Reise in die Fremde, um in der Heimat bleiben zu dürfen

Elvis Berishaj aus Dingelbe ist aus dem Kosovo zurück – dem Land, in das er abgeschoben werden sollte
Reise in die Fremde, um in der Heimat bleiben zu dürfen

Von Lothar Veit

Istog/Dingelbe. Elvis ist zurück. Zurück aus dem Land, in das er beinahe abgeschoben worden wäre. Es war ein gruseliger Ausflug. Aber er hat endlich den kosovarischen Pass in der Hand, der ihm die Aufenthaltserlaubnis für seine Heimat sichert – Deutschland. 30 Stunden dauerte die Autofahrt von Istog im Kosovo zurück nach Dingelbe. Er sei danach ziemlich kaputt gewesen, aber auch sehr erleichtert, „weil ich diesen Lappen hatte, der für mich überhaupt keine Bedeutung hat.“ Bedeutung hat er nur für die Behörden. Elvis Berishaj wird inzwischen häufig auf der Straße erkannt. Die Geschichte von seiner drohenden Abschiebung schlug hohe Wellen. Der 19-Jährige ist bekannt als derjenige, für den sich „ein ganzes Dorf“ eingesetzt hat. „Ja, das war so“, sagt Elvis.
„Ich hab‘ nichts Besonderes gemacht, dass mich alle mögen, ich habe einfach gelebt, wie ich es für richtig halte.“ Nicht richtig genug für den Landkreis. Seit er sechs ist, lebt er in Deutschland, seine Familie floh mit ihm vor dem Bürgerkrieg und landete in Dingelbe. Er wird ein guter Schüler und ein ehrgeiziger Handballer, ein Leistungsträger in der Oberligamannschaft von TV Eiche Dingelbe. Kurz nach seinem 18. Geburtstag erhält Elvis ein Schreiben mit der Aufforderung, seine Integrationsbemühungen nachzuweisen. Elvis macht sich mit seinen Zeugnissen auf den Weg zur Ausländerbehörde. Er hat eine Menge Fragen. Doch der Sachbearbeiter kopiert nur seine Zeugnisse und sagt, er werde sich melden. Melden hat im Behördendeutsch offenbar nichts mit einem persönlichen Gespräch zu tun. Irgendjemand hätte Elvis sagen müssen, dass er in Deutschland nur geduldet ist, dass er vor Erreichen der Volljährigkeit einen Antrag auf Bleiberecht hätte stellen müssen.
Woher soll er das wissen? Ende Dezember 2009 läuft die Frist ab, am 20. Januar 2010 kommt das zweite Schreiben: „Sie sind vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und besitzen kein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland. Ich habe Sie daher zur Rückführung in das Kosovo angemeldet.“
Elvis Berishaj fällt in ein Loch. „Ich hatte einen Blackout, musste mich krankschreiben lassen“, sagt er. Zu der Zeit macht er bereits eine Ausbildung zum Krankenpfleger im Hildesheimer Ameos-Klinikum. Als der Fall öffentlich wird, steht Ding elbe auf. Die Dorfbewohner, allen voran die Handballkumpels Sebastian Heiler und Matthias Garbs, sammeln Unterschriften, mobilisieren Medien und Politiker. Sie stellen ein Benefizspiel gegen die Zweitliga-Mannschaft von Eintracht Hildesheim auf die Beine.
Und sie haben Erfolg. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) muss sich im Landtag zu Elvis‘ Fall äußern. Er nennt ihn ein „Musterbeispiel für Integration“. Schünemann ist auch Sportminister.
Die Sache landet vor der Härtefallkommission des Landes, wenig später erfolgt die Anweisung des Innenministeriums an den Landkreis, Elvis Berishaj eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Das geht allerdings nur mit einem kosovarischen Pass, wird ihm mitgeteilt. Und den gibt es aus irgendwelchen Gründen nicht bei der kosovarischen Botschaft in Berlin, sondern nur im Kosovo selbst.
