Bürger-Engagement gegen drohende Abschiebungen

Goslarsche Zeitung vom 07.11.2010
Bürger-Engagement gegen drohende Abschiebungen

Von Carsten Jelinski

GOSLAR. Eine Schreckensvision, die schnell Wirklichkeit werden kann: Am Montagmorgen um vier Uhr stehen Beamte des Landeskriminalamtes vor der Wohnung der Familie Rustemi in Seesen und läuten Sturm.

Vater Bashkim, die beiden Kinder Sümita und Florenta und die schwer kranke Ehefrau Lutfije werden abgeholt – Mutter Rustemi als Liegendtransport in ärztlicher Begleitung. Ihre drei älteren Kinder „dürfen“ bleiben, die Familie wird durch staatliche Organe auseinandergerissen – die Abschiebungen von 46 Roma in der Region haben begonnen.

Das Szenario werde nicht in einer Diktatur, sondern in der bundesdeutschen Demokratie Realität, erläutert Susanne Ohse, Vorsitzende des Vereins „Leben in der Fremde“. „Möglich ist dies durch die Gesetzgebung des Innenministers Uwe Schünemann“, meint sie bei der Bürgerversammlung im großen Saal der Frankenberger Kirchengemeinde. Neben Landrat Stephan Manke sind viele Betroffene gekommen, dabei auch Vertreter von Propstei und Parteien. Manke macht aus seiner privaten Meinung keinen Hehl: „Für mich ist es nicht verständlich, dass Familien auseinandergerissen werden.“ Er macht allerdings auch klar, dass seine Behörde an Vorgaben und Erlasse des Innenministeriums gebunden sei: „Wir können da gar nichts mehr groß entscheiden.“

In der Diskussion macht sich schnell Unverständnis ob der brutalen Verfahrens-Möglichkeiten breit: Wie könnten in Niedersachsen Gesetze gelten, die offensichtlich gegen höher geordnetes Recht wie Menschenrechte, Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen – zumal die meisten Familien seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebten und die Kinder hier geboren sind?

„Wir wollen uns ja integrieren“, nimmt Sabina Rustemi die aktuellen Medien-Debatten auf und führt sie gleich ad absurdum, „aber wir dürfen nicht – die Gesetze hier verhindern es.“ Das macht auch Karim Al Wasiti vom Flüchtlingsrat Niedersachsen deutlich: „In Nordrhein-Westfalen wird die Situation derjenigen, die abgeschoben werden sollen, viel intensiver geprüft – die Behörden gehen viel menschlicher mit den Familien um.“ Wasiti weist auf die am 17. und 18. November tagende Konferenz der Innenminister in Hamburg hin, auf der das Abschiebethema wieder diskutiert wird: „Das Land Bremen wird die Initiative ergreifen und gegen die aktuellen Zustände aktiv werden.“

Daraus entwickeln sich für die Versammlung schnell Perspektiven und Aktivitäten: Gemeindepfarrer Ulrich Müller-Pontow sorgt dafür, dass ein Unterschriften-Aufruf in Goslarer Kirchengemeinden ausliegt. Der Aufruf wendet sich gegen die Abschiebungen und fordert menschliche Rechtsstaatlichkeit.

Landrat Manke will sich am Dienstag an den Innenminister wenden und die bis dahin gesammelten Unterschriften nebst einem Bericht über die Lage vor Ort übergeben. Außerdem wird er auf die beiden Protestresolutionen vom Kreistag und der Propsteisynode hinweisen – immerhin die höchsten weltlichen und kirchlichen Gremien in der Region, die knapp 150.000 Menschen vertreten.

„Unsere Unterschriftenaktion, die dem Landrat den Rücken stärken soll, kann jeder Bürger unterstützen“, erläutert Vorstandsmitglied Uta Liebau. Bis Donnerstag, 11. November müsse eine E-Mail mit dem Satz „Ich unterstütze den Aufruf: Goslarer fordern: Bleibt menschlich“ nebst Namen und Adresse beim Verein Leben in der Fremde eingehen; die Adresse lautet Till.Liebau@t-online.de .

Jetzt spenden und unsere Arbeit unterstützen!