Afghanistan: Luftbrücke jetzt! Schafft sichere Fluchtwege!

Mit Entsetzen verfolgen wir die überschlagenden Ereignisse in Afghanistan und die Machtübernahme der Taliban.

Die Taliban haben die Macht übernommen und zehntausende Menschen, die sich für ein friedliches, demokratisches und rechtsstaatliches Afghanistan eingesetzt haben, sind in akuter Lebensgefahr. Viele sind aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Einrichtungen und Organisationen massiv gefährdet. Kabul kann nicht mehr auf dem Landweg verlassen werden – es braucht jetzt eine Luftbrücke, eine Aufnahmeaktion über die ersten Evakuierungen hinaus. Die Bundesregierung handelt bisher zu spät und zu wenig.

Als Flüchtlingsrat Niedersachsen stehen wir solidarisch an der Seite all der Menschen in Afghanistan, die nun um ihr Leben fürchten müssen. In besonderer Gefahr sind unter anderem Ortskräfte der Bundeswehr und der zivilen deutschen Ministerien und Organisationen ebenso wie Mitarbeiter:innen von internationalen Organisationen, Journalist:innen und Frauenrechtler:innen.  Menschen in Afghanistan, mit denen wir in Kontakt stehen, sind großer Sorge.

Firoza aus Mazar-e-Sharif:

„Wir sind aus Mazar-e-Sharif geflohen, um das Leben meiner beiden Kinder zu retten, und nach Kabul gekommen, in der Hoffnung, dass es hier sicher sein könnte. Aber jetzt ist auch diese Stadt unter der Kontrolle der Taliban. Vor Angst und Sorge kann ich nicht schlafen. Es ist ein Albtraum für mich, wieder unter dem Taliban-Regime zu leben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn in der Taliban-Regierung erwartet die Frauen etwas Schlimmeres als der Tod, nämlich die Ermordung von Freiheit und Frauenrechten.”

Was besonders erschütternd ist: Dass die Taliban nach dem Abzug der internationalen Truppen Afghanistan erobern würden, war vorhersehbar. Geflüchtete Afghan:innen, Afghanistanexpert:innen und Menschenrechtsorganisationen haben immer wieder über die Strategien der Taliban berichtet. So hätte die Bundesregierung die afghanischen Mitarbeiter:innen frühzeitig und viel umfassender evakuieren müssen. Doch Ende Juni 2021 haben die Regierungsfraktionen im Bundestag einen entsprechenden Antrag der Grünen abgelehnt – aus Prinzip, wie mittlerweile eingeräumt wird.

Stattdessen hat die Bundesregierung bis vor wenigen Tagen sogar noch weitere Abschiebungen nach Afghanistan durchdrücken wollen. In einem Schreiben vom 5. August 2021 drängte die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-Staaten die EU-Kommission, Druck auf die afghanische Regierung auszuüben, damit diese weiter Abschiebungen ermögliche. Wenige Tage später hatte sich die afghanische Regierung unter dem Vormarsch der Taliban aufgelöst. Auch Niedersachsen hat sich noch im Juli 2021 erneut an einer Sammelabschiebung nach Afghanistan beteiligt.

Jetzt herrscht Chaos in Afghanistan, Menschen versuchen verzweifelt, das Land zu verlassen.

Sami aus Kabul:

„ Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Taliban Kabul so schnell erobert und ihre Herrschaft erklärt haben. Panik hat Kabul überschattet. Heute sah ich einen Mann, der sich an ein Flugzeug klammerte und herunterfiel, weil er den Tod dem Leben unter der Herrschaft der Taliban vorzog. Das ist der ultimative Ausdruck von Hilflosigkeit und Misere.“

Was ist nun zu tun?

