Vor 21 Jahren nahm sich der 17-jährige Arumugasamy Subramaniam in Abschiebungshaft das Leben

Flüchtlingsrat fordert Abschaffung von Abschiebungshaft

Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 8. Dezember 2021

Am 8. Dezember 2000 nahm sich der damals 17-jährige Arumugasamy Subramaniam in der Abschiebungshaft Hannover-Langenhagen das Leben – rund ein halbes Jahr, nachdem Niedersachsens zentrales Abschiebungsgefängnis eröffnet worden war. Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen ist der Jahrestag Anlass, erneut die Abschaffung dieser unmenschlichen Maßnahme zu fordern.

Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen:

„Abschiebungshaft ist schon allein deshalb empörend, weil sie dazu dient, lediglich einen Verwaltungsakt durchzusetzen. Obgleich den Inhaftierten keinerlei Straftat vorgeworfen wird, erfahren sie mit Freiheitsentziehung den härtesten Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte, die der Rechtsstaat zulässt.“

Der Suizid von Arumugasamy Subramaniam führt beispielhaft vor Augen, wie Menschen mit der Inhaftierung oftmals in eine verzweifelte und perspektivlose Situation gebracht werden, nicht selten mit einer enorme Angst vor der Rückkehr in ihr Herkunftsland im Nacken. Der Jugendliche Tamile, der bereits seit mehr als fünf Jahren in Deutschland gelebt hatte, sollte nach Sri Lanka abgeschoben werden, wo damals noch ein Bürgerkrieg zwischen der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung und der sri-lankischen Regierung tobte. Subramaniam befürchtete Repressionen und unmenschliche Behandlungen in Sri Lanka und sah offensichtlich keinen Ausweg aus seiner verzweifelten Lage.

Sigmar Walbrecht:

„Die Praxis der Abschiebungshaft in Deutschland ist aber auch deshalb skandalös, weil Rechtsstaatlichkeit für Menschen, die außer Landes gebracht werden sollen, keine Geltung zu haben scheint. Rund die Hälfte der von uns gerichtlich überprüften Haftanträge erweist sich im Nachhinein als falsch.“

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch hat seit dem Jahr 2001 deutlich mehr als 2.000 Menschen in Abschiebungshaft vertreten. In mehr als der Hälfte der Fälle stellten Gerichte fest, dass die Haft rechtswidrig war. Zu einer ähnlichen Quote kommt auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen im Rahmen seiner Beratungstätigkeit in Abschiebungshaft.

Hinzu kommt, dass in Deutschland permanent gegen das EU-rechtlich verlangte Trennungsgebot von Abschiebungshaft von Strafhaft verstoßen wird. Derzeit wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) darüber verhandelt, ob eine Inhaftierung im Abschiebungsgefängnis Hannover-Langenhagen überhaupt rechtmäßig ist. Der Generalanwalt hat bereits die Auffassung vertreten, dass er eine Verletzung des Trennungsgebotes sieht.

Mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ von Bundesinnenminister Seehofer setzte die Bundesregierung 2019 selbstherrlich das Trennungsgebot und damit EU-Recht aus und erweiterte gleichzeitig den Katalog der Inhaftierungsgründe. Mit Unverständnis hat der Flüchtlingsrat zur Kenntnis genommen, dass auch die zukünftige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag weder eine Liberalisierung des Haftrechts noch die Einführung eines Pflichtverteidigers/einer Pflichtverteidigerin für Abschiebegefangene vorsieht, wie es im Strafrecht selbstverständlich ist.

Sigmar Walbrecht:

„Offenkundig gibt es auch bei der neuen Bundesregierung nicht das Rechtsbewusstsein dafür, dass die festgestellten zahlreichen Rechtsstaatsverletzungen im Abschiebungshaftvollzug eines Rechtsstaats unwürdig sind und keinesfalls toleriert werden können. Die Forderung kann nur lauten: Abschiebungshaft grundsätzlich abschaffen“.

In Hannover ruft das Bündnis „Gemeinsam in die Offensive“ unter dem Motte „Keine Knäste – keine Flüge“ für Samstag, den 11. Dezember 2021 zu einer Demonstration gegen Abschiebungshaft und Abschiebungen auf (14 Uhr, Opernplatz). Der Flüchtlingsrat unterstützt das Anliegen der Demonstration.

Kontakt

Sigmar Walbrecht
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
0 511 / 84 87 99 73 | sw(at)nds-fluerat.org

 

Hintergrund:

Die Selbsttötung von Arumugasamy Subramaniam blieb leider nicht der einzige Suizid in der Abschiebungshaftanstalt Hannover-Langenhagen: Am 2. Juli 2010 nahm sich Slawik C. das Leben aus Verzweiflung seiner anstehenden Abschiebung nach Armenien. Die Ausländerbehörde des Landkreis Harburg hatte zuvor mit falschen Identifikationsdaten die Abschiebung eingeleitet und nach Ansicht des Flüchtlingsrates rechtswidrig die Inhaftierung veranlasst. Slawik C. wäre mit der Abschiebung von seiner Familie getrennt worden

Die Dokumentationsstelle Antirassistische Initiative Berlin hat für den Zeitraum von 1993 bis zum 31.12.2020 86 Suizide in deutschen Abschiebungsgefängnissen dokumentiert.

Mit der Ausweitung der gesetzlichen Möglichkeit, Menschen zum Zwecke der Abschiebung zu inhaftieren, stieg die Zahl der Menschen in Abschiebungshaft, Überstellungshaft und Ausreisegewahrsam von ca. 1.800 im Jahr 2015 auf knapp 5.100 im Jahr 2019. In Niedersachsen waren in jenem Jahr 395 Menschen zur Abschiebung inhaftiert worden (siehe diese und weitere Daten in Bundestagsdrucksache 19/316699)

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