Die Außengrenzen der Europäischen Union sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr zu rechtsfreien Räumen geworden, in denen EU-Staaten Völkerrecht brechen und Menschenrechte ignorieren. Illegale Zurückschiebungen (Pushbacks) und Gewalt gegenüber schutzsuchenden Menschen sind Alltag geworden. Tausende Menschen sind in den letzten Jahren im zentralen Mittelmeer ertrunken. Griechenland schottet sich entlang der Grenze zur Türkei ab, Ungarn und Kroatien haben die Balkanroute abgeriegelt. Jeden Tag schieben Grenzpolizist:innen Geflüchtete mit Gewalt von Kroatien nach Bosnien ab. Und auch an der Grenze zwischen Belarus und Polen bzw. Belarus und Litauen spielen sich dramatische Szenen ab.
Seit Wochen harren mehrere Tausend schutzsuchende Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze aus und können weder zurück nach Belarus noch über die Grenze nach Polen. Immer wieder führen die polnischen Behörden rechtswidrige Pushbacks durch. Mindestens 11 Menschen sind dort bereits gestorben. Mittlerweile herrschen in der Region Minusgrade. Die katastrophale Lage wird sich weiter zuspitzen: Jederzeit können hier weitere Menschen sterben. Zugleich ist die Grenzregion ein Sperrgebiet: Weder Medien noch Hilfsorganisationen dürfen in das Gebiet fahren. Damit werden sowohl die unabhängige Berichterstattung als auch die Unterstützung der dort ausharrenden Menschen unterbunden.
Es ist offenkundig, dass der belarussische Diktator Lukaschenko die Notlage schutzsuchender Menschen ausnutzt, um die EU zu erpressen. Das funktioniert aber nur, weil sich die EU erpressen lässt: Schutzsuchende Menschen werden von Regierungen zur Bedrohung aufgebaut. Die Rede ist von „Waffen“ und „hybrider Kriegsführung“, womit dann der Einsatz militärischer Mittel gerechtfertigt werden, um diesen imaginierten „Feind“ abzuwehren und die Grenzen noch stärker abzuschotten und noch mehr Mauern und Stacheldrahtzäune zu errichten.
Dabei darf nicht vergessen werden: Die EU hat in den letzten Jahren nach und nach alle Fluchtwege verschlossen und sich immer stärker abgeschottet. Nur deshalb sehen sich die Menschen aus Afghanistan oder dem Irak jetzt gezwungen, zu versuchen, über Belarus in die Europäischen Union zu kommen und hier Asyl zu beantragen. Das bedeutet zugleich: Die Notlage der Schutzsuchenden, die jetzt an der polnisch-belarussischen Grenze ausharren, würde keineswegs verschwinden, wenn Lukaschenko seine zynische Politik beenden sollte und dadurch keine Menschen mehr die belarussisch-polnische Grenze erreichen würden. Dennoch verfährt die EU nach dem Prinzip: Aus den Augen, aus dem Sinn, Hauptsache, es kommen so wenige Geflüchtete wie möglich nach Europa. Was wir stattdessen brauchen, ist eine solidarische Politik der Aufnahme von Schutz suchenden Menschen in der EU, an der sich alle EU-Staaten gleichermaßen beteiligen.
Nochmal: Niemand macht sich auf den Fluchtweg über #Belarus, die oder der eine legale und sicherere Möglichkeit hat das eigene Land zu verlassen.
— Franziska Grillmeier (@f_grillmeier) November 11, 2021
Um jetzt die humanitäre Notlage an der belarussisch-polnischen Grenze zu beenden, fordern wir:
Die rechtswidrigen Pushbacks an den Grenzen der EU müssen umgehend beendet und Rechtsbrüche sanktioniert werden. Wir erwarten von der alten wie von der neuen Bundesregierung, dass sie sich eindeutig und nachdrücklich für die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einsetzt.
Die alte wie die künftige Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze aufgenommen werden und Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der EU erhalten. Dabei muss auch Deutschland umfassende Aufnahmen der schutzsuchenden Menschen zusagen.
Auch Niedersachsen kann und muss einen Beitrag leisten. Wir können nicht länger zuschauen, wie Menschen an Europas Grenzen sterben. Niedersachsen sollte konkret Plätze zur Aufnahme der Menschen bereitstellen. Auch die niedersächsischen Kommunen, insbesondere die mehr als 50 Sicheren Häfen, sind aufgefordert, aktiv zu werden und ihre Bereitschaft zur Aufnahme zu bekräftigen. Diese Woche haben bereits die Städte Berlin, Rottenburg am Neckar und München erklärt, Menschen von der polnisch-belarussischen Grenze aufnehmen zu wollen – das muss Vorbild für die niedersächsischen Kommunen des Bündnisses Städte Sicherer Häfen sein!
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...