Die Landesregierung hat den bereits 2018 angekündigten „Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebungshaftvollzugsgesetzes“ in den Landtag eingebracht. Der Gesetzentwurf sei zwar begrüßenswert, er müsse jedoch in weiten Teilen nachgebessert werden, meint der Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Die Landesregierung hat den bereits 2018 angekündigten „Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebungshaftvollzugsgesetzes“ in den Landtag eingebracht. Der Gesetzentwurf ist federführend vom Innenministerium in enger Zusammenarbeit mit dem Justizministerium erarbeitet worden.
Nach Auffassung des Flüchtlingsrats sei es zwar begrüßenswert, dass die Landesregierung die Rechte der Abschiebungshaftgefangenen in Niedersachsen endlich verbindlich regeln und damit den rechtswidrigen Status quo beseitigen will, allerdings müsse der Gesetzentwurf in weiten Teilen nachgebessert werden.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Der Entwurf überlässt es im Zweifel den JVA-Bediensteten, welche Grundrechtsbeschränkungen den Gefangenen auferlegt werden – dies soll durch das Abschiebungshaftvollzugsgesetz jedoch gerade verhindert werden. Die Situation erkrankter Gefangener wird nicht ausreichend berücksichtigt. So ist zum Beispiel vorgesehen, suizidale Gefangene in einem überwachten Haftraum zu fesseln. Suizidale Personen gehören jedoch nicht in Haft, sondern in eine therapeutische Einrichtung.“
Nach Ansicht des Flüchtlingsrats müssen auch die Regelungen zur sozialen Betreuung und Rechtsberatung grundlegend überarbeitet werden. Die soziale Betreuung der Gefangenen sollte nicht den Bediensteten der JVA, die hierfür überhaupt nicht ausgebildet sind, sondern anerkannten Sozialarbeiter:innen übertragen werden. Mittellose Gefangene, die eine Rechtsberatung brauchen, sollten nicht auf einen Antrag beim Amtsgerichts verwiesen werden, den sie aufgrund ihrer Inhaftierung und fehlender (Sprach)Kenntnisse in der Regel nicht stellen können. Erforderlich ist vielmehr, dass die Landesregierung wieder eine unabhängige Rechtsberatung für alle Abschiebungshaftgefangenen finanziert und ihnen einen effektiven Zugang zum Recht gewährt. Zumal etwa die Hälfte aller Inhaftierungen sich weiterhin als rechtswidrig erweist.
Der ausschließliche Zweck der Abschiebungshaft ist es, eine – vermeintliche – Fluchtgefahr zu beseitigen und die Vollziehung der Abschiebung zu sichern. Sie dient – anders als die Strafhaft – nicht dazu, die betroffenen Personen zu maßregeln oder zu sanktionieren. Nach Ansicht des Flüchtlingsrat Niedersachsen folgt daraus, dass die Grundrechte der Gefangenen auch nur eingeschränkt werden dürfen, um ihre Flucht zu verhindern. Deshalb muss der Entwurf so lange überarbeitet werden, bis er dem Grundsatz „normales Leben minus Freiheit“ gerecht wird.
Auch die von der Landesregierung hervorgehobenen Regelungen zur Bewegungsfreiheit oder zu den Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten sind vor diesem Hintergrund nach Meinung des Flüchtlingsrats ungenügend. Weder die Zeiten, zu denen sich die Gefangenen außerhalb ihrer Zellen oder an der frischen Luft aufhalten dürfen, d.h. nicht eingesperrt sind, noch die Besuchszeiten werden im Entwurf konkret benannt. Diese Zeiten sollen nach Vorstellung der Landesregierung vielmehr vom Fachministerium bzw. der JVA festgelegt werden – wie es bereits auch heute schon der Fall ist.