Vor der Reise, die am 18. September beginnt, hat Elvis Schiss. Doch er fährt nicht allein. Seine Eltern fahren mit, obwohl sie bereits seit Jahren getrennt leben und inzwischen jeweils mit Deutschen verheiratet sind. Sie haben deshalb schon lange das Aufenthaltsrecht, das Elvis fehlt. Der Vater lebt im Emsland, doch für ihre gemeinsamen Kinder nehmen die Eltern die Tour auf sich. Mit dabei sind auch die jüngeren Geschwister Elvira (15) und Edison (13), die ebenfalls Pässe brauchen, weil ihnen sonst in einigen Jahren der gleiche Schlamassel drohen würde. Und schließlich die „Spiegel“-Journalistin Antje Windmann und der Fotograf Theodor Barth. Barth hatte im Juli bereits eine neunseitige Story über Elvis im Magazin „Chrismon“ bebildert, am Montag ist Elvis‘ Geschichte im „Spiegel“ erschienen.
Eine der ersten Begegnungen in dem geschundenen Land ist kurios. Elvis, der von einer deutschen Ausländerbehörde abgeschoben werden sollte, wird von einem besoffenen Einheimischen angepöbelt. „Ausländer raus!“, lallt der auf Deutsch, weil er offenbar Elvis‘ Sprache erkannt hat. „Wir haben uns weggeschmissen“, sagt Elvis. Bitter ist es trotzdem.
Das Land ist ihm total fremd. „Ich verbinde Null mit dem Kosovo.“ Egal, der Pass. Bürokratie, man
muss es fairerweise sagen, beherrschen nicht nur die Deutschen. Auch die Ämter in Istog, der Heimat der Eltern, sind keine heimeligen Orte. Zum Glück regelt der Vater alles, Elvis kann ja die Sprache nicht, schon gar nicht diesen komischen Dialekt. „Ich kam mir total unsicher vor, bin
meinem Vater immer wie‘n Hund hinterhergelaufen.“ Zwei Tage dauert der Behördenmarathon, dann heißt es warten. Und sich langweilen. Vor allem die Mutter will so schnell wie möglich wieder raus aus dem Land.
Der Vater ist entsetzt, wie sein Herkunftsort aussieht. Von seinem früheren Haus steht kein Stein mehr. Das Krankenhaus, in dem die Kinder geboren sind: abgebrannt. „Ein Acker sieht besser aus“, sagt Elvis. Die Armut, die Leute mit schlechten Zähnen, der Müll, die Trümmer – sein junges Leben hätte hier ebenso in Trümmern gelegen. Die Familie Berishaj gehört der Minderheit der Roma an. Sie haben im Kosovo noch weniger Chancen als der Rest. Erst am vergangenen Samstag gingen in Hannover rund 100 Menschen auf die Straße, um gegen die Abschiebung von Roma aus dem Kosovo zu
protestieren. „Wir bitten die deutsche Innenminister-Konferenz eindringlich, aus Verantwortung für die Menschlichkeit die vertraglich vereinbarten Abschiebungen von jährlich 2.500 Menschen zu stoppen“, sagte der katholische Propst Martin Tenge, früher Jugendseelsorger in Hildesheim, bei einer Kundgebung in der Innenstadt. Die niedersächsischen Wohlfahrtsverbände und der Flüchtlingsrat hatten dazu aufgerufen.
Die Innenminister kommen am 18. und 19. November zur Konferenz in Hamburg zusammen. Auf Innenminister Schünemann und das Thema Integration angesprochen, verdreht Elvis die Augen. Er habe keine Lust, sich von ihm als „Muster-Integrierten“ benutzen zu lassen. Ihm rutschen noch ein paar Sätze heraus, doch dann sagt er: „Ich möchte keinen angreifen, ich möchte am liebsten meine Ruhe haben.“ Davon ist er nur noch ein kleines Stück entfernt. Seine Mutter war vor einigen Tagen mit den Pässen beim Landkreis. Dort sei ihr gesagt worden, sie solle Ende des Jahres wiederkommen, wenn die Duldung abläuft. Dann bekommt Elvis endlich die Aufenthaltserlaubnis.
Frühestens in sechs Jahren kann er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Das will er auf
jeden Fall tun. Er muss dafür den Einbürgerungstest bestehen. Aber das ist seine geringste Sorge. Er weiß, dass manche gebürtige Deutsche eher durchfallen würden als er.

aus: Kehrwieder am Sonntag, 07.11.2010

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!