Migrantische Erfahrungen mit Polizeigewalt. Forderungen an die nds. Landesregierung

Gemeinsame Stellungnahme von 21 Selbstorganisationen und Vereinen zur Anhörung “Gewalterfahrungen von Migrantinnen und Migranten durch die Polizei“ in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe, 12. Oktober 2021

In Niedersachsen erfahren viele Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte bzw. migrantisierte Menschen Gewalt durch die Polizei, etwa durch unverhältnismäßige Härte bei Polizeieinsätzen, beim Gebrauch von Schusswaffen durch Polizist:innen sowie durch Racial Profiling. Immer wieder kommt es dabei auch zu tödlichen Polizeieinsätzen.

„In Kombination verstärken gewaltvolle bzw. tödliche Polizeieinsätze, anlasslose Kontrollen, denen Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte häufig ausgesetzt sind, sowie fast täglich neue Enthüllungen von rechtsextremen Polizei-Chatgruppen bei den Betroffenen Angst, Misstrauen und ein Gefühl der Bedrohung durch Staatsbehörden. Zudem machen die Betroffenen immer wieder die Erfahrung, markiert und rassifiziert zu werden.“
Migrantische Erfahrungen mit Polizeigewalt, Gemeinsame Stellungnahme vom 12. Oktober 2021

21 Selbstorganisationen und Vereine* stellen daher fünf konkrete Forderungen an die niedersächsische Landesregierung: die Einrichtung einer unabhängingen Beschwerde- und Ermittlungssstelle, die Gewährleistung von mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit und die Entwicklung einer Fehlerkultur innerhalb der Polizei, ein explizites Verbot von Racial Profiling, die Beauftragung einer wissenschaftlichen Rassismus-Studie über die Polizei sowie die Sensibilisierung von Polizei und Behörden für unbewussten und bewussten Rassismus.

* Hinweis: Nach der ersten Presseaussendung sind wir noch weitere Mitzeichnungen hinzugekommen. Wir haben die Zahl der Organisationen im Text entsprechend angepasst.

Hintergrund

In der beim Niedersächsischen Landtag angesiedelten Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe findet am 12. Oktober 2021 eine mündliche Anhörung zum Thema „Gewalterfahrungen von Migrantinnen und Migranten durch die Polizei“ statt. Angehört werden unter anderem die Betroffenenberatung Niedersachsen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und Dr. Fatoş Atali-Timmer von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Mindestens vier Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen zwei Jahren in Niedersachsen in der Folge von Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst sowie Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade.

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38, moy@nds-fluerat.org

Betroffenenberatung Niedersachsen
Ambachew A. Anjulo
0541 380699-24, ambachew.anjulo@exilverein.de

Die vollständige Stellungnahme (und hier als PDF):

Migrantische Erfahrungen mit Polizeigewalt. Forderungen an die niedersächsische Landesregierung

Gemeinsame Stellungnahme zur Anhörung “Gewalterfahrungen von Migrantinnen und Migranten durch die Polizei“ in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe (12. Oktober 2021)

In Niedersachsen erfahren viele Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte bzw. migrantisierte Menschen Gewalt durch die Polizei, etwa durch unverhältnismäßige Härte bei Polizeieinsätzen, beim Gebrauch von Schusswaffen durch Polizist*innen sowie durch Racial Profiling. Immer wieder kommt es dabei auch zu tödlichen Polizeieinsätzen. Mindestens vier Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen zwei Jahren in Niedersachsen in der Folge von Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst sowie Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade.

In Kombination verstärken gewaltvolle bzw. tödliche Polizeieinsätze, anlasslose Kontrollen, denen Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte häufig ausgesetzt sind, sowie fast täglich neue Enthüllungen von rechtsextremen Polizei-Chatgruppen bei den Betroffenen Angst, Misstrauen und ein Gefühl der Bedrohung durch Staatsbehörden. Zudem machen die Betroffenen immer wieder die Erfahrung, markiert und rassifiziert zu werden.

Diesen Umstand muss das Land Niedersachsen ernst nehmen und entsprechend handeln. Dafür stellen wir die folgenden Forderungen an die niedersächsische Landesregierung.

1. Eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle schaffen!
Das Land Niedersachsen muss eine unabhängige und niedrigschwellige Beschwerde- und Ermittlungsstelle schaffen. Die Stelle wäre dafür zuständig, Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten und Polizeigewalt entgegenzunehmen und eigenständig Ermittlungen durchzuführen. Diese Institution darf nicht der Innenverwaltung unterstehen, sondern muss außerhalb der polizeilichen Strukturen angesiedelt werden. Von einer solchen Stelle würde auch die Polizei profitieren. Eine transparente Fehlerkorrektur würde die Polizei vor unberechtigten Vorwürfen schützen. Wird berechtigten Vorwürfen ernsthaft nachgegangen, stärkt dies das Vertrauen in die Polizei, statt Misstrauen zu säen. Zugleich bedarf es weiterhin nicht-staatlicher Beschwerde- und Beratungsstellen, an die sich Betroffene jederzeit wenden können.

2. Für mehr Transparenz sorgen und eine konstruktive Fehlerkultur schaffen!
Mit dem Gewaltmonopol der Polizei ist eine große Verantwortung und ein Vertrauensvorschuss durch die Gesellschaft verbunden. Um diesem Vertrauen gerecht zu werden, muss Polizeiarbeit transparent sein und permanenter unabhängiger Kontrolle unterliegen. Daher muss das Land Niedersachsen eine größere institutionelle Transparenz bei Ermittlungen und Beschwerdeeingängen gewährleisten. Insbesondere bei Ermittlungen von Fällen rassistischer Gewalt gegenüber Migranten*innen und migrantisch gelesenen Menschen muss die Polizeiarbeit im höchsten Maße transparent sein. Auch bei der einzurichtenden Beschwerde- und Ermittlungsstelle muss Transparenz über die Tätigkeiten herrschen. Entscheidend ist dabei, dass Fehlverhalten nicht vertuscht, sondern aufgearbeitet wird, dass also eine Fehlerkultur geschaffen wird.

3. Racial Profiling explizit verbieten
Das Land Niedersachsen muss die rechtlichen Grundlagen für anlasslose und verdachtsunabhängige Kontrollen streichen. Stattdessen muss in den Polizeigesetzen ein explizites Verbot für die Anwendung von Racial Profiling verankert werden.

4. Eine Rassimus-Studie über die niedersächsische Polizei in Auftrag geben
Fast wöchentlich gibt es Berichte über extrem rechte Netzwerke oder Chat-Gruppen in Sicherheits- und Landespolizeibehörden. Eine von unabhängigen Forscher*innen konzipierte und durchgeführte Studie zu strukturellem Rassismus und Racial Profiling in der niedersächsischen Polizei ist nötig, um mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen Gegenmaßnahmen zu entwickeln und zu ermöglichen.

5. Sensibilisierung in Polizei, Politik und Behörden gewährleisten
Maßnahmen zur Gewährleistung einer selbstreflexiven, fehlertoleranten Praxis müssen nicht nur in der Ausbildung verankert sein, sondern auch im Alltag auf der Wache etabliert werden. Sowohl innerhalb der Polizei als auch in Politik und Behörden muss anerkannt werden, dass Migrant:innen und Schwarze Menschen sowie Personen of Color deutlich mehr Gewalt durch die Polizei erfahren als die Mehrheitsgesellschaft. Daraus müssen strukturelle Maßnahmen erwachsen, um entschieden gegen rassistische Erscheinungsformen anzugehen. So ist bereits in der Ausbildung von Polizist:innen, aber auch fortlaufend eine Sensibilisierung für unbewussten und bewussten Rassismus unerlässlich.

Hannover, den 12. Oktober 2021

Afrikanischer Dachverband Norddeutschland e.V. (ADV-Nord)

AK Asyl Harsefeld

Amadeu Antonio Stiftung

Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen – amfn e.V.

Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e.V.

Asyl e. V. Hildesheim

Betroffenenberatung Niedersachsen

BI Menschenwürde Landkreis Stade

Bündnis in Erinnerung an Qosay

Flüchtlingsrat Bremen

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.

Initiative Aman Alizada

Initiative für Internationalen Kulturaustausch Hannover/Nds. IIK e.V.

kargah e.V. – Verein für interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit

Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

MigrantInnenSelbstOrganisationen-Netzwerk (MiSO) Hannover e.V.

Refugium Flüchtlingshilfe e.V.

Roma Center e.V.

Seebrücke Niedersachsen

Verein zur Wahrung der Menschenrechte in Vietnam (MRVN) e.V.

Vietnamzentrum e.V.

WABE e.V.

Medienberichte

Migranten beklagen Polizeigewalt: Forderungskatalog ans Land, in: n-tv vom 12. Oktober 2021

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