muss flächendeckend durch die Aushändigung einer elektronischen Gesundheitskarte sichergestellt werden“, fordert Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Die Möglichkeit dazu besteht schon seit Jahren. Das Land hat eine Rahmenvereinbarung mit den Landesverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen getroffen und so die Grundlage dafür geschaffen, dass die Kommunen eine elektronische Gesundheitskarte einführen können. Bislang haben allerdings nur wenige Kommunen (nach Delmenhorst noch Cuxhaven und Burgwedel) von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Weber sieht eine Gefahr der Überlastung von Behörden, die ohnehin aufgrund von Covid einen aktuell hohen Krankenstand aufweisen: „Die Aushändigung von Behandlungsscheinen an Geflüchtete wird für Kommunen zur Überforderung. Die Folgen unzureichender medizinischer Versorgung wären größeres Leid und letztlich höhere Behandlungskosten. Die eGK für Geflüchtete würde ihre Versorgung sicherstellen, die Behörden entlasten und sogar Kosten einsparen. Entsprechende Gutachten liegen längst vor.
Seit 2016 wird in Niedersachsen um die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte gestritten (siehe Presseerklärung vom 08.06.2016: Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Niedersachsen? Das Verfahren stockt). Auch die Landesvereinigung für Gesundheit setzte sich schon 2016 für eine flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte ein (Droht die Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende zu scheitern?). In sechs Bundesländern erhalten Geflüchtete die elektronische Gesundheitskarte bereits. Es liegen gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass die Einführung der eGK für Empfänger:innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (zu denen auch Geflüchtete aus der Ukraine gehören) den administrative Prozesse erleichtert und Kosten eher reduziert. Erst jüngst hat die Mercator-Stiftung im Rahmen einer Studie zur Umsetzung des AsylbLG in den einzelnen Bundesländern die sehr unterschiedlićhen Leistungsstandards in den Bundesländern kritisiert und eine bundesweite Vereinheitlichung der strukturellen Rahmenbedingungen der medizinischen Versorgung Asylsuchender gefordert.
Leider hat es die Landesregierung bislang versäumt, die Einführung einer eGK verbindlich vorzuschreiben, wie dies z.B. in Schleswig-Holstein geschehen ist. Grundsätzlich empfehlenswert wäre eine landesweite Einführung der eGK mit Übernahme der anfallenden Behandlungskosten auf Landesebene, um anfallende Verwaltungskosten und entstehende Gesundheitsausgaben über alle Kreise ausgleichen zu können. Voraussetzung hierfür wäre allerdings eine Neustrukturierung der Kostenerstattungsregelungen des Landes. Bis es soweit ist, sind die Kommunen gefordert, eine elektronische Gesundheitskarte eigeninitiativ einzuführen.
Anhang:
Wo in Deutschland Gesundheitskarten für geflüchtete Menschen bestehen, lässt sich dieser sehr nützlichen Übersichtsseite der Medibüros entnehmen.
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