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Es ist geradezu absurd, wenn die Institutionen, deren Handlungen das Gesetz reglementiert will, weiterhin über die Rechte der Gefangenen entscheiden sollen. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit innerhalb des Abschiebungshaftgefängnisses bzw. des Besuchsempfangs hat genauso wenig mit einem normalen Leben zu tun wie das Verbot von Handys mit Kamerafunktion oder der lediglich rudimentäre Zugang zum Internet.“
Nicht nur vom Flüchtlingrat, sondern auch von anderer Stelle wird das Land Niedersachsen für den Vollzug der Abschiebungshaft kritisiert. So hat Jean Richard de la Tour, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, erst kürzlich festgestellt, dass das niedersächsische Abschiebungshaftgefängnis in Langenhagen nicht den europarechtlichen Anforderungen genügt. Eine abschließende Entscheidung des EuGH wird in den nächsten Wochen erwartet.
Nachfolgend findet sich eine Zusammenfassung der zwölf Hauptkritikpunkte des Flüchtlingsrat Niedersachsen an dem Gesetzentwurf. Die ausführliche Stellungnahme, die der Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen der Verbandsanhörung verfasst hat, findet sich hier. Weder die Stellungnahme des Flüchtlingsrats noch die anderer NGOs und Wohlfahrtsverbände hat unter dem Strich Beachtung gefunden.
Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38, moy@nds-fluerat.org
Die Abteilung Langenhagen der JVA Hannover genügt nicht den europäischen Vorgaben zur baulichen Gestaltung von Abschiebungshafteinrichtungen – wie auch der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Jean Richard de la Tour, festgestellt hat.
Der Gesetzentwurf enthält eine unbestimmte Generalklausel, wonach den Gefangenen jegliche Beschränkungen auferlegt werden können, die „der Zweck der Haft erfordert“ oder die „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwehr einer Störung der Ordnung der Einrichtung unerlässlich sind“ (§ 2). Dadurch wird es ins Ermessen der JVA gestellt, welche Grundrechtsbeschränkungen den Gefangenen auferlegt werden – dies soll durch ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz jedoch gerade verhindert werden.
Es bleibt unbeantwortet, wie „schutzbedürtige Personen“ als solche identifiziert werden sollen. Unbeantwortet bleibt ebenfalls, wie genau die „Situation schutzbedürftiger Personen“ bei der „Vollzugsgestaltung“ „besonders“ berücksichtigt werden soll (§ 3). Dies birgt die Gefahr, dass der Schutz vulnerabler Personen zu einem bloßen Lippenbekenntnis verkommt.
Andere Gefangene sollen als Dolmetscher:in herangezogen werden können, wenn „die sofortige Verständigung“ im „Interesse“ der Gefangenen ohne Deutschkenntnisse „oder zur Gewährleistung der Sicherheit der Einrichtung erforderlich“ ist (§ 5). Eine „sofortige Verständigung“ dürfte stets im „Interesse“ der Gefangenen sein. Die Heranziehung von Mitgefangenen als Dolmetscher:in muss jedoch auf absolute Ausnahmen beschränkt bleiben, da die Gefangenen andernfalls gezwungen werden, Informationen aus ihrer Intimsphäre – etwa zu Erkrankungen oder ihrer Religionszugehörigkeit – vor anderen Gefangenen zu offenbaren. Des weiteren trifft Gefangene – im Gegensatz zu professionellen Dolmetschenden – keine Pflicht, Verschwiegenheit über die Gesprächsinhalte zu bewahren. Zudem ist eine Übersetzung durch andere Gefangene stark fehleranfällig.
Die „soziale Betreuung der Gefangenen“ wird den Bediensteten der JVA übertragen (§ 6). Die „soziale Betreuung der Gefangenen“ sollte jedoch staatlich anerkannten Sozialarbeiter:innen, die idealerweise bei einem externen Träger – etwa einem Wohlfahrtsverband – beschäftigt sein sollten, überlassen werden. Nur so ist gewährleistet, dass die Gefangenen umfassend fachkundig betreut und die Vollzugsbediensteten nicht durch sozialarbeiterische Aufgaben überlastet werden. Hinzu kommt, dass die Gefangenen sich nur im Ausnahmefall denjenigen Personen anvertrauen werden, die ihre Inhaftierung überwachen.