Maryam Mohammadi, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen:

„Jeden Tag erhalten wir Anrufe von Afghanen, die in Afghanistan und Deutschland leben und sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Familie oder Verwandten machen. Sie bitten um Hilfe und wir sehen keine Lösung, die wir anbieten können. Die Lage in Afghanistan ist eine humanitäre Katastrophe. Die Menschen leben in großer Angst. Die Ortskräfte, die seit Jahren mit deutschen Organisationen und der deutschen Regierung zusammengearbeitet haben, warten nun mit ihren Familien in Kabul darauf, dass die deutsche Regierung endlich handelt, um ihnen die Flucht aus Afghanistan zu ermöglichen. Aber bisher ist nichts Entscheidendes geschehen. Diejenigen, die mit internationalen Organisationen zusammengearbeitet haben, die Menschen- und Frauenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen, sind in großer Lebensgefahr und müssen sofort evakuiert werden. Afghanistan darf nicht vergessen werden. Wir fordern, dass Deutschland und die Europäische Union eine sichere Flucht ermöglichen und die afghanischen Schutzsuchenden aufnehmen.“

Luftbrücke jetzt: Die Bundesregierung muss alle Ortskräfte und ihrer Familien sofort evakuieren. Darüber hinaus muss die Bundesregierung auch für Frauenrechtler:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Anwält:innen, Mitarbeiter:innen internationaler Organistation, Journalist:innen und alle anderen besonders gefährdeten Personen eine schnelle Aufnahme in Deutschland gewährleisten. Bürokratische Hürden darf es bei diesen Rettungsmaßnahmen nicht geben. Auf Visaverfahren muss in dieser dramatischen Notlage verzichtet werden.

(Landes-)Aufnahmeprogramm: Es müssen sichere  und legale Fluchtwege für afghanische Schutzsuchende geschaffen werden. Die niedersächsische Landesregierung muss sich zum einen gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen, dass flexible Aufnahmeprogramme und Schutzkontingente für afghanische Schutzsuchende eingerichtet werden. Zum anderen muss die Landesregierung auch selbst ein entsprechendes Aufnahmeprogramm auflegen.

Bleiberecht: Bund und Länder, BAMF und Ausländerbehörden müssen jetzt ein Bleiberecht für diejenigen afghanischen Geflüchteten schaffen, die bereits in Deutschland sind. Bei tausenden bereits in Deutschland lebenden Schutzsuchenden aus Afghanistan hat das BAMF die Asylanträge abgelehnt – obwohl Afghanistan das gefährlichste Land der Welt ist. Mit der Machtübernahme durch die Taliban gilt dies umso mehr. Alle Schutzsuchenden aus Afghanistan brauchen jetzt ein Bleiberecht.

Arbeitsverbote und andere Sanktionen aufheben: Das niedersächsische Innenministerium muss die Ausländerbehörden verpflichten, Arbeitsverbote und andere Sanktionen gegenüber afghanischen Staatsangehörigen – etwa wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung – vollständig aufzuheben. Da Abschiebungen nach Afghanistan faktisch unmöglich sind, darf Afghan:innen nicht mehr vorgeworfen werden, dass ihr (vermeintliches) (Fehl)Verhalten dafür ursächlich sei, dass sie nicht abgeschoben werden können.

Demonstrationen in Niedersachsen

Dienstag, 17. August 2021, 16 Uhr: Göttingen (Gänseliesel)
Spontandemonstration: Auf die Straße für die Luftbrücke!

Mittwoch, 18. August 2021, 18 Uhr: Hannover (Ernst-August-Platz/Hauptbahnhof)
Demonstration: Luftbrücke jetzt!

Mittwoch, 18. August 2021, 18 Uhr: Braunschweig (Schlossplatz)
Demonstration: Luftbrücke jetzt!

Samstag, 21. August, 2021, 14 Uhr: Stade (Pferdemarkt)
im Rahmen der Demonstration in Gedenken an Aman Alizada

Medienberichte

Afghanistan: Schwierige Rettungsaktion, verzweifelte Menschen, in: Hallo Niedersachsen vom 16. August 2021

„Wir sind entsetzt“: Scharfe Kritik aus Niedersachsen an Evakuierungen aus Afghanistan, in: HAZ vom 16. August 2021

Hintergrund

Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt!, Beitrag vom 11. August 2021

Keine Abschiebungen nach Afghanistan!, Gemeinsamer Aufruf vom 10. August 2021

Bundesregierung redet die Lage in Afghanistan schön, Beitrag vom 23. Juli 2021

Erneute Sammelabschiebung aus Hannover nach Afghanistan – sechs aus Niedersachsen, Beitrag vom 7. Juli 2021

„Nichts ist gut in Afghanistan“ – Deshalb: Alle Abschiebungen stoppen, Pressemitteilung vom 5. Juli 2021

Bundesweiter Aktionstag gegen Abschiebungen nach Afghanistan!, Beitrag vom 1. Juni 2021

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