Pressemitteilung vom 19. August 2021
Gefährdete Menschen aus Afghanistan aufnehmen. Landesaufnahmeprogramm auflegen!
Mit Entsetzen verfolgt der Flüchtlingsrat Niedersachsen die dramatischen Entwicklungen in Afghanistan, wo die Taliban die Macht übernommen haben und tausende Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Nicht minder entsetzt ist der Flüchtlingsrat über das beschämende und menschenfeindliche Verhalten der politisch Verantwortlichen in Deutschland, die bis wenige Tage vor der Eroberung Kabuls durch die Taliban in erster Linie darauf bedacht waren, die mittlerweile zusammengebrochene Regierung unter Druck zu setzen, damit diese weitere Abschiebungen hinnimmt. Die selben Verantwortlichen heucheln nun, wie überrascht und betroffen sie – trotz zahlreicher Warnungen – von der Machtergreifung der Taliban sind.
Die Bundesregierung und die allermeisten Landesregierungen – so auch Niedersachsens – haben die verschiedenen Lebensgefahren, denen die Menschen in Afghanistan ausgesetzt sind, – wider besseren Wissens – jahrelang geleugnet. Auf Basis geschönter Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan haben sie bis zuletzt an der Politik der Abschiebungen und der Ablehnung von Asylanträgen festgehalten. Zudem haben sie den Familiennachzug von tausenden Menschen zu ihren Angehörigen nach Deutschland durch bürokratische Hürden systematisch verschleppt. Überdies haben sie die rechtzeitige Evakuierung aller Ortskräfte der Bundeswehr, ihrer zivilen Subunternehmen sowie von NGO-Mitarbeiter:innen sehenden Auges versäumt. Es handelt sich um ein Versagen der Bundespolitik mit tödlichen Folgen.
Den Flüchtlingsrat erreichen zahlreiche Anfragen von verzweifelten Menschen, die sich selbst oder deren Familienangehörige sich noch in Afghanistan befinden: Manche warten auf ein Visum zum Familiennachzug, andere sind wegen ihrer Tätigkeiten etwa als Ortskräfte oder Journalist:innen hoch gefährdet, weitere haben ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, halten sich aber gerade in Afghanistan auf. Alle eint eins: Die Sorge um das Leben – sei es ihr eigenes, sei es das ihrer Familien.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt die Forderung von Innenminister Pistorius und seiner Amtskolleg:innen, gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium ein Bundesaufnahmeprogramm für Ortskräfte und andere vulnerable Personengruppen aus Afghanistan auf den Weg zu bringen.
Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, dass sie dem Beispiel Schleswig-Holsteins folgt und zusätzlich ein eigenes Landesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghan:innen auflegt.
Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen:
„Die Erklärung von Innenminister Boris Pistorius, kurzfristig 450 Plätze für die Evakuierten in den Erstaufnahmeeinrichtungen bereitzustellen, kann nur ein erster Schritt sein. Die Landesregierung darf sich nicht wieder hinter dem Bund verstecken. Ergänzend zu den aktuell laufenden Evakuierungen brauchen wir auch in Niedersachsen jetzt ein Landesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Gruppen. Das sind wir den Afghan:innen, die jetzt von den Taliban vertrieben, eingekesselt und verfolgt werden, schuldig. Für eine solche Aufnahme, die flexibel und unbürokratisch gestaltet werden muss, muss die niedersächsische Landesregierung jetzt den Rahmen schaffen. Die Aufnahmebereitschaft in der Zivilgesellschaft ist da und die Aufnahmeplätze stehen landesweit sofort zur Verfügung.“
Nach Auffassung des Flüchtlingsrats sollte dieses Aufnahmeprogramm neben Ortskräften insbesondere zivilgesellschaftliche und politische Aktivist:innen, Familiennachzügler:innen und besonders vulnerable Personen und Gruppen sowie ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten umfassen. Da es jederzeit zu spät sein kann, um noch aus Afghanistan rauszukommen, ist es nicht zumutbar, dass Menschen, die in Afghanistan ausharren, ein langwieriges Visumsverfahren durchlaufen müssen. Deshalb muss für diese Personen von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, dass Ausnahme-Visa bei der Einreise nach Deutschland erteilt werden.
Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
moy@nds-fluerat.org
0511 98 24 60 38
Hintergrund
Afghanistan: Luftbrücke jetzt!, Beitrag vom 17. August 2021
Ausreise aus Afghanistan? Aktuelle Informationen, Beitrag vom 17. August 2021 [Die Informationen werden fortlaufend aktualisiert.]
Medienberichte
„Besonders gefährdete Gruppen evakuieren“, in: NDR vom 19. August 2021
Vom Kriegsland nach Friedland, in: taz vom 19. August 2021
Verfolgte sollen Afghanistan sicher verlassen können, in: Braunschweiger Zeitung vom 17. August 2021
Wenn Sie individuell Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an ...
1 Gedanke zu „Gefährdete Menschen aus Afghanistan aufnehmen. Landesaufnahmeprogramm auflegen!“
Kommentare sind geschlossen.