Die „Informationen über eine Rechtsvertretung“ (§ 6) soll nach der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass mittellose Gefangene, „Rechtsberatung […], insbesondere nach dem Beratungshilfegesetz, erhalten können.“ Nach § 4 Abs. 1 und 2 BerHG ist der Antrag auf Beratungshilfe schriftlich oder mündlich unter Angabe des Sachverhalts, für den die Beratungshilfe begehrt wird, beim Amtsgericht zu stellen. Die Gefangenen auf das BerHG zu verweisen, ist realitätsfremd. Die Gefangenen verfügen in der Regel nicht über ausreichende (Sprach)Kenntnisse, um einen Beratungshilfeschein zu beantragen. Der Zugang der Gefangenen zum Recht ist überdies aufgrund ihrer Inhaftierung erschwert. Um den Gefangenen den Zugang zum Recht zu erleichtern, muss die Landesregierung eine regelmäßige Rechtsberatung unter Wahrung des Neutralitätsgebots finanzieren.
Die Gefangenen sollen sich lediglich „außerhalb der Nachtruhe in den zur allgemeinen Nutzung […] vorgesehenen Bereichen der Einrichtung frei bewegen“ (§ 11) und sich „während der Nachtruhe“ in ihrem „zugewiesenen Zimmer oder Bereich“ aufhalten (§ 12). Da der Vollzug der Abschiebungshaft nach dem Grundsatz „Normales Leben minus Freiheit“ zu gestalten ist, ist den Gefangenen in der Einrichtung so viel Bewegungsfreiheit wie möglich einzuräumen. Im „normalen Leben“ ist es möglich, auch nachts Aktivitäten zu entfalten – etwa zu spielen, Fernsehen zu schauen, sich mit anderen zu unterhalten oder etwa in heißen Zeiten die Nachtkühle zu nutzen, um sich zu erfrischen. Zudem kann es für die Gefangenen, beispielsweise während des Ramadan oder im Falle psychischer Beeinträchtigungen notwendig sein, ihre Haftzelle auch in der Nacht zu verlassen.
Die Gefangenen sollen „zu den Besuchszeiten in hierfür vorgesehenen Räumen Besuch empfangen“ dürfen (§ 19), wobei die Besuche „überwacht“ werden sollen (§ 21). Da die Bedingungen in der Abschiebungshaft dem „normalen Leben“ soweit wie möglich anzugleichen sind, muss es den Gefangenen gestattet sein, ganztägig und in begründeten Ausnahmefällen auch während der „Nachtruhe“ Besuch zu empfangen. Deshalb ist es den Gefangenen ebenso zu gestatten, Besuche nicht nur „in hierfür vorgesehenen Räumen“, sondern auch auf ihrer Haftzelle zu empfangen. Es ist kein Grund ersichtlich, in das Recht der Gefangenen und Besucher:innen auf Informationelle Selbstbestimmung durch eine optische Überwachung einzugreifen.
Sofern Gefangene finanziell nicht in der Lage sind, Briefe bzw. Faxe zu verschicken (§ 22) oder Anrufe zu tätigen (§ 26), „kann“ die Justizvollzugsanstalt die jeweiligen Kosten für die Gefangenen übernehmen. Die Möglichkeit, auf Kosten der JVA zu telefonieren oder Briefe bzw. Faxe zu versenden, sollte nicht in das Ermessen der JVA gestellt, sondern als verbindlicher Rechtsanspruch ausgestaltet werden, da andernfalls nicht – wie in der Gesetzesbegründung angegeben – gewährleistet ist, dass die Gefangenen „jederzeit die Möglichkeit haben, Kontakte nach außen zu pflegen oder Kontakt zu ihrem Rechtsbeistand aufzunehmen selbst wenn sie (kurzfristig) finanziell dazu nicht in der Lage sind.“
Der Besitz von Mobiltelefonen mit Kamerafunktion ist verboten. Die JVA stellt „den Gefangenen auf Antrag ein Mobiltelefon ohne Kamerafunktion zur Verfügung“ (§ 26). Nach der Gesetzesbegründung soll das Verbot von Mobiltelefonen mit Kamerafunktion die Bediensteten, andere Gefangene und Besucher:innen davor schützen, ohne ihre Einwilligung fotografiert oder gefilmt zu werden. Da es sich hierbei um ein allgemeines Lebensrisiko handelt, das auch im täglichen Leben außerhalb geschlossener Einrichtungen existiert, vermag dies nicht zu überzeugen. Außerdem sollen auch Aufnahmen von „sicherheitsrelevanten Einrichtungsgegenständen“ verhindert werden. Es fragt sich allerdings, wie die bloße Ablichtung von derartigen Gegenständen die Sicherheit der Einrichtung gefährden soll. Da die Nutzung von Mobiltelefonen mit Kamera- und Internetfunktion im „normalen Leben“ nicht mehr wegzudenken ist, muss dies auch in der Abschiebungshaft gelten. Zumindest jedoch sollte den Gefangenen die Nutzung von Mobiltelefonen mit Kamerafunktion erlaubt und die Kamera(s) ggfs. versiegelt werden, wie dies beispielsweise in der Abschiebungshafteinrichtung in Hamburg oder Hessen der Fall ist.
Die Gefangenen sollen das „in dem von der Einrichtung angebotenen Umfang nutzen“ können, wobei „die Möglichkeit der Nutzung des Internets an im Besitz befindlichen Geräten unberührt“ bleiben soll (§ 29). Der Anspruch der Gefangenen auf Nutzung des Internets sollte konkreter ausgestaltet werden. Jeder Gefangene sollte die Möglichkeit haben, das Internet täglich mindestens eine Stunde zu nutzen – auch wenn dies wesentlich weniger ist als im „normalen Leben.“ Zudem suggeriert die Vorschrift, dass die Gefangenen etwa Laptops, die sich in ihrem Besitz befinden, nutzen dürfen. Faktisch werden Laptops ohne Kamerafunktion jedoch nicht mehr vertrieben. Es bedarf insoweit einer Klarstellung, welche Art von Geräten mit Internetfunktion die Gefangenen nutzen können sollen.
Die Voraussetzungen für die Anordnung „besonderer Sicherungsmaßnahmen“ (§§ 39 bis 44) sollten angesichts der damit einhergehenden massiven Grundrechtseingriffe wesentlich enger gefasst werden. Es ist vorgesehen, „besondere Sicherungsmaßnahmen“ – beispielsweise die Verbringung in einen Haftraum ohne Gegenstände inklusive Fixierung des Körpers – gegenüber Gefangenen zu ergreifen, die akut oder dauerhaft seelisch erkrankt sind. Dies ist angesichts der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 GG sehr bedenklich. Seelisch erkrankte Personen gehören nicht in Abschiebungshaft, sondern – insbesondere bei einer Selbst- oder Fremdgefährdungsgefahr – sofort in eine therapeutische Betreuung bzw. Einrichtung. Hinzu kommt, dass die §§ 39 bis 44 im Wesentlichen dem Niedersächsischen Strafvollzugsgesetz entnommen sind.
Während das Justizministerium unter anderem ermächtigt wird, „ergänzende Bestimmungen“ über „die Feststellung einer besonderen Schutzbedürftigkeit“ die „Bewegungsfreiheit“, „die Betreuung und Beratung von Gefangenen“ oder „Verhaltensregeln“ zu treffen (§ 54), wird die JVA aufgefordert, eine Hausordnung zu erlassen und „insbesondere Regelungen“ über […] die Besuchszeiten [und] die Nachtruhe […] sowie die Gelegenheit, Anträge und Beschwerden anzubringen“ festzulegen (§ 55). Dies lässt dem Ministerium und der JVA einen erheblichen Entscheidungsspielraum bei der Vollzugsgestaltung, ohne dass dieser einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Die derzeitigen Besuchszeiten (Wochentags 16:30 bis 19:30 Uhr, Samstags sowie an Sonn- und Feiertagen 16:30 bis 18:30 Uhr), die vom Justizministerium festgelegt wurden, genügen dem Grundsatz „normales Leben minus Freiheit“ jedenfalls nicht. Die „Nachtruhe“ beginnt mit Ende der Besuchszeiten um 19:30 Uhr, dies entspricht nicht dem „normalen Leben.“
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